Messias Elias. Matthias Grau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Grau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752925630
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ähh … Schlange.“

      „Was?“ Elias hatte den Faden verloren. „Sie spielte mit einer Schlange?“ Gott druckste herum. „Nein, nicht mit einer Schlange, mit seiner Schlange! Herrgott, muss ich denn wirklich noch deutlicher werden?“ Dabei stellte Gott fest, dass er soeben erneut gegen das vierte Gebot verstoßen und seinen eigenen – den Namen des Herrn missbraucht hatte.

      Elias verzog ratlos das Gesicht, bis es endlich Klick machte. „Du meinst, sie hat ihn … sie hat seine Schlange, seinen … ähh …? Oh! Ich verstehe!“

      „Genau! So wurden sie sich ihrer Fruchtbarkeit bewusst! Also vielleicht nicht gleich, aber doch kurze Zeit später. Erkenntnis der Fruchtbarkeit, nicht Frucht vom Baum der Erkenntnis. Alles klar?“

      „Jaja, verstanden!“ All das scheinheilige Getue um religiöse Themen hatte Elias vergessen lassen, dass die nüchterne Wahrheit meist auf einem schnöden, alltäglichen Kern basierte. So wie auch Gottes Auftrag, die Menschheit zu retten, einen alltäglichen Kern in sich barg.

      „Wie genau stellst du dir das vor? Soll ich einfach so durch die Gegend ziehen und Menschen zum Guten bekehren?“ fragte Elias. „Ja, genau so! Mach ihnen klar, dass sie verloren sind, wenn sie sich nicht sofort ändern! Vorgabe dafür, wie sie ihr Leben auszurichten haben, sind meine Dreißig Gebote. Du kennst sie nun. Bring sie unter die Menschen!“

      „Okay, aber wer wird mir glauben?“ fragte Elias den alten Mann, während er sich selbst fragte, ob er die Dreißig Gebote aus dem Gedächtnis wieder zusammenbekommen würde. „Du weißt doch selbst, wie Menschen sind – grausam und gewalttätig! Du hast ja schon mal einen Sohn von dir losgeschickt, um Liebe und Frieden zu predigen. Er wurde dafür ans Kreuz genagelt!“

      Gott richtete seinen Blick zur Decke. „Sohn von mir? Ans Kreuz genagelt? Wer macht denn so was? Keine Ahnung, wen du meinst!“

      „Na, Jesus!“

      „Wer?“

      Elias ergänzte verwundert: „Jesus Christus? Gottes Sohn?“

      Gott grübelte. „Ähh … warte kurz!“ Zeigefinger, Augenzucken. Die unfassbare Menge an Notizen aus Jahrmilliarden raste vor seinem inneren Auge vorbei. „Ah, hier … richtig! Du meinst Jesus von Nazareth! Interessante Geschichte! Mutter, Maria. Vater, ein römischer Soldat. Unehelich gezeugt, was zur damaligen Zeit eine Steinigung der Mutter wegen Ehebruches bedeutet hätte. So kam sie auf die Idee mit der Zeugung durch den Heiligen Geist, was sie auch ihrem Sohn Jesus so beibrachte. Klassischer Fall von Messias-Komplex durch mütterlicherseits induzierte religiöse Wahnvorstellungen.“

      „Sie ist fremdgegangen? Er war also gar nicht dein Sohn?“ Der alte Mann schüttelte den Kopf: „Nöö, nicht dass ich wüsste. Maria hatte also gleich gegen zwei meiner Gebote verstoßen: ,Du sollst nicht lügen und betrügen‘ sowie ,du sollst nicht die Ehe brechen‘. Okay, ich versteh’s zwar nicht, aber die Sache mit dem Sex scheint euch Menschen aus irgendeinem mir vollkommen unplausiblen Grund sehr wichtig zu sein. Als sie dann schwanger wurde, was hätte sie tun sollen, außer die Wahrheit ein klein wenig … sagen wir mal … umzudichten? Die Leute damals waren noch recht leichtgläubig. Oder anders formuliert, es war eine religiös sehr angeregte Epoche. Würde deine Freundin heute nach Hause kommen und behaupten, der Heilige Geist hätte sie geschwängert, würdest du es glauben?“

      „Sie kommt nicht mehr, fürchte ich. Sie hat kürzlich mit mir Schluss gemacht“, bekannte Elias traurig. Gott lief zum Kopfende des Bettes, setzte sich neben ihn und legte seinen Arm um Elias’ Schulter. Seine Hand fühlte sich ungewöhnlich warm an. „Aber das ist doch prima! Keine Freundin, kein Job, keine Wohnung – bessere Bedingungen für einen Neustart kann man sich gar nicht wünschen! Elias, du bist frei! Du kannst tun, was immer ich will!“ Gott lachte und Elias tat es ihm gleich. „Jaja … was du willst …“

      „Also dann los, raus aus dem Bett! Ich verspreche, es wird spannend!“ Gott zog Elias die Bettdecke weg und fand ihn darunter splitternackt vor. „Oh, Verzeihung, das wusste ich nicht! Ich meine, eigentlich wusste ich es schon, ich bin schließlich Gott, nur war ich nicht darauf gefasst, mit deiner … äh … Schlange konfrontiert zu werden.“ Peinlich berührt, wandte er sich ab.

