Das Mädchen mit dem Flammenhaar. Janet Borgward. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janet Borgward
Издательство: Bookwire
Серия: Das Mädchen mit dem Flammenhaar
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742710345
Скачать книгу
wild gestikulierend am Ende des Tisches, dessen Platz Skyler gebührte. Die Männer starrten mich mit offenen Mündern an, als ich mitten in Woodrows Redefluss hineinplatzte. Obwohl in der Kleidung einer Heilerin gewandet, schritt ich wie eine Königin auf ihn zu, darauf hoffend, dass er mir meine Unsicherheit nicht ansah. „Hast du dich verirrt, Woodrow-Statthalter von Alebas?“ Ich benötigte keinerlei magische Kräfte, ihn beiseite zu fegen. Allein mein Zorn verlieh mir Größe und offenbar eine gewisse Präsenz. Unwillkürlich wich er vor mir zurück. Nur am Rande nahm ich seine imposante Erscheinung wahr, eindrucksvoll in der Robe eines Statthalters gekleidet. Ich blickte prüfend in die Runde. „Und ihr wollt die Vertrauten meines Mannes sein, wo ihr, kaum dass Skyler seinen Stuhl verlässt, einen Fremden seinen Platz einnehmen lasst?“, spie ich verächtlich aus. Im Zorn wuchs ich über mich hinaus. Vierzehn Augenpaare starrten mich in allen Facetten ihrer derzeitigen Gefühlsregung an. „Ich gehe mal nicht davon aus, dass dieser Besuch als Interessenaustausch zwischen den Städten gilt?“ „Wir wussten ja nicht, dass du …“ „Skyler hat nichts davon gesagt wer …“ „Ich bin die Frau des Statthalters von Gullorway und ersten Botschafters Kandalars!“, fuhr ich sie an. „Und in dieser Funktion vertrete ich meinen Mann. Wer also meint, sich darüber hinwegsetzen zu wollen, wird sich bei Skylers Rückkehr verantworten müssen!“ Meine Worte blieben nicht ohne Wirkung, wenn ich auch nicht daran glaubte, dass sie Skylers Format besaßen. Woodrow trat beiseite, sich spöttisch vor mir verneigend. „Verzeih mir mein unhöfliches Auftreten, Avery …“ „Nein, ich verzeihe nicht“, fiel ich ihm ins Wort. „Du kannst draußen warten, bis der Rat mich in Kenntnis gesetzt hat, was der Grund dieses unangekündigten Zusammentreffens ist!“ Unnachgiebig sah ich ihn an. Er presste die Zähne aufeinander und verließ um Würde bemüht den Raum. Nur mit Mühe unterdrückte ich ein Zittern. Ich durfte jetzt keine Schwäche zeigen. „Ich höre!“ Ich bemühte mich, das schmerzhafte Pochen in meinem Unterleib zu ignorieren. Würdevoll ließ ich mich auf Skylers Stuhl nieder. Meine Finger umschlossen die Armlehnen, ertasteten die geschnitzten Schlangenköpfe darauf – geflügelte Schlangen, Skylers Symbol. Allmählich beruhigte ich mich. „Ornion, ich frage dich als Dorfältesten Gullorways, weil ich in dir die Weisheit sehe, die mich deine Ratskollegen momentan vermissen lassen.“ Ich blendete alle Gedanken dahingehend aus, ob meine Handlungsweise in diesem Moment die richtige darstellte. Wenn ich schon ins kalte Wasser geworfen wurde, wie Jodee es nannte, musste ich versuchen mit dem Kopf an der Oberfläche zu bleiben, in alle Richtungen strampeln, bis ich das rettende Ufer erreichte. Ornion leckte sich nervös über die Lippen, spielte auf Zeit. Sein schütteres Haar reichte ihm bis knapp auf die Schultern. Silbrig weiß wie die Farbe des Mondes in einer klaren Nacht. Wenn auch jenseits der fünfzig, wirkte sein Blick wach und aufmerksam. „Avery, Frau des Statthalters von Gullorway und ersten Botschafters Kandalars“, er verneigte sich höflich. „Ich muss mich im Namen meiner Ratskollegen entschuldigen. Wir hätten dich natürlich zu unserer Zusammenkunft mit einberufen müssen. Doch erforderten die Geschehnisse der letzten Tage ein rasches Handeln und du warst nicht auffindbar.