»Ihr seid Meister Robert Briquet?« fragte der Direktor des ganzen Orchesters.
»In Person.«
»Wohl, wir sind ganz zu Euren Diensten, mein Herr,« erwiderte der Italiener mit einer Bewegung seines Stabes, die einen neuen Melodiensturm hervorrief.
»Das ist wahrhaftig nicht zu verstehen,« sagte Chicot zu sich selbst, indem er seine scharfen Augen auf der ganzen Menge und an allen Häusern der Nachbarschaft umherlaufen ließ. Da erblickte er plötzlich unter dem Wetterdach seines Hauses, durch die Spalten des Balkonbodens, einen ganz in einen dunkelfarbigen Mantel gehüllten Mann, der einen schwarzen Hut mit roter Feder und einen langen Degen trug und, da er sich unbeobachtet glaubte, mit seiner ganzen Seele nach dem gegenüberliegenden öden, stummen, toten Haus schaute. Von Zeit zu Zeit verließ der Direktor des Orchesters seinen Posten, um leise mit diesem Mann zu sprechen. Chicot erriet bald, daß das ganze Interesse der Szene hier war, und daß dieser schwarze Hut das Gesicht eines Edelmannes verbarg.
Von diesem Augenblick an war seine ganze Aufmerksamkeit dem Unbekannten zugewendet.
Bald sah er, wie ein Kavalier, dem zwei Stallmeister folgten, an der Ecke der Straße erschien und energisch mit Gertenhieben die Neugierigen Vertrieb.
»Herr Joyeuse,« murmelte Chicot, der in dem Kavalier den auf Befehl des Königs gestiefelten und gespornten Großadmiral von Frankreich erkannte.
Sobald die Neugierigen zerstreut waren, schwieg das Orchester, dem offenbar ein Wink des Gebieters Stillschweigen auferlegte.
Der Kavalier näherte sich dem unter dem Wetterdache verborgenen Edelmann und fragte: »Nun, Henri, was gibt es Neues?« – »Nichts, mein Bruder, nichts.«
»Nichts?« – »Nein, sie ist nicht einmal erschienen.«
»Diese Burschen haben also keinen Lärm gemacht?« – »Sie haben das ganze Quartier betäubt.«
»Sie haben also nicht gerufen, wie es ihnen empfohlen war, sie spielten zu Ehren dieses Bürgers?« – »Sie haben es so laut gerufen, daß er in Person auf seinem Balkon sitzt und der Serenade zuhört.« »Sie ist nicht erschienen?« – »Weder sie noch sonst jemand.«
»Der Gedanke war doch geistreich,« sagte Joyeuse gereizt, »denn sie könnte es am Ende, ohne sich zu kompromittieren, machen wie alle diese guten Bürger und die ihrem Nachbar gegebene Musik benützen.«
Henri schüttelte den Kopf und sagte: »Ah! man sieht wohl, daß du sie nicht kennst, Bruder.«
»Doch, doch, ich kenne sie; das heißt, ich kenne alle Frauen, und da sie in der Zahl inbegriffen ist, so wollen wir den Mut nicht sinken lassen.« – »Oh! mein Gott! Bruder, du sagst mir das mit einem ganz entmutigten Tone.«
»Durchaus nicht; nur muß der Bürger von heute an jedem Abend seine Serenade bekommen.« – »Sie wird ausziehen.«
»Warum, wenn du nichts sagst, wenn du sie nicht bezeichnest, wenn du stets verborgen bleibst? Hat der Bürger etwas geredet, als man ihm diese Artigkeit erwies?« – »Ja, er hat eine Rede an das Orchester gehalten .... Ah! sieh, Bruder, er will in der Tat noch einmal sprechen.«
Entschlossen, in der Sache ins klare zu kommen, stand Briquet wirklich auf, um zum zweiten Male den Direktor des Orchesters zu befragen.
»Schweigt da oben und geht hinein,« rief Anne in seiner üblen Laune, »zum Teufel, da Euch die Serenade zuteil geworden ist, so habt Ihr nichts zu sagen, haltet Euch also ruhig.« – »Meine Serenade, meine Serenade,« erwiderte Chicot mit der freundlichsten Miene; »ich will wenigstens wissen, an wen meine Serenade gerichtet ist.«
»An Eure Tochter, Dummkopf.« – »Verzeiht, Herr, ich habe keine Tochter.«
»An Eure Frau also.« – »Ich bin, Gott sei Dank, nicht verheiratet.«
»An Euch persönlich, und wenn du nicht hineingehst ....«
Joyeuse verband die Tat mit der Drohung und sprengte sein Pferd gegen den Balkon, und zwar mitten durch die Musiker.