      Elias zog sich flink eine Unterhose an: „Darf ich noch duschen und mir die Zähne putzen?“ Gott lächelte: „Ich bitte darum!“

      Als Elias aus dem Badezimmer zurückkehrte, fragte er: „Was ist mit frühstücken? Wovon werde ich unterwegs leben? Ich verdiene doch kein Geld mehr! Wie soll ich mir etwas zu essen kaufen? Wo werde ich schlafen?“

      Der alte Mann hatte es sich auf dem Bett gemütlich gemacht. Er lag da, lächelnd, den Rücken durch einige Kissen aufgerichtet, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und die Beine übereinandergeschlagen. „Mach dir mal darüber keine Gedanken! Ich kümmere mich schon um dich! Es wird dich auch niemand ans Kreuz nageln. Vertrau mir! Vertraust du mir?“

      Elias sah ihn stumm an. Wem sollte er sonst vertrauen können, wenn nicht Gott? „Ja … ich vertraue dir!“

      „Gut! Dann komm, lass uns gehen!“ Sie stiegen die Treppe hinauf. Als sie auf der Straße standen, fiel Elias auf – er hatte gar nichts eingepackt! Keinen Koffer, keinen Rucksack, das Portemonnaie lag noch unter dem Kopfkissen, die Schlüssel, die Uhr, das Handy und der Mietvertrag, meine Güte, er müsste die Wohnung ja eigentlich in renoviertem Zustand übergeben, und die beiden letzten Möbel, der Schrank und das Bett, waren zwar alt und abgenutzt, aber auf dem Flohmarkt hätten sie vielleicht doch noch ein paar …

      „Mach dir keine Sorgen! Ist schon erledigt.“ Gott griff sich Elias’ Hand und legte ein paar Geldscheine hinein. Es waren so um die zweihundert Pfund. Durch das Fenster knapp über dem Boden sah Elias die Wände in makellos weißem Zustand, sie glänzten sogar noch ein wenig, so als wären sie feucht. Die Möbel waren verschwunden, der Fußboden gewischt und gewienert. In den Jackentaschen spürte er rechts sein Handy und links das Portemonnaie. Erstaunt schaute er Gott an. Der lächelte verschmitzt. „Ich sagte doch, ich kümmere mich um dich!“

      „Tja, vielen Dank!“ Mit einem Mal war das unangenehme Ziehen im Magen verschwunden. Er wusste, alles würde gut werden. Auch das fehlende Frühstück hatte er schon vergessen.

      Aufbruch

      Sie durchstreiften Haupt- und Nebenstraßen, anscheinend ziellos in Richtung Südwesten, wie Elias anhand des Sonnenstandes abschätzte. Was wollten sie da? Was befand sich dort? Ach so, das Zentrum Londons!

      Der alte Mann kam gut voran, jedenfalls schneller, als es seine menschliche Hülle hätte vermuten lassen. Elias musste sich anstrengen, um mit ihm Schritt zu halten. Sie überquerten einen Friedhof, Tower Hamlets Cemetery Park, wie auf einem Hinweisschild geschrieben stand. Hier war Elias noch nie gewesen, obwohl er fast sein ganzes Leben in der Stadt verbracht hatte. Der Park war sehr verwildert, was ihm etwas Romantisches, Urtümliches verlieh.

      Gott warf im Vorbeieilen einen Blick auf die Grabsteine links und rechts des Weges: „Merkwürdig, warum sind auf vielen Steinen Kreuze abgebildet?“ Elias schloss zu ihm auf. „Vermutlich waren sie gläubige Christen.“

      „Was sind denn Christen?“ fragte Gott zurück, ohne auch nur eine Sekunde an Tempo zu verlieren. „Na, Anhänger von Jesus Christus. Dein … äh … beziehungsweise doch nicht dein Sohn“, korrigierte sich Elias. „Auch wenn er vorgab, in deinem Auftrag zu handeln.

      Hier in London befindet sich übrigens das Grab eines anderen ,Heiligen‘! Er hieß Karl Marx, war dir aber wohl nicht besonders zugetan. Er sagte … äh …“ Elias grübelte. Der alte Mann kam ihm zuvor: „Religion ist das Opium des Volkes.“ Elias fragte verblüfft: „Woher weißt du das? Hast du schnell in deinen Notizen geblättert?“

      „Nein, ich habe schnell in deinem Gedächtnis nachgesehen und gefunden, was du gerade gesucht hattest.“ Elias überging den Umstand, dass ihn diese Tatsache beunruhigte und sagte: „Das Verhalten seiner Anhänger hatte teilweise auch fanatisch-religiöse Züge angenommen, doch letzten Endes sind