Messias Elias. Matthias Grau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Grau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752925630
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Freitag ist natürlich auch frei, wie der Name schon sagt.“

      „Ach so? Beide Tage frei?“ fragte Elias verblüfft. „Ja sicher!“ antwortete Gott.

      „Also bei uns muss man freitags arbeiten! Manchmal auch samstags.“

      „Ist ja unglaublich!“ empörte sich Gott. „Warte kurz!“ Sein erhobener Zeigefinger gebot Einhalt, als er seine Lider schloss und sich ein paar Gedächtnisnotizen machte. Verwundert sah Elias ihm dabei zu. Nachdem Gott fertig war, öffnete er die Augen und fuhr fort:

      „Sechstens: Der siebte Tag ist ein Ruhetag!“

      „Ach so? Das wären ja drei freie Tage hintereinander!“ freute sich Elias. „Aber klar! Wozu sich abschuften?“ fragte Gott verständnislos.

      „Na, zumindest der Sonntag ist bei uns ein Ruhetag. Außer vielleicht für Kellner. Oder Busfahrer. Oder Piloten … Zugbegleiter … Fitnessstudiomitarbeiter …“

      Empört stemmte Gott die Fäuste in die Hüften. Bei jedem weiteren aufgezählten Beruf vertieften sich die Zornesfalten auf seiner Stirn. „Ist ja ungeheuerlich!“ schnaubte er wütend. „Aber gut, das klären wir noch!

      Siebtens: Ehre deinen Vater und deine Mutter. Ich meine, das ist ja wohl selbstverständlich!“ Elias hatte kurz wieder das Bild seines Vaters im Gedächtnis und nickte stumm.

      „Du sollst nicht morden. Also, wenn ich mich hier auf der Erde so umsehe …“ Vorwurfsvoller Blick. „Aber auch das klären wir noch!

      Neuntens: Du sollst nicht die Ehe brechen. Also echt, fremdgehen geht gar nicht! Bist du schon mal fremdgegangen?“ Die Frage kam völlig unerwartet.

      „W…w…wer … ich? Aber nöö, nicht doch, das würde ich doch niemals, nie … “ stotterte Elias und wurde rot.

      „Du sollst nicht lügen und betrügen!“ fuhr Gott unbeirrt fort. „Aber ich lüge doch gar …“

      „Nein, das ist das nächste Gebot“, unterbrach ihn der Mann. Nachdenklich griff er sich an die Schläfe. „Und was kam danach?“ Sinnierend blickte er zur Decke hinauf. Erneut gebot der Zeigefinger Einhalt: „Warte kurz!“ Er schloss die Augen, seine Augäpfel zitterten blitzschnell hoch und runter.

      Elias fragte: „Was machst du da?“

      „Sssccchhht!“ zischte Gott. „Ich sehe meine Notizen durch.“ Kurz darauf hatte er wohl gefunden, wonach er gesucht hatte.

      „Ah ja, genau … du sollst nicht stehlen! Du sollst nicht nach dem Land deines Nächsten verlangen. Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen. Auch nicht nach seiner Frau, nach seinem Rind, seinem Esel, seinem Auto, seinem Kommunikationsinstrument oder nach irgendetwas anderem, das deinem Nächsten gehört.“

      „Kommunikations… äh …instrument? Ach so, verstehe!“ Elias’ Blick war auf sein Handy gefallen.

      „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen. Ich meine, Leute unberechtigterweise anscheißen, das gehört sich einfach nicht!“ Elias schmunzelte. Hatte Gott soeben ein unanständiges Wort benutzt?

      „Vierzehntens: Halte dich fern von vergorenem Traubensaft und den Extrakten von gewissen Pflanzen, also Mohn zum Beispiel. Oder Hanf. Oder Pilzen … Echt, Leute, das ist nichts für euch! Ihr Menschen macht immer so dämliche Sachen, wenn ihr angetütert seid!

      Na ja, und dann kommt noch was mit – du sollst die Natur achten. Halte sie am Leben und verunreinige sie nicht. Du sollst Tiere nicht quälen, sondern mit Respekt behandeln. Du sollst anderen gegenüber keine Gewalt anwenden. Du sollst keine Waffen bauen und an andere veräußern. Du sollst dein Geld mit anderen teilen, wenn du viel davon hast. Du sollst keine Wucherzinsen erheben, wenn du Geld verleihst. Du sollst nicht wetten und um Geld spielen. Du sollst Kinder beschützen und dich ihnen nicht in sexueller Absicht nähern. Du sollst Sex nur mit Erwachsenen deiner eigenen Spezies haben. Nach den Erfahrungen mit Sodom hielt ich es für angebracht, diesen Punkt mit aufzunehmen.

