Messias Elias. Matthias Grau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Grau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752925630
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fragte, wie denn sein Tag gewesen sei. Elias versuchte erst, sich drum herum zu mogeln, aber auch Sara war in ihrem Auftritt recht selbstsicher und bohrte unbeirrt nach.

      „Du wirst es nie zu was bringen“, warf sie ihm vor, „wenn du nicht endlich mal dominanter auftrittst! Du musst die Führung des Gespräches übernehmen, nicht dein Gegenüber!“

      Sara. Oje! Wie sollte er ihr das nur beibringen?

      „Sie sind zwar erst sieben Jahre in der Firma, aber ich biete Ihnen trotzdem ein Abfindungspaket an. Es gilt genau 24 Stunden, danach verringert es sich immer weiter, bis nichts mehr davon übrig ist. Haben Sie verstanden?“

      Williams pochte mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte. Zwischen Finger und Tischplatte lag eine schriftliche Vereinbarung. Elias zog sie zu sich heran. Siebentausend Pfund Abfindung. Ein Witz! Aber es war besser als nichts. Er nickte. „Dann unterschreiben Sie hier!“ Erneut klopfte der Finger auf die Platte.

      Ein Wink nach draußen, durch die Scheibe der Bürotür. Der kräftige Security-Mitarbeiter trat ein und richtete seinen schweren Blick auf Elias.

      „Mr. Smith, geleiten Sie Elias Young aus dem Gebäude. Er ist ab sofort nicht mehr für uns tätig.“ Kurzes Kopfnicken, die fleischige Hand von Mr. Smith wies auf Elias und in Richtung Ausgang. Elias verspürte ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend. Mr. Smith würde ihm nichts tun, das war absolut klar, aber dennoch hatte seine Erscheinung etwas Einschüchterndes. Berufung eben. Ihm gehorchte vermutlich jeder.

      Wenig später stand Elias mit einem halbvollen Pappkarton in den Händen auf der Straße. Kein Blick zurück! Nur keine Sentimentalität! Es wird schon werden!

      „Es wird schon irgendwie werden!“ Elias hörte seine eigenen Worte, doch er glaubte sie selbst nicht recht. Saras schräge Kopfhaltung bestätigte seinen Verdacht. Dann legte sie los und Elias verstummte. Versager, Nichtsnutz, warum hatte sie sich überhaupt mit ihm eingelassen! Er habe sie nur wertvolle Zeit gekostet, ein Glück, dass das jetzt passiert sei, in zehn Jahren wäre es zu spät gewesen, immerhin sei sie auch bald dreißig. Sie hätte noch so viel vor, Kinder vor allem, und wie solle sie das alles alleine bezahlen, in einer so teuren Stadt wie London?

      Nachdem sie gegangen war, befanden sich auch einige Sachen weniger in der Wohnung. Das Bad schien erstaunlich groß ohne all die bunten Töpfchen und Tiegelchen. Und im ein Meter zwanzig breiten Bett konnte man sich doch erstaunlich gut rekeln und ausstrecken, sobald man nur noch alleine darin lag. Doch diese Gedanken mochten Elias nicht wesentlich erheitern. Denn die Angst kam zurück, das unangenehme Kribbeln in der Magengegend.

      Arbeitslosigkeit, Verlust der Wohnung. London war inzwischen exorbitant teuer! Dabei wohnte er schon in einem der Außenbezirke! Vielleicht ließ der Vermieter mit sich reden?

      Aber nein, warum sollte er? Er würde kein Problem haben, die Wohnung mit einer höheren Miete neu zu vergeben. Bei Besichtigungen standen die Bewerber in Viererreihen, trotz der hohen Mieten.

      Elias’ Kopf füllte sich mit Schwere. Reiß dich zusammen! Doch die Tränen ließen sich nicht zurückhalten. Der seit Jahren angestaute Frust brach nun hervor. Zum ersten Mal im Leben fühlte er eine Aussichtslosigkeit, wie er sie noch nie empfunden hatte. Was nun?

      Die Mitarbeiterin des Jobcenters zuckte ratlos mit den Schultern. „So was haben wir hier nicht. Verkäufer für Vakuumbeschichtungsanlagen? Wofür braucht man die? Wir haben hier nur Stellen für Verkäufer in Bekleidungsgeschäften anzubieten. Oder für Kellner. Da werden immer Leute gesucht. Ach so, die Füße tun Ihnen weh? Tja …“

      Die Zeit verrann wie im Fluge, die Rücklagen gingen allmählich zur Neige. Siebentausend Pfund Abfindung sind nicht viel wert in einer Stadt wie London. Auch im Jobcenter wurde man ungeduldig. „Wenn Sie nicht bald etwas Neues finden, muss ich einen Schlussstrich ziehen! Die Wohnung ist zu teuer! Sie können nicht von der Allgemeinheit erwarten …“

      „Jaja.“ Elias verließ ihr Büro mit gesenktem Kopf.

