Das Mädchen mit dem Flammenhaar. Janet Borgward. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janet Borgward
Издательство: Bookwire
Серия: Das Mädchen mit dem Flammenhaar
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742710345
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seine unbedachte Äußerung zurückzunehmen. „Verdammte Dickschädel! Alle beide.“ Mit einem übertriebenen Ächzen setzte sie den Kräutersack ab, als wöge er Tonnen. „Was hat er gesagt?“ Die Arme vor die mächtige Brust gekreuzt sah sie zu mir auf. Ich nagte an der Unterlippe. „Dass er seine Mädchen haben will und ich seine Frau werden soll. Verstehst du? Ich soll, er will. Das ist sein Hauptvokabular. Nie fragt er, was ich möchte.“ Mein Hals wurde eng, die Augen feucht. Ob die Hormone mich zu einem heulenden Etwas mutieren ließen? Ich wollte so nicht sein. Jodee neigte den Kopf zur Seite. Ihr Zeigefinger strich nachdenklich über ihre wulstige Oberlippe. „Soll ich ihn in eine pockige Kröte verwandeln?“ „Wenn du das für mich tun könntest, wäre ich dir auf ewig dankbar.“ Langsam löste sich die Anspannung in mir. „Aber es wäre mir lieber, er käme aus freien Stücken zu mir, anstatt immer nur Forderungen zu stellen.“ Ich griff nach meinem Sonnenhut und bewegte mich auf die Tür zu. „Du läufst ihm jetzt aber nicht hinterher oder?“ „Nein. Ich brauche einen klaren Kopf und frische Luft. Benötigst du noch mehr Kräuter?“, fragte ich scheinheilig. Jodee lachte, dass ihre beträchtliche Brust erbebte. „Beim besten Willen nicht.“ Ich nicke und verließ ihr bescheidenes Haus, in dem sie lebte, Kranke behandelte und Tinkturen ansetzte, für und gegen alles Mögliche. Wie immer, wenn ich nachdenken musste, trugen mich die Füße zum Mukonor. Aufgrund des seit Monaten ausbleibenden Regens war sein Pegel bedenklich niedrig. Immer seltener fanden sich daher Handelsschiffe bei uns ein. Nur hin und wieder legten Flöße an, die mit dem Niedrigwasser besser zurechtkamen. Überhitzt suchte ich einen Schattenplatz auf. Meiner hellen Haut bekam die intensive Sonne nicht. Den Kopf in den Nacken gelegt, schaute ich zum wolkenlosen Himmel auf. Wenn es doch nur endlich Regen gäbe! Die von mir geschaffenen Bewässerungssysteme liefen bald trocken und Gullorway würde aussterben, noch bevor die Stadt sich richtig entfaltete. Die ersten Bauern gaben bereits auf, wanderten in ertragreichere Regionen ab. Sank die Einwohnerzahl wieder unter zweitausend, verloren wir die mühsam erworbenen Stadtrechte. Skyler wäre nicht länger Statthalter. Skyler. Der Mann brachte mich noch um den Verstand, und dennoch kam ich nicht von ihm los. Er beherrschte mein Denken und dies nicht nur im übertragenen Sinne. Aufkommende Übelkeit bahnte sich passenderweise ihren Weg nach oben und wrang den Inhalt meines Magens aus wie einen nassen Lappen. Sollte das jetzt die nächsten Monate so weitergehen? Während ich würgend und spuckend an einem Baumstamm lehnte, malte ich mir im Kopf die wildesten Szenarien aus. Wie ich meine Mädchen allein großzog, weil Skyler als Botschafter durchs Land zog oder einen anderen Vorwand fand, mir aus dem Weg zu gehen, da ich keine Sass-Delors bekam. Oder, dass sie gar nicht erst zur Welt kamen, ich im Kindbett starb. Seine Worte in den Höhlen Merdorans brannten sich mir ebenso ins Gedächtnis, wie einst das Brandmal der Bowmen auf meinem Arm. „Du bist die Tochter einer Magierin, einer dunklen Magierin.