Dummerweise zählt neben der Vorliebe für ein ordentliches Bier auch die Pünktlichkeit zu den deutschen Tugenden. Deshalb lässt mir mein Herrchen nun leider keine Zeit, in dem Duft der neuen, aufregenden Markierung an meiner deutschen Lieblingseiche im Park zu schwelgen.
„Hey, nein, so warte doch, was soll denn diese jüdische Eile?“, grunze ich verzweifelt, während das Halsband an meiner Kehle zerrt und ich wohl oder übel Kevin folgen muss. Dieser, immer noch mit seinem miserabel gedrehten Zigarillo im Mundwinkel, knurrt mich an: „Nun komm schon, die Kameraden warten. Bei Fuß, Adolf!“ Ein kräftiger Ruck mit der Leine und ich löse den Druck auf meine Vorderpfoten, mit denen ich mich entschlossen und zu beinahe allem bereit in den harten Rasen gestemmt hatte. Was soll’s – der Klügere gibt nach!
Eines muss ich an diesem Punkt klarstellen: Den Spruch „Ich glaube, der versteht jedes Wort!“ würde ich auch gerne mal bei einem Zweibeiner gebrauchen. Gerade bei meinem Herrchen. Aber das kannste vergessen. Was das betrifft, da ist Polen echt verloren. Kriegt der überhaupt etwas mit, frage ich mich immer wieder!
Aber anders herum: Los, Adolf, komm, Adolf, bei Fuß, Adolf, sag mal, kannst du nicht hören, Adolf, blablabla, Adolf. Wehe, ich verpasse auch nur einen Befehl, aber dann fahren die Affen Panzer, das kann ich euch sagen! Na gut, Befehlsverweigerung wurde früher sofort an die Wand gestellt, das ist mir natürlich klar, aber wenn der Befehl mehr gelallt wird und der Oberbefehlshaber beim dritten Versuch der klaren Artikulation nach vorne auf die Fresse kippt, dann bräuchten wir verdammt viele Wände!
Wir trotten also weiter über den kurz geschorenen englischen Rasen. Kevin auf seine Zigarette schimpfend, die ihm auseinander zu fallen droht; ich enttäuscht die Nase am Boden haltend und ab und zu den Kopf drehend, um die aufregende Spur nicht zu verpassen. Verflucht, die Markierung war so frisch, die Torte ist garantiert noch in der Nähe! Ich renke mir fast den Hals aus, aber ich kann sie nirgendwo entdecken. Was ich an Artgenossen zu Gesicht bekomme, ist einfach enttäuschend. Eine Pudeldame, der man die Arthrose schon von weitem ansieht, so wie sie mit den Hinterläufen stelzt; eine Promenadenmischung, die erst in meine Richtung knurrt und es sich dann schnell anders überlegt, als ich meine Rute aufstelle und aufmerksame Kampfbereitschaft signalisiere. Eine dumme Dogge, die mich betont auffällig ignoriert, weil Doggen sich stets für etwas Besseres halten.
Natürlich nehme ich unseren Trupp wahr, den wir schon bald an der Holzhütte treffen. Diese liegt an einer etwas erhöhten Stelle im Park, zwischen niedrigem Gebüsch und mir bleibt die Sicht auf den Platz lange Zeit versperrt. Doch ein Hund sieht bekanntlich mit der Nase mehr als mit den Augen und so genügen mir wie stets einige wenige Schnüffler, um festzustellen, wer alles da ist. Kanu, der Mischlings-Rottweiler von der langen Evi, der kleine Jack Russell namens Irvin, den ich eigentlich nicht ausstehen kann, aber das nicht zeigen darf, weil sein Herrchen Paule und Kevin dicke Kumpels sind. Firo darf natürlich nicht fehlen, der blasierte Riesenschnauzer, der sich unwahrscheinlich viel auf seine edle Herkunft einbildet, nur weil er von einem deutschen Züchter abstammt. Die übliche Versammlung also.
Während ich noch versuche, die Spur meiner unbekannten Angebeteten in dem Potpourri neuer Düfte zu verfolgen, werden wir, Kevin und ich, mit großem Hallo begrüßt. Paule packt mich vertraulich am Genick, schüttelt mich ein paar Mal hin und her, während ich versuche, nach seiner freien Hand zu schnappen. Das übliche Begrüßungsritual unter Männern.
„Hey, ich glaube, Adolf braucht erst mal einen ordentlichen Schluck, dem hängt ja die Zunge fast bis zu den Eiern“, grunzt Petri, einer aus der Runde ohne Hund. Sein eigenes Bier würde er dafür bestimmt nicht investieren, der alte Geizhals, so gut kenne ich ihn.
„Na los, Adolf: Mit deutschem Gruß!“, fordert mich Paule auf, während ich noch versuche, in Richtung der Parkallee zu peilen. Ob sie vielleicht dort wartet und eine neue Markierung setzt in der Hoffnung, dass ein richtiger Kerl ihre Botschaft versteht?
