„Dann können Sie ihn ja in die Sendung einladen und den Zuschauern die Beurteilung überlassen.“
„Ich denke nicht, dass man Lügnern eine Plattform geben sollte.“
„Wenn wir nur die einladen, die uns passen, können wir die Sendung vergessen, denn so eine schaut niemand.“
„Aha, die Einschaltzahlen.“
„Das ist doch klar. Was glauben Sie, warum wir Fernsehen machen? Natürlich wollen wir auch aufklären. Doch vor allem: Wir sind hier keine Richter, wir sind mehr so eine Art Theater oder Zirkus, wo sich die Leute unterhalten sollen.“
„Damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen?“
„Was meinen Sie damit?“
„Paul Valéry hat einmal gemeint, die Politik sei dazu da, die Menschen davon abzuhalten, sich mit dem zu beschäftigen, was sie wirklich angehe. Das gilt auch für die Medien, würde ich sagen.“
„Ablenkung und Unterhaltung ist oft nicht das Dümmste.“
„Das sehe ich auch so.“
„Lassen Sie uns konkret werden: Würden Sie einen empathielosen, menschenverachtenden Lügner in die Sendung einladen?“
„Denken Sie an den Golfer im Weissen Hauses?“
„Zum Beispiel.“
„Nein, würde ich nicht.“
„Viele Zuschauer würden den aber gerne sehen.“
„Viele sehen auch gerne Pornos. Und trotzdem zeigen Sie keine.“
„Politik abzubilden gehört zu unserem Kernauftrag.“
„Politik. Nicht Politiker. Zeigen Sie nicht die Politiker, sondern die Auswirkungen der Politik.“
„Sie haben sich beworben als Moderator einer Debatten-Sendung. Das meint, Sie bringen Leute miteinander ins Gespräch. Und zu diesen Leuten gehören nun mal Politiker. Und jetzt sagen Sie, man solle Politikern nicht das Wort geben?“
„Anstatt Politikern eine Plattform für ihr Ego zu geben, wäre es meines Erachtens sinnvoller, den von den Auswirkungen der Politik Betroffenen eine Plattform zu geben.“
„Glauben Sie, dass das viele vor den Bildschirm bringen wird?“
„Vor Jahren, in Japan, wurde heftig darüber gestritten, ob eine Philosophie-Sendung, die sich mit Fragen von Leben und Tod auseinandersetzte, zur Hauptsendezeit ausgestrahlt werden sollte. Die Medienfachleute fanden die Idee absurd, das Publikum sah das anders – die Einschaltquoten waren erstaunlich hoch.“
„Ich habe viel Sympathie für Ihr Argument. Nur eben: Wir sind hier in der Schweiz, nicht in Japan.“
***
Am nächsten Tag befindet sich in meiner Post der Brief eines Buchverlags, der auf Recht und Geschichte spezialisiert ist. Ich bin in die engere Auswahl für den Verlagsleiterposten gekommen und werde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.
Der Eigentümer ist ein jugendlicher Mitvierziger und mir sympathisch. Dass ich über keine Verlagserfahrung verfüge, sei ein Vorteil, lacht er, denn so sei ich formbar. Nach den ersten paar Monaten merke ich dann, wie formbar er ist. Jedenfalls lerne ich schnell wie ich meine Projekte bei ihm durchbringen kann. Sind eigentlich Aussagen, die man über andere macht, jemals etwas anderes als Selbstcharakterisierungen?
Das Buch ist für mich das ultimative Kulturgut, gierig mache ich mich über Herstellung, Gestaltungsfragen und Marketing kundig. Besonders gut verstehe ich mich mit dem Buchhersteller, einem Mann von Mitte fünfzig, belesen und von grossem Sachverstand. In seiner Gegenwart spüre ich, dass Büchermachen gleichzeitig Handwerk wie auch Kunst ist.
Ich treffe Autoren, die mich beeindrucken, doch die meisten sind eitle Wichtigtuer. Zu meinen Lieblingen gehört ein emeritierter Geschichtsprofessor, der mir jeweils am Telefon Gedichte deklamiert und Lieder vorsingt, sowie ein Alt-Bundesrat, der mich beim Durchgehen meiner Anmerkungen zu seinem Manuskript unterbricht und grinsend bemerkt: „Sie erinnern mich an meinen ehemaligen Staatssekretär, der hat auch dies und das bemängelt, allerdings mit einem Unterschied: Er entschuldigte sich dann immer, obwohl er doch dafür gar nicht bezahlt wurde.“
Akademische Bücher zu verlegen finde ich schon nach kurzer Zeit wenig interessant. Meldet sich ein Professor mit einem Manuskript kann man als Quasi-Universitätsverlag eigentlich kaum Nein-Sagen, wie mich ein von mir wenig geschätzter Professor wissen lässt. Als sich dann unverhofft die Gelegenheit bietet, das Nein-Sagen zu üben, lehne ich ein Referat von ihm ab: Dieses, ein Ja zur Konkordanzdemokratie, die in der Schweiz von niemandem bestritten wird, war nämlich bereits publiziert worden und sollte nun, so der Professors Wunsch, in neuem Gewand noch einmal präsentiert werden.