»Alle Wetter!« rief Chicot, »wer wirft hier die Musiker nieder, wenn die Musik für mich ist?«
»Alter Narr,« brummte Joyeuse, das Haupt erhebend, »wenn du dein häßliches Gesicht nicht in deinem Rabennest verbirgst, so werden dir die Musiker alle ihre Instrumente auf dem Genick zerbrechen.«
»Laß diesen armen Menschen,« sagte du Bouchage, »er muß sich in der Tat sehr wundern!«
»Und warum wundert er sich, beim Teufel! ... übrigens siehst du wohl, daß wir, wenn wir einen Streit anfangen, jemand an das Fenster ziehen werden; prügeln wir also den Bürger, stecken wir sein Haus in Brand, wenn es sein muß, aber rühren wir uns, rühren wir uns.«
»Ich bitte, mein Bruder,« entgegnete Henri, »erpressen wir nicht die Aufmerksamkeit dieser Frau; wir sind besiegt, ergeben wir uns!«
Briquet verlor kein Wort von diesem Zwiegespräch, das helles Licht in seine noch verworrenen Ideen brachte; er traf im Geiste seine Anstalten zur Verteidigung, denn er kannte die Laune dessen, der ihn angriff.
Doch Joyeuse ergab sich den Vernunftgründen seines Bruders, ging nicht weiter und entließ Pagen, Diener, Musiker und Maestro.
Er zog sodann seinen Bruder beiseite und teilte ihm mit, daß er auf Befehl des Königs sofort nach Flandern gehen müsse; er bat den Bruder herzlich mitzukommen. Du Bouchage erklärte aber, sich von dem Orte seiner Geliebten nicht trennen zu können, worauf Joyeuse von seiner Bitte abstand und tröstend hinzufügte, er sei überzeugt, er werde bei der Rückkehr den Bruder für seine beharrliche Liebe belohnt finden. Joyeuse hieß darauf die Musiker heimgehen und ritt dem Bruder, der ihn bis zum Tor geleiten wollte, voran zur harrenden Eskorte.
Henri warf einen letzten Blick nach dem öden Hause, sandte ein letztes Gebet nach dessen Fenstern und folgte dann, langsam und beständig sich umwendend, dem Bruder.
Als Robert Briquet die jungen Leute mit den Musikanten sich entfernen sah, dachte er, die Entwicklung dieser Szene werde nun wohl erfolgen. Er zog sich daher geräuschvoll vom Balkon zurück und schloß das Fenster, ging aber innen zum Dach hinauf, das ausgezackt war, wie das der flämischen Häuser; er verbarg sich hinter einer dieser Auszackungen und beobachtete die Fenster gegenüber.
Sobald der Lärm auf der Straße aufgehört hatte und alles in die gewöhnliche Ordnung zurückgekehrt war, öffnete sich leise eines von den oberen Fenstern dieses seltsamen Hauses, und ein Kopf kam vorsichtig hervor.
»Nichts mehr,« murmelte eine Männerstimme, »folglich keine Gefahr mehr; es war eine Mystifikation, die sich an unsern Nachbar richtet; Ihr könnt Euer Versteck verlassen, gnädige Frau, und in Euer Zimmer hinabgehen.«
Bei diesen Worten schloß der Mann das Fenster wieder, ließ das Feuer aus einem Stein springen, zündete eine Lampe an und reichte sie einem Arm, der sich ausstreckte, um sie zu empfangen.
Chicot schaute angespannt. Doch kaum hatte er das bleiche und erhabene Antlitz der Frau erschaut, die die Lampe in Empfang nahm, und den sanften, traurigen Blick aufgefaßt, der zwischen dem Diener und der Gebieterin ausgetauscht wurde, als er selbst erbleichte und fühlte, wie ein eisiger Schauer seine Adern durchlief.
Die junge Frau war kaum vierundzwanzig Jahre alt. Sie stieg nun die Treppe hinab; ihr Diener folgte ihr.
»Ah!« murmelte Chicot, der mit der Hand über die Stirn fuhr, um sich den Schweiß abzuwischen,