„Was hast du herausgefunden, Relak?“
Skyler hielt die langen, muskulösen Arme auf die einzig freie Stelle unseres Küchentisches abgestützt, die Finger voller Tatendrang gespreizt. Als er mich wahrnahm, schenkte er mir ein aufmunterndes Lächeln.
„Gesell dich zu uns, Avery. Was Relak zu sagen hat, betrifft uns alle.“
Auf nüchternem Magen, inmitten ausdünstender Männerkörper, fühlte ich mich unbehaglich. Außerdem hielt ich mich nicht für die Politik berufen. Doch Skylers Arm umfing meine Taille bereits, um mich näher zu sich heranzuziehen. Sein flüchtiger Blick in meine Richtung drückte so viel Stolz und Wärme aus, dass ich mich nicht zu widersetzen vermochte. In den Gesichtern der anderen las ich hingegen Missbilligung, doch wagte niemand ihm die Stirn zu bieten.
„Nun, Relak?“, drängte er den jungen Mann.
Etwa fünfundzwanzig von Skyler ausgewählte Männer stellten den Stadtrat. Ehemalige Bowmen, Männern aus den umliegenden Clans sowie der zehn größten Städte Kandalars.
Relak fuhr sich über das stoppelige Kinn, als müsse er seine Antwort jetzt, wo ich mit im Raum saß, besonders abwägen.
„Nun ja, es wird berichtet, dass Banden übers Land ziehen, die …“, er räusperte sich, sein Blick huschte zu Skyler, als habe er Angst vor dessen Reaktion. „Die Frauen rauben und sie zwingen, sich ihnen anzuschließen. Im Namen der Bowmen, auf Befehl Skylers.“
In der zum Bersten gefüllten Küche trat betroffene Stille ein. Alle Augen hefteten sich auf Skylers angespannten Körper, der wie zum Sprung bereit dastand. Doch er nickte nur mit unergründlicher Miene. Ein kalter Schauder durchfuhr mich, als ich die Tragweite begriff, die diese Information nach sich zog.
„Was Relak damit sagen will, ist“, erklärte Skyler, und sah dabei jeden Einzelnen in der Runde an. „Das dies der einstigen Vorgehensweise der Herren von Kandalar und der Bowmen entsprach.“
Ausrufe der Empörung wurden laut, gefolgt von deftigen Flüchen. Skyler hob gebieterisch die Hand. Es dauerte einen Moment, bis sich die Gemüter wieder beruhigten.
„Ich blicke nicht mit Stolz auf die jüngste Geschichte zurück, zu der die Bowmen, deren Anführer ich war, ihren Teil beitrugen. Doch ich versichere euch, dass niemand, ich wiederhole, niemand, in meinem Auftrag derartiges durchführt.“
„Das ist ja ungeheuerlich.“
„Man sollte meinen, dass diese Zeiten vorbei sind.“
„Gibt es Beweise für diese Anschuldigungen?“
Alle redeten durcheinander. Skylers Arm, der eben noch meine Taille umfasste, glitt ein Stück höher und strich mir wie nebenbei über den nackten Oberarm, bevor er mit der flachen Hand auf die Tischplatte schlug, um sie zur Räson zu bringen. Erschrocken zuckte ich zusammen.
„Es steht euch frei, diese an den Haaren herbeigezogenen Anschuldigungen zu glauben oder sie als das zu erkennen, was sie in Wahrheit sind: Eine verleumderische Hetzkampagne, um mich in Misskredit zu bringen. Ich muss euch nicht daran erinnern, dass wir uns mitten im Wahlkampf befinden. Jeder wird versuchen, die Konkurrenten aus dem Spiel zu stoßen. Freie Wahlen sind für Kandalar eine völlig neue Situation, nach einer über sechshundertjährigen Zeit der Tyrannei.“
Er löste sich von der Tischplatte und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Eine imposante Erscheinung von knapp zwei Metern.
„Daher habe ich euch mit Bedacht in den Kreis meiner Vertrauten gewählt. Ihr wisst, wie die Menschen in Ludimnis, Scarles oder der Goldenen Stadt Timno Theben denken, um nur einige zu nennen. Ich will ein einheitliches Kandalar schaffen, in dem jeder Bürger, bis hinunter zum Knecht und Bettler, das Recht auf ein friedliches Leben hat. Und auch wenn es in den meisten Köpfen noch nicht verankert ist schließt dies mit ein, dass Frauen keine willenlose Handelsware mehr darstellen.“
Zur Bekräftigung seiner Worte griff er nach meinem Arm und schob den Armreif mit dem Daumen hinunter.
„Keine Frau wird mehr als das Eigentum eines Mannes gebrandmarkt. Dafür verbürge ich mich.“
Er küsste die blasse Narbe auf meinem Arm und schob den Reif wieder darüber.