“ „Und das bedeutet automatisch, dass ich auch Böses im Sinn habe oder haben werde?“ „Du vielleicht nicht, aber dein Kind, wenn es geboren wird. Unser Kind, wenn wir jemals eines haben sollten.“ „Sagt wer?“ „Dein Lesestein – liest du eigentlich nie darin?“ Vor ein paar Tagen fand ich die Passage, die Skyler zu meinen schien. Doch konnte man sie durchaus auch anders deuten. ‚Zwei Mädchen, eine jede die Kopie der anderen, ihr Antlitz den Göttern gleicht. Wenn sie erblicken das Licht der Welt, ein tödliches Tuch aus Staub und Sand der Menschheit Mantel ist‘. Für mich las es sich so, dass nicht die Mädchen selbst das Böse darstellten – was immer das sein mochte – sondern nur in eine Zeit hineingeboren wurden, in der dieses Ereignis stattfand. Wenn ich jedoch immer nur Teilabschnitte las, würde ich nie eine Antwort finden. Doch im Augenblick fühlte ich mich zu aufgewühlt. Ich verfügte nicht über die erforderliche Konzentration, zum Lesen einer verschlüsselten Botschaft, noch dazu, wo ich Skylers gedankliche Kontaktaufnahme abzuwehren versuchte. Der Nachmittagssturm nahm zu, zerrte an meinen Haaren und vertrieb die wenige Feuchtigkeit, die die Schatten des Waldes für sich aufsparten. Wie launisch doch die Natur war. Im Dschungel Greenerdoors regnete es oftmals wochenlang, was eine üppige Vegetation hervorbrachte, wohingegen Gullorway … „Hat man denn nirgends seine Ruhe?“, knurrte ich, aus meinen Grübeleien gerissen. Trotz des Rauschens trockener Blätter im Wind vernahm ich Skylers Schritte. Weil ich ihn hören sollte, wie ich mutmaßte. „Jedenfalls nicht vor mir.“ Er schwieg. Schien nach Worten zu suchen. Wie immer in solchen Augenblicken wirkte er unbeholfen, wo er sich sonst bestens darauf verstand Reden zu halten. „Ist dir noch übel?“, fragte er mit flüchtigem Blick auf die verräterischen Spuren auf dem Boden. „Im Moment mehr denn je.“ Ich sah ihm offen ins Gesicht. Selten verletzten mich seine Worte derart, wie die Reaktion darauf, Vater von Töchtern zu werden. „Was erwartest du von mir, Avery? Dass ich mich vor dir in den Staub werfe?“ Sein Brustkorb hob und senkte sich in rascher Folge vor unterdrücktem Zorn. „Das wäre zumindest ein Anfang!“, erwiderte ich unbeeindruckt. Kühl nahm ich ihn ins Visier. Wartete. Dann nickte er ergeben. Galant griff er nach meiner Hand und hauchte einen Kuss darauf. Er beugte das Knie vor mir und rief inbrünstig gegen den tosenden Sturm an. „Ihr Götter, vergebt mir, dass ich blind war für das Glück vor meinen Augen!“ Seine Augen sprühten geradezu Funken. Die theatralische Darbietung gelang ihm meisterlich. „Avery, kannst du mir meine unbedachten Worte verzeihen? Und falls ja, willst du meine Frau werden? Dann schwöre ich bei den Göttern und allem, was mir heilig ist, dich und unsere Kinder zu lieben und zu beschützen, vor den Dämonen dieser Welt und darüber hinaus.“ „Große Worte, Botschafter von Kandalar, Statthalter Gullorways. Aber bist du auch dazu bereit, wenn es Mädchen sind?