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Meine Begeisterung für den Journalismus hat sich gelegt. Mittlerweile nehme ich die Medien fast ausschliesslich als profitgetriebene Unterhaltungsindustrie wahr. Natürlich gibt es Journalisten, die gute, notwendige und spannende Aufklärung betreiben, doch die meisten der Themen, die in den Medien Platz finden, halte ich für einfaltslos. Sie lenken meine Aufmerksamkeit auf für mich Unwesentliches, bestenfalls Interessantes. Doch interessant ist vieles, auch das Liebesleben der Bienen, hörte ich einmal Ajahn Sumedho, einen amerikanischen Theravada-Mönch bei einem Meditationsnachmittag in Bangkok sagen, doch darum gehe es nicht. Es gehe darum, ob etwas hilfreich sei. Hilfreich, um ein qualitativ gutes Leben zu führen, nicht um davon abzulenken, dass wir die Langeweile nicht aushalten.
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Nach fünf Jahren als Verlagsleiter hatte ich das Gefühl, bewiesen zu haben, was ich geglaubt hatte, beweisen zu müssen. Erst viele Jahre später habe ich realisiert, dass das Mich-Beweisen-Müssen eines meiner Muster ist, das man nicht mit Universitätsabschlüssen und einem angesehenen Job hinter sich lassen kann. Ich denke übrigens generell nicht, dass man irgendetwas überwindet, bewältigt oder hinter sich lässt. Sicher, vorstellen kann ich es mir schon. Schliesslich ist das unsere gewohnte Art zu denken. Doch meine Erfahrung ist anders. Schaue ich etwa ein Foto meiner vor Jahren verstorbenen Eltern an, so sind sie immer noch da, in meinen Träumen sowieso. Zunehmend kommt es mir vor, es geschehe alles gleichzeitig, Vorher und Nachher seien Illusionen. Ziemlich beständige, zugegeben.
Eine private Universität in China zeigt Interesse an meiner Bewerbung als Dozent für Medien und Kommunikation. Ob ich bereit sei, das erste Semester 'Spoken English' zu unterrichten?, fragt der Vertreter der Universität, der mich am Flughafen vom Xiamen abholte, sie hätten da nämlich gerade einen Engpass (einer der Dozenten war offenbar Hals über Kopf abgereist, wie ich später erfahre).
„'Spoken English'? Was ist denn das? Englisch lernen ohne Lesen und Schreiben?“ Also die Studenten hätten gute Englisch-Kenntnisse, allerdings nur passiv, bei 'Spoken English' gehe es darum, sie zum Sprechen zu bringen, was aus kulturellen Gründen (die Chinesen seien scheu), nicht so einfach sei. Nun ja, kulturelle Gründe müssen meist dann herhalten, wenn man den Tatsachen nicht ins Gesicht sehen will – meine Studenten jedenfalls können mehrheitlich kein Englisch, auch nicht passiv. Und scheu sind sie definitiv nicht, eher stur und hartnäckig.
C aus Vancouver ist chinesischer Abstammung, spricht jedoch kein Mandarin, was ihm von den lokalen Chinesen den Vorwurf der Arroganz einträgt. Wir würden ständig überwacht, sagt C. Die anderen Dozenten finden ihn leicht paranoid, ich nicht. „Denk daran, einer in der Klasse versteht dich und wird dem Vizepräsidenten rapportieren, wie du dich verhältst und was du sagst.“ Es wimmle hier von agents provocateurs, genau wie während der Kulturrevolution. Ich habe zwar wenig Ahnung von chinesischer Geschichte, doch ich nehme mir Cs Rat zu Herzen.
Montagabend müssen wir uns jeweils für zwei Stunden 'English Corner' zur Verfügung stellen. Dabei werden wir von Studenten aller Studienrichtungen umlagert, die uns Fragen stellen. 'English Torture' trifft es besser, denn die Fragen sind von einer derart stereotypen Einfaltslosigkeit (Where do you come from? How do you like China? ....), dass selbst ausgeglichene Seelen rasch an ihre Grenzen stossen. Wie üblich werden wir kontrolliert. Als ich einen Mann, der gut Englisch spricht, frage, was er denn studiere, antwortet er 'Chemie', ein Fach, das an dieser Business-Universität gar nicht unterrichtet wird. C hat eindeutig recht mit seinen agents provocateurs, denkt es so in mir.
Sie habe gehört, sagt eine chinesische Dozentin, ich fände meine Studenten blöd. Sie will mich offenbar provozieren. Und so provoziere ich zurück: Einige seien in der Tat in Sachen Englisch eher suboptimal unterwegs, aber nicht alle, natürlich nicht.