      Vielleicht doch erst mal als Kellner? Aber wenn man erst mal etwas angefangen hat, wird man schnell träge und bemüht sich nicht mehr. Für alle Zeiten als Kellner zu arbeiten, schien ihm auch nicht die Erfüllung zu sein.

      Er versuchte es trotzdem. Nach zwei Monaten hatte der Manager der Fast-Food-Kette ihm die Entscheidung abgenommen. Als Kellner muss man sich auch ein paar Dinge merken können! Doch Elias konnte sich kaum die Bestellungen der ihm zugewiesenen Tische merken, ganz zu schweigen von denen der anderen Kellner. Die Gäste bestellten halt bei jedem, der vorbeikam, sie wussten ja nichts von der Aufteilung der Tische. Die Beschwerden häuften sich.

      Irgendwann war Elias’ Spalte an der Tafel mit der Schichteinteilung für die nächste Woche leer. Stumm ließ er die kurze Litanei des Managers über sich ergehen, räumte den Umkleidespind und verließ das Restaurant.

      Gesichter konnte sich Elias gut merken, aber abstrakte Dinge? Namen, Daten … oder eben die bestellten Getränke verschwanden so schnell aus seinem Gedächtnis, wie sie durchs Gehör gerauscht waren.

      „Ist mir egal! Ich hab genug eigene Probleme!“ Den Vermieter interessierten Elias’ zerbrochene Beziehung und die Arbeitslosigkeit nicht.

      Elias war pleite. Es war vorbei. Ende der Woche würde er die Wohnung geräumt haben müssen. Glücklicherweise war nicht mehr viel übrig, denn er hatte bereits versucht, die wenigen Habseligkeiten, die ihm geblieben waren, auf dem Flohmarkt zu veräußern. Den Rest hatte Sara mitgenommen. Nur sein Bett und der sperrige Kleiderschrank standen noch da.

      Typisch Frauen! Wenn alle Welt dich verlassen hat, wenn du alles verloren hast, ausgerechnet in dem Moment, wenn du Trost und Unterstützung am nötigsten hättest, genau dann wenden auch sie sich gegen dich und ziehen dir den Boden unter den Füßen weg!

      Nur ein Wunder konnte Elias jetzt noch retten.

      Ein Wunder …

      Elias blickte durch das Fenster zum düsteren Himmel hinauf. Vielleicht sollte ich mal bei Gott nachfragen, was er sich dabei gedacht hat? Einfach mal Frust ablassen? Mich beschweren? Ihn so richtig anbrüllen?

      Seine Eltern waren Protestanten gewesen, aber mehr auf dem Papier, als aus Überzeugung. Sie hatten vielleicht fünf, sechs Mal mit ihrem Sohn eine Kirche besucht, da war er noch ein Kind. Es war stets im Urlaub, an fremden Orten, wo sie die Kirchen mehr wie eine Sehenswürdigkeit betrachteten und nicht als Ort zur spirituellen Einkehr und der Begegnung mit Gott.

      Elias betrachtete noch immer den Himmel. Er war grau und wolkenverhangen, wie schon den ganzen Winter über. Bis zum Frühling waren es noch einige Wochen, doch Gott sei Dank war es nicht mehr so kalt.

      Gott sei Dank. Wie leicht sich das sagt! Dabei wusste nicht einmal jemand, ob Gott überhaupt der richtige Adressat war für Dankbarkeit und Verehrung.

      Kann er mich überhaupt hören, mit so dichten Wolken davor? Elias faltete die Hände vor dem Gesicht.

      Nein, so ein Quatsch, dachte er und nahm sie wieder herunter. Es gibt keinen Gott! Der hätte sich längst mal blicken lassen müssen, bei all dem Übel und Elend in der Welt!

      Er versteckte die Hände hinter dem Rücken, um sie zögerlich doch wieder hervorzuholen. Die Finger verschränkt und das Kinn auf sie gestützt, suchte er nach Worten. Wenig überzeugt von dem, was er tat, flüsterte er: „Gott? Bist du da?“ Elias horchte.

      Der Lärm der Stadt war auch hier in den Außenbezirken noch deutlich zu vernehmen. Irgendwo in der Nachbarschaft kläffte hysterisch ein Hund los, nur kurz, denn plötzlich verstummte er, als hätte er sich in Luft aufgelöst.

      „Wie … wie soll ich dich nennen? Gott? Allah? Oder … Jehova? Ich meine … ich habe noch nie gebetet! Ich weiß nicht, wie das geht! Soll … oder … muss ich Amen sagen am Schluss? Damit es auch ankommt?“

      Er sah das Gesicht seines Vaters vor sich. Ein freundlicher, gütiger Mann mit verhaltener Stimme. In seiner Funktion als Arzt und Wissenschaftler hatte er an der Entwicklung von Medikamenten zur Heilung von Krebs geforscht, bis der