In dieser Zeit bin ich vom Journalismus angefressen. Angefangen hatte dies in Jugendjahren mit der amerikanischen Fernsehserie Lou Grant, die auf einer Zeitungsredaktion spielte, wo die Helden der Wahrheit verpflichtete Journalisten waren. Reporter wollte ich damals werden. So einer wie Jack Nicholson in Michelangelo Antonionis Profession Reporter, obwohl, ich erinnere mich bei diesem Film nur noch an Bilder von der Wüste, und vor allem an Maria Schneider. Als ich auf Wikipedia lese, dass sie sich aufgrund von Alkohol- und Drogenproblemen in psychiatrische Behandlung begeben musste und mit 58 an Krebs gestorben sei, macht mich das betroffen. Schon eigenartig, meine Empfindungen für diese Frau, die ich nur von Filmen und Fotos kenne, und die mir in diesem Moment gefühlsmässig gerade näher steht als eine frühere Freundin, nach der ich einmal süchtig war (sexuell natürlich, was denn sonst?) und von der ich eben eine Email gelesen habe.
Ich frage den Korrespondenten einer Deutschschweizer Tageszeitung in Lausanne an, ob er sich vorstellen könne, ausgewählte Artikel von ihm zu einem Buch mit dem Titel Notizen aus der Westschweiz zu machen. Die Antwort erfolgt prompt: Ja, das würde ihm gefallen und übrigens verstehe er seine Arbeit genau so wie es der von mir vorgeschlagene Titel ausdrücke, als Notizen. Er schickt mir seine gesammelten Arbeiten, ich treffe eine Auswahl, gliedere sie und lege sie ihm vor, in der Hoffnung, er sei davon genauso angetan wie ich. So bin ich auch bei anderen Journalisten, drei von ihnen Frauen, vorgegangen. Zwölf solche Bücher habe ich herausgegeben, die ich sowohl als Zeitdokumente wie auch Autorenporträts verstand.
Er habe schon mit vielen Verlegern zu tun gehabt, sagt der Mann aus Lausanne eines Tages, doch einen idealeren als mich habe er noch nie erlebt. Mir ist klar, woran das liegt: An meiner Begeisterung für meine Arbeit. Es tut mir gut, mich für jemanden einzusetzen, jemanden fördern zu können.
Da ich auch in Lausanne wohne, besuche ich ihn und seine Frau von Zeit zu Zeit. Er habe letzthin seine fiche einsehen können, erzählt er mir eines Tages (Der Schweizer Geheimdienst führte während Jahren Dossiers über Personen, die umstürzlerischer Ideen verdächtigt wurden, sogenannte fiches). Man hätte meinen können, bei seiner Frau habe es sich um eine veritable Mata Hari gehandelt, lacht er. Als ich mich bei meinem nächsten Besuch nach ihr erkundige, erwidert er, Mata Hari sei gerade in der Migros beim Einkaufen.
Auch von anderen Autoren erhalte ich viel Lob. Nein, nicht von allen, von den meisten höre ich gar nichts. Ich hätte seine Texte nicht einfach zusammengestellt, sondern komponiert, schrieb ein Chefredakteur im Vorwort; ein anderer, der sich als Politiker-Porträtist einen Namen gemacht hatte, behauptete, er habe sich durch mein Porträt von ihm besser kennengelernt. Ich schwebte auf Wolke sieben.
Sie finden das eitel, dass ich das erwähne? So richtig wohl ist mir selber nicht dabei. Doch wieso gilt es eigentlich als vornehm, zu schweigen, wenn man sich darüber freut, dass die eigene Arbeit geschätzt wird, Anerkennung findet?
Mein Lieblingsautor war übrigens der Junior. Ein von mir hoch geschätzter Redakteur der Süddeutschen Zeitung, den ich als Autor zu gewinnen hoffte (was mir auch gelang), hat uns zusammen geführt. Zwei Bücher habe ich von ihm herausgegeben; bis zu seinem Tod im Alter von 96 Jahren sind wir miteinander