Wie viele pro Klasse dürfen durchfallen? Gibt es da Vorgaben? Der zuständige Mann windet sich, ringt sich dann aber zu 10 Prozent durch. Da ich selber alle durchfallen lassen würde (niemand in meinen Klassen kann Englisch, ausser den Englisch Hauptfach Studenten), beschliesse ich. alle bestehen zu lassen, die zeigen, dass sie sich minimal angestrengt haben.
Ob ich wisse, was 'das Gesicht verlieren' bedeute?, fragt mich der Klassensprecher der Englisch-Hauptfach Studenten, der mir nach der Schulstunde abpasst. Ja, erwidere ich, jemanden nicht blöd hinzustellen, da das Wichtigste sei, was die Nachbarn denken könnten. Ich hielte es hauptsächlich für ein Disziplinierungsinstrument. Dem linientreuen Klassensprecher passt meine Antwort ganz und gar nicht. Es sei viel komplizierter, sagt er, und habe mit der chinesischen Geschichte zu tun. Da ich mir auf gar keinen Fall langfädige Geschichts-Ausführungen antun will – so in etwa der dritte Satz jeder chinesischen Konversation lautet: Wir sind stolz auf unsere 5'000 Jahre alte Geschichte – , frage ich ihn, ob er den chinesischen Dozenten auch solche Vorträge halte? Nein, natürlich nicht. Dann solle er doch auch mir gegenüber etwas respektvoller sein, damit ich nicht mein Gesicht verlöre, informiere ich ihn und lasse ihn stehen.
Drei Notizen aus dieser Zeit:
L'homme propose, Dieu dispose.
Das hier ist nicht die Vorbereitung aufs Leben, das hier ist das Leben.
Can you make a sentence with „slightly“? When I slightly opened the window, I saw a pig.
Nach einem Semester habe ich genug und kündige. Zurück in der Schweiz, trete ich kurz darauf eine Anstellung als Programmleiter in einem wissenschaftlichen Buchverlag an, die ich jedoch nach gerade mal zwei Monaten bereits wieder aufgebe – ich kann ganz einfach nicht für Leute arbeiten, die wesentlich blöder sind als ich. Sie wollen es konkreter? Ein Beispiel: Der Geschäftsführer zeichnete ständig Organigramme (mit Buntstiften), mittels derer er herauszufinden versuchte, was für einem Betrieb er eigentlich vorstand – wer wann Geburtstag hatte war ihm geläufig, das hatte er fein säuberlich in seinem Kalender notiert. Und noch ein Beispiel: Bei einem gemeinsamen Mittagessen fragte ich ihn nach seiner Lieblingslektüre. Dass ich das überhaupt fragen könne, wunderte er sich, „Management-Bücher selbstverständlich“. Ein geistiger Kretin, dachte es automatisch in mir. Sie finden es übertrieben, dass ich deswegen kündige? Sie haben recht, ich finde es selber übertrieben.
Nur eben: Ist man mitten drin in einem Prozess, weiss man ja so recht eigentlich nicht, was mit einem geschieht. Die Erklärungen folgen erst im Nachhinein. Und ob diese dann wirklich erfassen, was los gewesen ist, ist einigermassen fraglich. Da war nämlich noch was ganz anderes: Ich konnte die zwei Monate, die ich dort arbeitete nicht schlafen, war jeden Morgen völlig zerschlagen. Für mich ist das ein überzeugender Kündigungsgrund.
Als ich meinem Freund A, Psychiater von Beruf, davon erzähle, lacht er: Seit ich Dich kenne, bist Du auf der Suche nach einem Job. Doch kaum hast Du einen, gibst Du ihn auch bereits wieder auf.
Mein Studienkollege H, aufstrebender Anwalt in einer renommierten Kanzlei, reagiert weniger freundlich, ja aggressiv: Ich verstehe dich nicht. Du macht Dein Studium in Rekordzeit, ergatterst Dir einen Super-Job als Verlagsleiter eines renommierten Hauses. Und dann, Knall auf Fall, schmeisst Du hin, ohne auch nur die geringste Ahnung, was Du machen willst. Kein Plan, kein Gar Nichts. Wo lebst Du eigentlich? Ich weiss, ich weiss, dann hast Du noch einen Magister angehängt, ja, ich weiss, mit Auszeichnung, Du hast es mir oft genug gesagt. Doch was machst Du damit? Ein Semester China! Ein Semester! Bist Du eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Weisst Du, wie das in Deinem Lebenslauf aussieht? Du rast auf einen Abgrund zu und merkst es nicht einmal. Wach auf! Sofort!
H übertreibt. Und überhaupt: Seine Weltsicht und meine (habe ich eigentlich eine?) könnten