Das Mädchen mit dem Flammenhaar. Janet Borgward. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janet Borgward
Издательство: Bookwire
Серия: Das Mädchen mit dem Flammenhaar
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742710345
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All mein Mut, den ich noch vor wenigen Augenblicken besaß, war verflogen. „Ich will, dass Woodrow Tag und Nacht bewacht wird! Vermutlich ist er nicht allein hierhergekommen. Man wird versuchen, ihn zu befreien.“ Erschöpft rieb ich mir die Schläfen. „Geht es dir gut, Avery-Statthalterin?“ Ich zuckte zusammen, als Nisar mich mit diesem Titel ansprach. Auch die anderen bekundeten mir ihren Respekt. „Ja, danke. Es geht schon.“ In Wahrheit zweifelte ich daran, ob all dies nicht meine Kräfte überstieg. Ich war nicht fürs Kämpfen oder Regieren geboren. Heilen war meine Bestimmung. Doch wie die Dinge im Moment lagen, hatte ich keine andere Wahl. Während ich ihren Auslegungen von Woodrows Auftreten lauschte, plante ich im Stillen, einen Schutzwall um sein Verlies zu legen, damit ihm jeglicher Fluchtversuch misslang und er auch von niemandem sonst befreit werden konnte. „Wir sind jedenfalls dankbar dafür, dass du so besonnen gehandelt hast, Avery-Statthalterin“, schloss Orinon seinen Bericht. Zustimmendes Gemurmel bestätigte seine Feststellung. Ich nickte beifällig. „Wie sollen wir weiter vorgehen?“ Da war sie, die Frage, vor der ich mich fürchtete. Ich sah mich nicht als Anführerin, wollte nicht Schicksal spielen für eine ganze Stadt. „Wir müssen Augen und Ohren offenhalten, mehr denn je. Zum derzeitigen Zeitpunkt haben wir weder Kenntnis darüber, ob er in jemands Auftrag handelte oder auf eigene Rechnung. Bis wir Genaueres wissen, bleibt er unser Gefangener. Sendet Späher aus, die seine Aussagen prüfen. Möglich, dass anderen Orts Ähnliches vorgefallen ist. Verdoppelt die Wachposten an den Stadtmauern ebenso wie innerhalb der Stadt. Ich will, dass jeder der hinein oder hinaus geht, genauestens kontrolliert wird. Wir müssen den Bürgern Gullorways ein Gefühl von Sicherheit vermitteln, auch wenn ihr Statthalter nicht vor Ort ist. Und ich will über sämtliche Aktivitäten in Gullorway sowie der näheren Umgebung informiert werden! Sind wir uns darüber einig?“ Zustimmendes Gemurmel. Zögernd schlug ein jeder seine Faust zweimal gegen die Brust. Vorerst akzeptierte man mich als Skylers Vertretung. Dennoch konnte die Stimmung jederzeit umschlagen.

      Obwohl völlig erschöpft, gönnte ich mir keine Ruhe. Stattdessen stattete ich Woodrow einen Besuch ab, nicht nur um mich von seiner ordnungsgemäßen Verwahrung zu überzeugen. Von zwei Männern bewacht, hatte man ihn in einem Trakt des Gefängnisses untergebracht, indem er verborgen vor den Augen der anderen Häftlinge blieb. Niemand brauchte vorerst zu wissen, dass wir den Statthalter von Alebas als Gefangenen festhielten. Bei meinem Eintreffen zögerten die Wachen kaum merklich, bevor sie beiseitetraten.

      „Haltet euch bereit!“, wies ich sie an, bevor ich die Tür hinter mir schloss.

      Ich entdeckte Woodrow im Halbdunkel seiner Zelle. Er hockte auf einer Pritsche. Ein Teller mit unberührtem Essen und ein Krug Wasser standen in Reichweite.

      „Will sich die Frau des Statthalters von Gullorway persönlich von der sicheren Unterbringung ihres Gefangenen überzeugen?“ Er warf mir einen spöttischen Blick zu. „Keine Angst, mit mir allein in einem Raum zu sein, Avery?“

      „Wir sind nicht im selben Raum. Du bist hinter Gittern und in Ketten gelegt, Woodrow.“

      „Dennoch fürchtest du mich.“ Trotz der misslichen Lage behielt er den arroganten Tonfall bei. „Warum sonst errichtest du einen Schutzwall?“

      Mein Handeln war ihm also nicht verborgen geblieben.

      „Aus welchem Grund hast du das getan, Woodrow? Ist dein Hass auf Skyler so groß?“, ging ich zum Gegenangriff über.

      „Was wird mir denn zur Last gelegt?“

      „Stell dich nicht dümmer als du bist. Du weißt genau, wessen man dich bezichtigt.“

      „Spielst du dich jetzt auch als Richterin auf?“

      Er sah zu mir herüber. Trotz der Einschränkung, die ihm die Ketten boten, gab er sich betont lässig.