“ Lüge. Ich las es in seinen Gedanken, obwohl es mir widerstrebte, dies zu tun. Doch wenn ich der männlichen Domäne an der Tafel einen Schritt voraus sein wollte, musste ich zu dieser List greifen. „Jeder hier am Tisch weiß, wo ich wohne und dass ich als Heilerin tätig bin. Es wäre ein Leichtes gewesen, meinen Aufenthaltsort herauszubekommen. Hast du noch etwas anderes vorzubringen als diese billige Ausrede, Ornion?“ Der alte Mann ließ sich nicht anmerken, ob ihn meine Zurechtweisung erboste. „Wir wissen, dass du als Heilerin einen bedeutenden Beitrag in unserer Stadt leistest. Es erschloss sich uns bisher nicht, dass du auch an den Ratssitzungen interessiert bist. Die letzten Monate sahen wir dich nur selten hier.“ Ein begründeter Vorwurf. „Wie du siehst, sitze ich hier. Was war nun der Grund für eure Zusammenkunft und Woodrow-Statthalters Eindringen?“ Ich ließ mich nicht aus der Reserve locken. „Die beiden Todesfälle. Koray und Leart.“ „Was hat Woodrow damit zu schaffen, dass er auf Skylers Platz sitzt?“ „In seiner Stadt wurden ebenfalls Männer getötet. Ein wohlhabender Kaufmann aus Abylane, ein Scout aus Timno Theben und sein Schwager.“ Entsprach dies tatsächlich der Wahrheit? Ich traute Woodrow ebenso zu, Skylers Abwesenheit zu nutzen, um seine Gefolgsleute gegen ihn aufzuwiegeln. „Gibt es dafür Beweise?“, fragte ich, selbst erschrocken, wie kalt meine Stimme klang. Ich hatte Woodrows Intrigen und Ränkeschmieden nicht vergessen. Bei unserem letzten Aufeinandertreffen gingen wir nicht als Freunde auseinander. Wenn Skyler von seiner Anwesenheit wüsste, käme dies einer kriegerischen Handlung gleich. „Nur sein Wort.“ In diesem Moment bedauerte ich, dass Skyler den blauen Garbet, den Botenvogel der dunklen Magier, zu den Javeérs zurücksandte. Durch ihn wären wir in der Lage gewesen, zu sehen, was er sah. Im Moment blieb mir nur Orinons Wort. „Holt Woodrow herein! Ich will von ihm hören, was sich zugetragen hat!“ Rasch erhob sich Milow, um meiner Aufforderung Folge zu leisten. Bis jetzt lief alles gut. Keiner, der sich mir widersetzte. Woodrow trat ein. Seine Miene spiegelte sein Missfallen, auf meinen Befehl hin herbeizitiert zu werden und wie ein Bittsteller auftreten zu müssen. „Beliebt es der Frau des Statthalters von Gullorway nun, Gehör zu finden für die Probleme anderer Städte?“ Seine bissige Äußerung ließ ich augenscheinlich von mir abprallen, wenn sie mich auch im Herzen traf. „Unter Einhaltung der Etikette und allgemeiner Höflichkeitsregeln sehe ich darin kein Problem. Bitte.“ Ich wies auf einen freien Stuhl am Ende des Tisches. Widerstrebend nahm er darauf Platz. „Was ist also der Grund dafür, dass sich der Statthalter von Alebas nach Gullorway aufmacht, anstatt zu den Wahlen nach Timno Theben?“ Woodrow legte eine selbstgefällige Miene auf. „Ich bin nicht so machtversessen wie dein Mann, Avery. Mir genügt es, Statthalter von Alebas zu sein.