“ „Gerade weil es Mädchen sind!“ Ein siegessicheres Lächeln huschte über seine Lippen. „So lautet meine Antwort …“, ich zählte lautlos bis zwanzig, spielte mit dem Saum meines Hemdes und richtete den Blick anschließend auf einen imaginären Punkt in die Ferne. „Ich muss es mir überlegen.“ Und fügte im Geiste hinzu: „Du verdammter Schurke.“„Das habe ich gehört.“ „Das kannst du nicht gehört, sondern nur in meinen Gedanken gelesen haben.“ „Hören sie mit?“, versuchte Skyler abzulenken und sah zu mir auf. Den Kopf horchend an meinem Bauch gepresst. „Wer?“, fragte ich zerstreut. „Unsere Zwillinge.“ „Wohl kaum. Sie sind ja erst wenige Millimeter groß.“ In einer fließenden Bewegung kam er wieder auf die Beine, nahm mich vorsichtig in die Arme, als sei ich aus Glas. Schweigend standen wir eine Weile einfach nur da. Ich spürte seinen aufgeregten Herzschlag durch das weiche Leder seines Hemdes, bis er mit meinem in Einklang schlug. „Hab Geduld mit mir, Avery“, hauchte er in mein Haar hinein. „Ich ertrage es nicht, von dir abgewiesen zu werden. Nach deiner Zeit bei den Javeérs …“ Seine letzten Worte verschluckte der Sturm. Ich zog den Kopf zurück, um ihm in die Augen schauen zu können. „Als ob dich das davon abhielte, deinen Willen durchzusetzen.“ Ich suchte in seinem Gesicht nach Bestätigung meiner Worte und traf nur auf Augen, die einen Glanz enthielten, wie ich ihn nie zuvor bei ihm sah. „Egal wie du dich entscheidest, du machst mich zum glücklichsten Mann von Kandalar, Montai. Ich wusste es vom ersten Augenblick, als ich dich sah.“ Seine Hände fuhren mit einer Zärtlichkeit über mein Gesicht, als wollte er sich jeden Zentimeter davon einprägen. „Warum vertraust du dann nicht einfach deinen Gefühlen?“ Er sah mich verständnislos an. „Ich weiß nicht, was du meinst, Avery.“ „Warum hast du mir in Merdoran deine Kapseln mit den Worten ‚für immer mein’ und nicht die von Jodee gegeben?“ Seine Hände ließen kaum merklich von meinem Gesicht ab und ergriffen meine zu Fäusten geballten Finger. „Weil ich Angst davor hatte, dich an jemand anderen zu verlieren.“ Seine Offenheit verblüffte mich. „Wer hätte das denn sein sollen? Etwa einer der uralten Javeérs?“ Mein Ton klang ruhig und bestimmt. Nie war ich seinen wahren Beweggründen näher denn in diesem zerbrechlichen Moment. „Und wenn es so wäre?“ Forschend sah er mich an. „Skyler, du hast selbst bei den Javeérs gelebt. Du hast sie gesehen. Alte Männer, die das Schicksal zwang, Jahrhunderte zu überleben. Es fällt mir schwer, dies zu glauben.“ Er atmete tief ein. „Aber dennoch Männer.“ Ein Lachen bahnte sich meinen Hals empor. Rasch wandte ich den Kopf zur Seite. War es tatsächlich möglich, dass der ach so starke Skyler tief in seinem Herzen unsicher war, was unsere Beziehung betraf? Mir die Javeérs als Nebenbuhler vorzustellen ging selbst in meinen wildesten Fantasien zu weit. „Das war es nicht, und das weißt du verdammt genau.“ „Nein. Du hast recht.“ Er schob seine Hand unter mein Kinn und zwang mich ihn anzusehen. „Ich wusste, dass ich dich für eine unbestimmte Zeit bei den Javeérs zurückließ und du mich dafür hassen würdest.“ „Es wäre immer noch meine Entscheidung gewesen, Skyler“, sagte ich leise. „Genau