Ein weiterer Zwischenfall passiert, als wir uns später wieder auf dem Weg machen. Wir benötigen wieder Wasser. Also fahren wir die Ausfahrt Pisticci raus.
Es sei noch erwähnt, dass wir uns immer noch auf der Nebenstrecke der Schnellstraße SS 106 befinden. Direkt an der besagten Ausfahrt befindet sich eine große Gärtnerei.
Ich denke, jemand wird uns hier Wasser geben können. So nehme ich den Wasserbehälter und mache mich allein auf den Weg in die offene Gärtnerei, während Sabine und die Hunde auf der Straße auf mich warten.
Ich sehe niemanden, deshalb laufe ich, laut rufend, ob jemand da ist. Plötzlich kommt ein großer Hund auf mich zu gerannt, den ich vorher nicht gesehen hatte. Aus diesem Grund wollte ich allein hier hereinkommen, weil ich ahnte, dass möglicherweise Hunde im Gelände frei laufen. Er bellt mich an, während er immer näher kommt.
Ich verhalte mich ruhig und bleibe einfach stehen. Versuche im freundlichen Ton ihm mitzuteilen, dass ich nicht mit bösen Absichten komme. Es handelt sich um einen italienischen Schäferhund.
Diese Rasse ist sehr lieb, aber ein guter Wachhund. Verhält sich in der Regel Fremden gegenüber zurückhaltend und abwartend. Das tut er auch. Er bleibt einen Meter vor mir stehen und bellt mich nur an. Damit will er nur seinem Herrchen mitteilen, dass jemand da ist.
Im selben Moment kommt ein Mann aus einem Gewächshaus heraus und brüllt mich an:
"Was willst du hier?",
und genau in diesem Moment zwickt mich der Hund in meinen rechten Oberschenkel. Woraufhin sein Besitzer ihn zurück pfeift. Er ist zum Glück folgsam und geht zu seinem Herrchen.
Ich habe leichte Schmerzen und blute etwas. Da wende ich mich genervt an den Mann:
"Wieso brüllen sie mich an? Ich wollte doch nur nach etwas Wasser fragen!".
Da faucht er zurück:
"Aber du kannst hier nicht einfach hereinspazieren. Und außerdem haben wir kein Trinkwasser!"
Ich drehe mich genervt um, lasse aber noch eine Bemerkung los:
"Dass sie mir Wasser verwehren, kann ich akzeptieren. Aber ich verstehe eines nicht, wie machen es ihre Kunden? Müssen sie, wenn sie etwas kaufen wollen, zuerst einem schriftlichen Antrag stellen, bevor sie hier rein dürfen?".
Verärgert verlasse ich das Gelände. Wir haben wohl beide etwas über reagiert, denke ich. Der Hund hätte mich nicht gebissen, wenn sein Herrchen anders reagiert hätte!
Sabine schaut sich die kleine Wunde an,
"Hoffentlich entzündet sich das nicht. Wir müssen es beobachten.",
sagt sie und holt aus ihrer Tasche ein Desinfektionsmittel und sprüht es mir auf die Wunde.
Kurz darauf, als wir uns beruhigt haben, steigen wir in die Pedale und fahren weiter. Um jedoch wieder auf die Nebenstraße zu kommen, müssen wir um die Gärtnerei herum fahren, entlang dem Anwesen, wo das Wohnhaus des Besitzers steht. Da schaut eine Frau aus dem Fenster und entschuldigt sich für den Vorfall. Ihr Mann habe etwas über reagiert.
Verärgert, aber zufrieden, nehme ich die Entschuldigung an. Für mich ist der Fall abgeschlossen.
Am Morgen danach fahren wir gemütlich durch die Traubenfelder. Ein Winzer, den wir an einen Feldweg treffen, bietet uns ein paar Kilo große, wohlschmeckende, weiße und schwarze Trauben an. Sehr lecker. Davon werden wir eine Weile naschen.
In Scanzano kaufen wir ein. Ab hier ändern wir die Richtung. Nun verlassen wir die Küste um nach Westen in das Tal des Agri zu fahren und das ist nicht so dicht bewohnt, wie hier.
Wir schwitzen viel bei diesen Temperaturen. Manchmal ist es richtig staubig. So werden wir und die Wäsche, die wir anhaben, schnell dreckig. Deshalb ist spätestens jeder dritte Tag ein Wäschetag.
