DER WIDERSACHER. Eberhard Weidner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eberhard Weidner
Издательство: Bookwire
Серия: Anja Spangenberg
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750214880
Скачать книгу
Spaß macht«, erwiderte der Eindringling lächelnd. »Gibt es denn einen besseren Grund? Und wenn du dich genug ausgeruht hast, können wir ja allmählich in die zweite Runde gehen.«

      Während der kurzen Kampfpause hatte sich Kohler wieder etwas erholt, auch wenn er noch immer heftige Schmerzen in der rechten Seite hatte. Er hatte fieberhaft überlegt, was er tun sollte. So angeschlagen, wie er war, und angesichts der kämpferischen Fähigkeiten, die sein Gegner bislang an den Tag gelegt hatte, war seine Siegesgewissheit geschmolzen wie ein Schneemann in der Wüste. Jetzt ging es ihm nur noch darum, ohne größere Blessuren und mit dem Leben davonzukommen.

      Aber wie?

      Schreien nützte ihm wahrscheinlich nichts. Bis seine Nachbarn realisierten, was los war und die Polizei riefen, und bis diese dann auch eintraf, hatte ihn der andere vermutlich längst auf die Bretter geschickt, bewusstlos oder, falls er es tatsächlich ernst meinte, vielleicht sogar tot. Also blieb ihm als einzige Alternative, so schmachvoll es auch war, die Beine in die Hand zu nehmen und abzuhauen. Unter Umständen war er dem Eindringling ja wenigstens im Davonlaufen überlegen.

      Kaum hatte Kohler diesen Entschluss gefasst, wirbelte er auch schon herum und lief in Richtung Flur, um die Haustür zu erreichen.

      Doch sein Widersacher schien vorausgeahnt zu haben, was in Kohlers Kopf vorgegangen war, denn er reagierte mindestens ebenso rasch. Und er war erheblich flinker als Kohler, der, noch bevor er die Tür erreicht hatte, am Oberarm gepackt und vehement zurückgerissen wurde. Erst da wurde es ihm so richtig bewusst, wie kräftig der andere sein musste, um seine 135 Kilogramm Lebendgewicht so mühelos zur Seite zu schleudern.

      Sobald der Eindringling ihn wieder losgelassen hatte, stolperte Kohler rückwärts. Noch ehe er sein Gleichgewicht wiedererlangen konnte, prallte er mit den Kniekehlen gegen ein Hindernis und kippte nach hinten. Er wusste bereits, worauf er landen würde, bevor die Kristallglasplatte des Wohnzimmertischs unter seinem enormen Gewicht zerbarst und er inmitten des Gestells aus poliertem Stahl und den Scherben landete, die sich an mehreren Stellen durch seine Kleidung in seinen Körper bohrten. Kohler schrie vor Schmerz.

      Er wälzte sich sofort zur Seite und befreite sich dabei vom Tischgestell. Dann tastete er hektisch nach den Stellen, wo die Schmerzen am heftigsten wüteten, und riss Glasscherben heraus. Die meisten Verletzungen waren zum Glück nur oberflächlich, weil die Scherben nur wenige Millimeter tief eingedrungen waren. Doch zwei dolchartige Glasstücke hatten sich tiefer in seinen Körper gebohrt, die eine in seinen Oberschenkel und die zweite in seinen Hintern, sodass er an diesen Stellen heftig blutete.

      Auf Händen und Knien und schwer atmend sah Kohler sich hektisch nach dem Eindringling um. Doch bevor er ihn entdeckte, bekam er bereits einen heftigen Tritt in die Seite, der ihn herumschleuderte, sodass er wieder auf dem malträtierten Rücken landete. Er schrie erneut. Inzwischen konnte er gar nicht mehr unterscheiden, wo der Schmerz am heftigsten wütete, denn längst tat ihm alles weh. Dennoch wollte er nicht einfach liegen bleiben und alles geduldig über sich ergehen lassen, sondern sich wenigstens zur Wehr setzen. Er musste nur die Gelegenheit bekommen, den Kerl einmal richtig zu treffen. In dem Fall reichte ein einziger Schlag, um das Blatt zu wenden.