      Als gewählter Anführer deines Stammes sollst du die Interessen der Menschen vertreten, die dich auserwählt haben, für sie zu sprechen. Du sollst nicht spucken, nicht popeln, deine Umwelt nicht mit lauten Geräuschen belästigen. Nicht schreien, nicht fluchen, nicht beleidigend werden … Ich glaube, das war’s!“

      Elias folgte baff Gottes Ausführungen. „Also diese Liste ist ja wirklich komplett, da hast du nichts Wichtiges vergessen!“

      „Tja, man macht so seine Erfahrungen. Auch ich habe mal klein angefangen, war naiv und unerfahren.“ Es schien ihm peinlich zu sein.

      „Schau, Elias – nach dem Reinfall mit den Dinosauriern erschuf ich die Säugetiere, damals ein brandneues Konzept. Etwas später bastelte ich die Affen zusammen.“ Er tippte mit dem Zeigefinger der einen auf den Daumen der anderen Hand, so als wollte er mitzählen. „Ich musste erforschen, wie sich diese Konstruktion bewährt. Und ich sah, dass sie gut war.

      Nach ein paar hunderttausend Jahren wählte ich einen männlichen Vertreter der erfolgreichsten Affenart und gab ihm mittels Gentechnik den Verstand. So erschuf ich Adam. Weil er ganz gut zurechtkam, entnahm ich seiner Rippe etwas Genmaterial und erschuf daraus Eva.“ Er seufzte.

      „Eigentlich sollten die beiden sich um die Erde kümmern, Getreide anbauen, Bäume pflanzen, Tiere züchten. Aber als sie in die Pubertät kamen, hatten sie nur noch das eine im Kopf. Da hab ich sie rausgeschmissen. Meine kostbare Zeit war mir echt zu schade, um sie an zwei Sexsüchtige zu verschwenden! Ich hatte gehofft, der Verstand würde sie zu Höherem geleiten. Doch ich hatte wohl die natürlichen Bedürfnisse unterschätzt.“

      „In der Bibel steht, mit der Vertreibung aus dem Paradies seien auch Krankheit und Tod über die Menschen gekommen. Ist das wahr?“ Gott schaute Elias fragend an. „In der … was? Äh, warte kurz!“ Der Zeigefinger sprang wieder empor. Oszillierende Augäpfel durchstöberten die Notizen.

      „Ah, hier ist es ja! Bibel: Religiöse Textsammlung des Christentums. Warte kurz …“ Gott überflog den Inhalt des Alten und Neuen Testaments in wenigen Sekunden.

      „Na, sieh mal an, da sind sogar ein paar historische Ereignisse beschrieben! Aber recht ungenau. Ich muss es wissen, ich war schließlich dabei!

      Nein, Krankheiten und früher Tod sind das Ergebnis von genetischen Schäden, verursacht durch Inzucht. Wenn es anfangs nur zwei Menschen gab, von denen alle anderen abstammen, nämlich Adam und Eva, dann müssen sich in der zweiten Generation zwangsläufig Brüder und Schwestern miteinander gepaart haben. Anschließend Cousins und Cousinen. Ich hatte euch für damalige Verhältnisse nahezu perfekt konstruiert: exzellente Zähne, die immer wieder nachwachsen, kein Haarausfall, keine Plattfüße! Aber Adam und Eva mussten ja unbedingt ihren niederen Trieben frönen!“ Selbst nach so langer Zeit war ihm die Enttäuschung noch immer anzumerken.

      „Adam wurde 930 Jahre alt! Was ist heute noch davon übrig geblieben? Wenn ihr Menschen 80 Jahre alt werdet, seid ihr schon alt, klapprig und runzelig.“

      „Manche werden heute über hundert!“ warf Elias zur Ehrenrettung ein. „Lächerlich!“ konterte Gott. „Ein Mensch, der heute seinen 930sten Geburtstag feiern würde, wäre bereits im Jahr 1090 geboren worden. Er wäre Zeuge vom Bußgang Kaiser Heinrichs des Vierten zum Papst in Canossa geworden. Er hätte die Erfindung des Buchdruckes erlebt, die Eroberung Amerikas, die Entdeckungen Galileo Galileis, die überwältigende Musik von Bach und Mozart. Das ist ein hohes Alter!“

      Erneut wurde Elias bewusst, in welch kümmerlichen Ausmaßen sich ein normales Menschenleben doch abspielte. Dann fielen ihm plötzlich Bruchstücke der Schöpfungsgeschichte ein und deren Widerspruch zu Gottes Aussage: „In der Bibel steht irgendwas von einer Schlange, die ähh …“, Elias mühte sich durch seine lückenhaften Kindheitserinnerungen, „… Eva irgendwie überredete, ähh … eine Frucht von, ähh … vom Baum der Erkenntnis zu essen. Oder so ähnlich. Stimmt das?“

      Gott erhob sich murrend vom Bett. „Da kannst du mal sehen, wie sehr sich Geschichten verändern, wenn man sie mündlich