„Hey, ich hätte demnächst Lust auf einen straffen Quickie und ich stelle jetzt keine allzu speziellen Ansprüche bei der Partnerwahl“, habe ich aus ihrer Botschaft heraus gerochen. Außerdem ist sie erst drei Jahre alt und hat noch nicht geworfen. Die braucht es aber auch so was von – warum sonst würde sie solche eindeutig unzweideutigen Nachrichten verschicken?
Für solche Dinge habe ich ein Näschen. Die Menschen wissen zwar, dass wir Hunde exzellent riechen können, aber dennoch wundern sie sich immer wieder, welche Nachrichtenvielfalt wir aus der Baumpost herauslesen können. „Der riecht bestimmt, dass da vorhin schon ein Hund da war, hihihihi“, bemerkte gestern eine albern kichernde Zahnspangenträgerin, als sie mich an einer Markierung schnüffeln sah.
Was glaubt die denn? ‚Der riecht bestimmt, dass da vorhin schon ein Hund da war!’
Absoluter Wahnsinn, was es nicht alles gibt! Solche Scharfsinnigkeit haut den stärksten Eskimo vom Schlitten. Wenn die ignorante Schnepfe jetzt noch dahinter käme, dass ein Hund sogar bellen kann, dann wäre ich aber total von den Socken.
So eine Markierung ist für uns wie ein Buch. Oder besser noch: wie eine Zeitung, aber mit Facebook-Funktion. Der neueste Klatsch und Tratsch, Eigentumsansprüche, Nachrichten und wichtige persönliche Daten wie Alter, Geschlecht, Paarungsbereitschaft, aber auch die blanke Wichtigtuerei im Stile von „Ich war hier!“ Wie ich gehört habe, pflegen die Menschen ganz ähnliche Bräuche. Bloß eben nicht, indem sie an einen Baum strullen, sondern sie nehmen dazu ein Klappmesser und ritzen diese Botschaft in die Baumrinde. Und während sie ihr Messerchen zusammenfalten und blöde grinsend ihren Spruch anstarren, der wirklich keine Sau interessiert, erzählen sie was von wegen Umweltschutz und dass ein kleines Hundehäufchen auf der Wiese die Natur verschandele. Woran man mal wieder sieht, dass der Mensch als solcher auf einer relativ niedrigen Stufe der Evolution steht. Obwohl ein gewisser Sockrattes oder so ähnlich – ich habe den Namen nur gehört, im Entziffern menschlicher Verständigungszeichen bin ich nicht viel besser als Kevin im Verstehen der Hundesprache, aber es war auf alle Fälle irgendwas mit Ratte – schon vor tausenden Hundeleben die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis, verbunden mit der Selbstreflexion, als grundlegende menschliche Eigenschaft beschrieben haben will. Muss wohl ein Science-Fiction-Autor gewesen sein, dieser alte Grieche, oder er hat Seinesgleichen Eigenschaften aus der Tierwelt angedichtet. Fabel nennt man so etwas. Den Mund könnt ihr übrigens wieder zuklappen. Ich schaue öfters fern, wir haben zu Hause Full HD, welches sämtliche Farbtöne der Natur von allen Graunuancen bis hin zu blau und rot gestochen scharf zeigt. Einen glasklaren Sound hat die Kiste obendrein. Kevin behauptet zwar, es gäbe sogar noch mehr Farben, aber da bin ich jetzt ein bisschen außen vor, was er damit meint. Gut, er denkt ja auch, dass Hunde ausschließlich schwarz-weiß sehen.
Wer hat aufgepasst, wo liegt der Fehler im Satz? Er denkt…
Außerdem höre ich gern Radio. Vom ausgezeichneten Gedächtnis eines Hundes habt ihr vielleicht schon gehört. Also kein Grund, in Ehrfurcht zu erstarren, wenn ich solche Dinge weiß.
Natürlich hatte ich die Nachricht an der Baumrinde sofort verstanden: Hier ist jemand neu im Revier, jung und mit Sinn für alles Schöne, kennt noch niemanden und würde sich über einen netten, aufgeschlossenen Freund freuen. Das Wichtigste an der Botschaft: Dieser Jemand ist weiblich und er signalisiert: ‚Nicht mehr lange, dann ist meine Zeit gekommen! Ich will mich schon mal ein bisschen umschauen, wer für mich alles in Frage kommt.’
Da will ich den Zweibeiner-Kerl sehen, dem nicht die Zunge über die Mundwinkel hängt bei solchen Angeboten! Ich weiß, bei den Mädels muss man den richtigen Moment abpassen, sonst läuft gar nichts. Wenn sie nicht wollen, dann spielen sie nur mit dir, bringen dein Blut in Wallung, um schließlich die Rute zwischen die Hinterläufe zu klemmen und mit einem frechen Grinsen das Feld zu räumen. Das kenne ich aus Erfahrung und es ist immer ein bisschen, wie soll ich sagen – na, eben unbefriedigend, so etwas zu erleben. Ehrlich gesagt, ich könnte immer! Anfangs dachte ich, mit mir wäre irgendwas nicht in Ordnung und ich müsste mich dafür schämen oder eine Therapie machen. Bis ich erfahren habe, dass alle meine Geschlechtsgenossen, ob nun zwei-, vier- oder sonst wie viel beinig, so empfinden. Es ist halt der Wille der