      „Es liegt mir fern, zu richten.“

      „Stimmt. Du kannst dich ja magischer Mittel bedienen. Vielleicht warst du es am Ende selbst, die die Morde begangen hat? Fließt in deinen Adern nicht auch das Blut der dunklen Magier, Mädchen mit dem Flammenhaar?“

      Seine Worte trafen mich bis ins Mark.

      „Du wirst deine Fähigkeiten nicht ewig verbergen können. Selbst euren einfältigen Ratsmitgliedern dürfte nicht verborgen geblieben sein, dass ich mich ohne Widerstand entwaffnen ließ, wohingegen mir die Augen fast aus dem Kopf hervorquollen.“

      Ich bemühte mich, Ruhe zu bewahren, obwohl mir das Herz bis zum Hals schlug.

      „Die Sage von dem Mädchen mit dem Flammenhaar dürfte den Menschen wohl noch vertraut sein“, ließ ich mich hinreißen.

      „Jeder legt sich die Geschichte zurecht, an die er glauben will, nicht wahr? Zumal sie noch in keinem Buch nachzulesen ist, oder täusche ich mich da?“

      „Es wird wieder Bücher geben, so wahr ich hier stehe.“

      „Ja, so wahr du dort stehst, mit dickem Bauch.“ Ein seltsamer Ausdruck trat in seine Augen. „Zwei Mädchen, eine jede die Kopie der anderen, ihr Antlitz den Göttern gleicht. Wenn sie erblicken das Licht der Welt, ein tödliches Tuch aus Staub und Sand der Menschheit Mantel ist“, rezitierte er den Sagentext.

      Mir wurde die Kehle eng. Schwindel erfasste mich. Ich war nicht in der Lage, mich seinen Worten zu entziehen.

      „Trägst du Zwillinge in deinem Bauch, Avery? Skylers Frucht? Dann Gnade der Menschheit, wenn Skyler als Esch zurückkehrt.“

      Taumelnd verließ ich den Kerker, um seinen Worten zu entkommen. Sein boshaftes Lachen begleitete mich, als ich an den Wachen vorbei nach draußen stürmte. Erst vor Jodees Haus hatte ich mich wieder einigermaßen gefasst.

      „Was ist los?“, fragte sie, kaum dass ich den Raum betrat.

      Zum Glück traf ich sie allein an. Ich berichtete von der unfreiwilligen Ratssitzung, von Woodrows Erscheinen und meinem Verdacht, dass er die Morde angezettelt habe, wenn nicht gar selbst begangen.

      „Hm. Wo ist er jetzt?“

      „Im Stadtverlies. Ich … habe einen Schutzwall errichtet.“

      „Sehr gut“, lobte Jodee und rieb die Handflächen aneinander. Ihre weißen Zähne blitzten anerkennend auf. „Und was ist mit seinen Waffen?“

      „Habe ich ihm abnehmen lassen.“

      „Ausgezeichnet.“ Sie nickte zustimmend. „Wo werden sie aufbewahrt?“

      „Ich hatte den Wachen befohlen …“

      „Geh sie holen! Wir nehmen sie sicherheitshalber hier unter Verschluss. Vor allem, den Stab, den Woodrow stets am Gürtel trägt, genau wie Skyler.“

      Ich sah sie verständnislos an.

      „Ich habe lange genug bei den Bowmen gelebt, um ihre Tricks zu kennen. Also?“

      „Bin schon unterwegs.“

      Es widerstrebte mir zwar, mich abermals zum Gefängnis zu begeben, doch vertraute ich Jodees Intuition. Überrascht sahen mich daher die Wachen an, als ich so kurz nach meinem Fortgehen erneut eintraf.

      „Wo bewahrt ihr die Waffen des soeben eingelieferten Gefangenen auf?“, fragte ich ohne Umschweife.

      „Wozu willst du das wissen?“, begehrte einer von ihnen auf.

      „Bist du taub? Als die Frau des Statthalters frage ich dich: Wo sind seine Waffen?“

      „In der Waffenkammer, wo sonst? Gleich die Ecke herum, aber …“

      Er erhob sich, um mich am Weitergehen zu hindern.

      „Danke, ich finde allein dorthin.“

      Mit einem unguten Gefühl folgte ich seiner Beschreibung. Die Rüstkammer wurde nur von einer einzelnen Wache geführt. Schläfrig hockte er hinter dem Schreibtisch, den Kopf auf die Hände gestützt. Bei meinem Eintreten richtete er sich betont gelangweilt auf.

      „Was gibt’s?“, fragte er träge und gähnte mich ungeniert an. Nachlässig glitt ihm der Umhang von den Schultern, als er die verspannten Glieder streckte.

      „Weißt du, wer ich bin?“

      „Natürlich. Du bist die Frau des Statthalters.“

      Er