„Was ich damit sagen will, ist, dass es nicht leicht sein wird, über Jahrhunderte gepflegte Strukturen von heute auf morgen aufzubrechen. Doch ein Anfang ist gemacht.“
Verhaltene Lacher folgten. Allmählich nahm die Anspannung im Raum ab.
„Aber zurück zum Wahlkampf. Jeder Statthalter wird in den nächsten Wochen und Monaten darauf bedacht sein, sich selbst ins beste Licht zu rücken und Rivalen auszustechen. Ein Kampf ohne Regeln, um daraus als Esch hervorzugehen. Ihr habt euch in diesem Kampf bereits für mich entschieden. Nun gilt es, ungeachtet der Intrigen, die bereits gestreut wurden oder noch gesät werden, vereint aufzutreten. Denn was ich bin oder sein werde, bin ich nur durch euch, die ihr die Stimmen der Menschen von Kandalar vertretet.“
Ehrfürchtig verneigte er den Kopf vor den hier Anwesenden. Ein Jubel entbrannte.
„Ta-Sedem, Skyler“, stieß einer nach dem anderen aus, die Faust dabei zweimal auf die Seite des Herzens schlagend.
Ta-Sedem – für oder mit dem Herrscher. Ein Wort aus der alten Zeit.
„Ta-Sedem, Skyler“, ließ auch ich mich von der Woge der Begeisterten mitreißen. Wie selbstverständlich schlug ich meine Faust ebenso auf die Seite des Herzens.
„Ich danke dir, Montai“, berührte mich Skylers Stimme in Gedanken und an seine Männer gewandt: „Habt Dank.“ „So, ich könnte jetzt was zu Essen vertragen. Wie steht es mit euch?“, fragte ich in die Runde. Wie als Antwort auf meine Frage knurrte mir der Magen. „Eine gute Gelegenheit, die Räumlichkeiten unseres neuen Hauses in Augenschein zu nehmen. Ich schlage vor, wir setzen unsere Besprechung dort fort. Treffen wir uns in einer halben Stunde am Bauplatz zu einem improvisierten Mahl und jeder bringt etwas zu essen mit. Somit können wir gleich feststellen, ob ich die Küche groß genug eingeplant habe oder die Baumeister Änderungen vornehmen müssen.“ Lachend verließen sie nacheinander zügig den Raum. „Was habe ich doch für eine bezaubernde Frau“, umschmeichelte mich seine sanfte Stimme, kaum, dass die Männer aus dem Haus waren. Seine Hände ruhten auf meiner Schulter und schoben sich unter die Träger meines Leinenkleides. Ich spürte seinen erhitzten Körper hinter mir wie einen glühenden Ofen. „Wie schön du bist.“ Spielerisch wickelte er eine kupferfarbene Locke um den Finger, küsste die freigewordene Stelle auf meinem Nacken. Genießerisch bog ich ihm meinen Hals entgegen. „Wenn die Zeit nicht zu knapp wäre, wüsste ich, was ich jetzt lieber täte“, knurrte er. „Stattdessen muss ich mit einer Bande störrischer Männer ein Picknick in einem halb fertigen Haus abhalten.“ Seufzend rückte er die Träger meines Kleides wieder an ihren Platz zurück. „Nun denn.“ Wehmut stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Lass uns ein paar Lebensmittel für ein ordentliches Mahl einpacken.“ Obwohl ich ursprünglich andere Pläne verfolgte, gab ich nach. Ich griff nach einer Tonschale mit Brombeermarmelade, packte Butter und ein dunkles Krustenbrot in einen Korb, dazu Schinken, Räucherwürste und zwei Sorten Käse, nebst ein paar Pfannkuchen vom Vortag. Ich füllte Wasser in einen Krug, den ich mit einem Deckel verschloss, um nichts zu verschütten, und packte kurzentschlossen noch ein paar eingelegte Gurken dazu. „Was?“, ich sah ihn fragend an. „Wie viel Personen hast du eingeplant?“ Skyler hob belustigt eine Braue in die Höhe. „Zwei. Die anderen mögen sich selbst etwas mitbringen.“ Ich drückte ihm den Korb in die Hand, der unter der Last knarrte wie ein Handkarren. „Können wir los? Ich habe einen Bärenhunger.“ Als wir an der Baustelle eintrafen, waren die meisten Ratsmitglieder bereits vor Ort. Augenblicklich legten die Handwerker ihre Arbeit nieder. Unser Eintreffen bot ihnen eine willkommene Pause. Für den Bau des neuen Hauses waren sowohl Bambuselemente aus Greenerdoor als auch Steine aus den Ellar Hills verbaut worden. Ein geräumiger Keller mit gekalkten Wänden sowie das Erdgeschoss, waren bereits fertiggestellt,