“ Einen Moment war ich versucht, den Ratsmitgliedern am Tisch die Augen darüber zu öffnen, wie er zu diesem Amt gelangte, doch ich war kein Richter und wollte es auch nicht sein. „Ist das so?“ Gern hätte ich auch in seinen Gedanken gelesen. Da Woodrow aber um meine Gabe wusste, gelang es ihm, sein Innerstes vor mir zu verschließen. Dennoch, Trauer las ich nicht in seinen Zügen. „Auch Alebas wurde von Meuchelmördern heimgesucht, als Warnung, nicht dem falschen Mann zu dienen.“ Sowohl Skyler als auch Woodrow waren ehemalige Bowmen. Hatte man deshalb ihre Anhänger als Opfer ausgesucht? Oder wollte man nur, dass dieser Eindruck entstand? „Unter den Getöteten befand sich auch mein Schwager. Daher sah ich es als meine Pflicht an, die Nachbarstädte aufzusuchen, um mich mit ihnen über die vorherrschende Bedrohung auszutauschen, Avery.“ „Mein Beileid zum Verlust deines Schwagers, Woodrow-Statthalter.“ Bewusst wählte ich die formelle Anrede, um ihn in seine Schranken zu weisen. „Wann ist dieses Unglück denn geschehen?“ „Vor eineinhalb Wochen“, kam seine Antwort viel zu schnell, wie ich fand. „Und in der knappen Zeit hast du – pflichtbewusst wie du bist – Faronbendras, Gambel und Abylane bereits aufgesucht, Woodrow-Statthalter?“, köderte ich ihn. „So ist es.“ „Dann besitzt du wohl Flügel.“ Er fuhr von seinem Sitzplatz auf. Augenblicklich spürte ich die Gefahr, die von ihm ausging, bannte ihn an Ort und Stelle fest, doch nur so weit, dass es den anderen verborgen blieb. Ron, der neben mir saß, sprang ebenfalls auf. Die Hand am Dolch, den er am Gürtel trug, trat er beschützend an meine Seite. Seine edle Geste rührte mich. „Ich spare mir die Frage, wie du in der knappen Zeit von den Morden in Gullorway erfuhrst.“ Schwankend erhob ich mich, die Tischkante umfassend. Steckte etwa Woodrow hinter den feigen Verbrechen an Koray und Leart? Ging er in seiner Rache wirklich soweit, den Tod seines Schwagers in Kauf zu nehmen, nur, um Skyler aus dem Rennen zu werfen? All diese Gedanken rasten mir in Windeseile durch den Kopf und ich las in Woodrows Augen, dass er dies wusste. Ich musste handeln. „Ruft die Wachen! Nehmt ihm die Waffen ab!“ Allmählich ließ es sich kaum noch leugnen, dass Woodrow sich nicht freiwillig unbeweglich gab. Gegen die Festsetzung ankämpfend trat seine Halsschlagader deutlich hervor. „Habt ihr mich nicht verstanden? Ihr sollt die Wachen holen! Sofort!“ Erst bei meiner zweiten Aufforderung kamen sie in Bewegung. Sie waren es nicht gewöhnt, Befehle von einer Frau entgegenzunehmen. Meine Hände begannen bereits gefühllos zu werden. Lange konnte ich ihn nicht mehr bannen. Die Schwangerschaft schwächte mich zusätzlich. Ich sah Woodrows ungewohnt boshafte Augen auf mir ruhen, wusste, dass er auf Zeit spielte, um mich zu entkräften. Endlich schlug die Tür auf, die Wachen preschten herein, überwältigten den Mann, der wie ein Fels in der Brandung dastand, und legten ihn sogleich in Ketten. Erst da lockerte ich meinen mentalen Griff. „Bringt ihn in den Kerker. Ich traue ihm nicht über den Weg.“ Mein Atem kam stoßweise. Als Woodrow an mir vorbeigeführt wurde, spie er vor mir aus. „Das wird dir noch leidtun“,