Wir waschen sie natürlich mit den Händen. Haben zwei fünf Liter Plastikwannen dabei: eine zum Waschen und die andere zum Spülen. Darin spülen wir auch das Besteck. Die Wannen sind so zusagen multifunktional. Zum Set gehören auch eine Wäscheleine und Klammern. So können wir die Sachen auf der Leine zwischen zwei Bäumen aufhängen, so dass sie in der heißen Mittagssonne schnell trocknen kann.
Die nächsten Tage werden wir auf die Staatstrasse 598 fahren. Hier gibt es keine Alternative, keine Nebenstrecke, keine Ausweichmöglichkeit und an Radwege darf man hier erst gar nicht denken.
Die gibt es hier überhaupt nicht. Die Radwegpolitik steckt hier in Süditalien noch in den Kinderschuhen. Es wird viel darüber diskutiert und geplant.
Die Gemeinden und Städte bekommen Zuschüsse dafür, aber letztendlich wird zu wenig oder gar nichts getan. Und wo etwas gebaut wird, merkt man die fehlende Erfahrung. Lediglich in den Küstenorten, die viel Tourismus betreiben, wird etwas mehr gemacht. Das ist aber von Gemeinde zu Gemeinde verschieden. Der Radtourismus ist überall groß im Kommen. Und nur wer das erkannt hat, tut auch was für diese Marktgruppe, um selbst davon zu profitieren. Wir werden auf unserer Reise viel über Radwege, Radsportpolitik und Radtouristen erfahren. In allen Ländern, die wir befahren werden, sind die Unterschiede zum Teil enorm.
In den süditalienischen Regionen ist die Mentalität des Radfahrens teilweise noch sehr primitiv. Man fährt ein Rennrad oder ein Mountainbike oder nur ein wenig mit dem City-Rad an der Uferpromenade. Alles andere ist nicht gesellschaftsfähig, gefährlich und unpraktikabel. Besonders für Kinder.
Viele Leute würden gerne Rad fahren, aber sie tun es nicht, weil sichere Einrichtungen fehlen. Der Radsport wird zu wenig gefördert.
Und aus mangelnder Sicherheit und Respekt zwischen den anderen Verkehrsteilnehmern, passieren leider oft Unfälle, die dann andere abschrecken.
Die Radsportvereine sind eigentlich die meiste Zeit damit beschäftigt, für die Vorteile des Radsports zu werben:
Radfahren ist gesund;
schafft Bewegung;
verbraucht keinen Sprit;
ist für die ganze Familie und
ohne Altersbegrenzung.
Gründe, die in nördlichen Teilen Europas selbstverständlich sind, nehmen hier eine andere Dimension an. Werbung zu machen für einen sehr schönen und umfangreichen Sport, wie das Radreisen, war unter anderem einer der Beweggründe meiner letzten Radreise durch Europa gewesen!
Das wurde leider in meiner Heimatstadt nicht erkannt und falsch gedeutet und durch Neider ins schlechte Licht gezogen! Was soll's. Das hat mich zwar berührt, aber nicht umgehauen, und vor allem mich nicht davon abgehalten, eine zweite Europatour zu machen.
Dieses Tal ist nach dem Fluss Agri benannt, der sich seit Millionen von Jahren langsam durch den lehmigen Boden gefressen und das breite Tal geschaffen hat. Die Straße führt durch das Tal hoch bis Marsico.
Dort wird uns auch der erste Pass über die Apenninen führen. Hier merken wir noch nichts von der leichten Steigung. Wir kommen schön langsam auf der noch breiten Fahrbahn voran. Rechts, auf einem Hügel, befindet sich das Dorf Montalbano.
Wie auf einem Balkon steht es da und sieht uns zu, wie wir unten an ihm vorbei schleichen. Ich sehe jemanden am Straßenrand stehen. Bevor wir nach einem Nachtlager suchen, möchte ich die Wasserkanister voll machen. Ich frage den Mann nach einem Brunnen. Er aber sagt, dass er hier in seinem Landhaus Wasser für uns hätte. Er ist sichtlich interessiert zu erfahren, woher wir kommen, und wohin wir wollen. Ich erzähle ihm von unserer Mission. Begeistert sagt er, dass er froh ist, uns getroffen zu haben.
"Ich bin Vincenzo und wohne da oben im Dorf. Seht ihr?"
und zeigt auf Montalbano, das Dorf auf dem Hügel.
"Wenn ihr wollt, könnt ihr hier im Haus übernachten. Da ist Strom und Wasser im Kühlschrank.