      Kohler setzte sich stöhnend auf, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Doch kaum hatte er das getan, sah er eine Stiefelsohle auf sich zukommen. Sie wurde riesengroß, bevor sie ihn mit so enormer Wucht am Kopf traf, dass er beinahe schon dadurch das Bewusstsein verloren hätte. Sein Oberkörper wurde wieder nach hinten geschleudert, und sein Hinterkopf knallte auf den Parkettboden, worauf er tatsächlich bewusstlos wurde.

      Der Eindringling schnaufte einmal tief durch und sah missmutig auf den gefällten Giganten zu seinen Füßen hinab.

      Er hatte sich auf diesen Kampf gefreut und mit einer echten Herausforderung gerechnet. Doch der Kerl war letztendlich nur ein Scheinriese gewesen. Ein Zweimetermann mit viel Muskeln und wenig Hirn, der nicht einmal wusste, wie man effektiv kämpfte. Und so etwas wurde auch noch Personenschützer. Dabei hatte er sich nicht einmal selbst schützen können.

      Der Eindringling seufzte, bevor er sich abwandte und an die Arbeit machte. Als Erstes entfernte er die beiden Wanzen, die er vor zwei Tagen im Wohnzimmer und im Flur angebracht hatte, und steckte sie ein. Anschließend holte er einen Gefrierbeutel aus der Innentasche seiner Jacke. Er nahm den Gegenstand heraus, der sich im Beutel befand, und schob ihn in die Brusttasche des Sakkos, das der Bewusstlose trug. Dann steckte er den leeren Beutel wieder ein, bevor er zum Fenster ging und nach draußen sah. Da im Wohnzimmer hinter ihm kein Licht brannte, vor dem sich seine Silhouette abzeichnen konnte, und der Nachthimmel dicht bewölkt war, sodass der sichelförmige Mond dahinter verborgen war, war die Gefahr verschwindend gering, dass ihn jemand sah. Außerdem befanden sie sich im vierten Stock, wohin das Licht der Straßenlaternen nicht reichte. Um dennoch keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen, bewegte er sich behutsam und wie in Zeitlupe, als er sich nach allen Richtungen umsah. Die Straße vor dem Haus war verlassen. Hinter einem offenen Fenster auf der anderen Straßenseite stand ein alter Mann, rauchte eine Zigarette und sah auf die Straße hinunter. Ansonsten war im Augenblick niemand zu sehen.

      Der Eindringling wartete reglos und geduldig, bis der alte Mann seine Zigarette ausdrückte, das Fenster schloss und verschwand. Erst nachdem auch noch das Licht ausgegangen war, öffnete er das Fenster. Anschließend kehrte er nach einem letzten Blick in die Runde zu seinem Opfer zurück.

      Der Personenschützer war noch immer bewusstlos und hatte sich nicht gerührt. Als der Mann mit der tiefen Stimme ihn an den Füßen packte und zum Fenster schleifte, stöhnte er leise, wachte aber nicht auf.

      Nachdem der Eindringling sich noch einmal davon überzeugt hatte, dass niemand ihn beobachten konnte und die Straße unter ihnen noch immer verlassen war, hievte er den Bewusstlosen übers Fensterbrett und ließ ihn dann los.

      Ralf Kohler fiel vier Stockwerke tief, bevor er mit einem eigentümlichen Klatschen zwischen der Hausmauer und den am Straßenrand geparkten Autos auf dem Bürgersteig landete und augenblicklich starb. Allerdings bekam er davon gnädigerweise nichts mehr mit, da er bis zur letzten Sekunde ohne Bewusstsein blieb.

      Noch bevor der Körper am Boden aufgekommen war, hatte der Eindringling bereits das Fenster geschlossen und sich abgewandt, um eilig und ungesehen zuerst die Wohnung und anschließend das Haus zu verlassen.

      Kapitel 3

      Es war bereits nach Mitternacht, als Edgar Wimmer die Abkürzung durch den Luitpoldpark nahm.

      Wimmer hatte den Park, von Westen kommend, an der Brunnerstraße betreten. Nun war er auf einem der Wege in östlicher Richtung unterwegs und hatte soeben den Pumucklspielplatz mit dem Brunnen und dem Heckenlabyrinth passiert.

      Obwohl der Luitpoldpark um diese Uhrzeit ausgesprochen finster und völlig menschenleer war, hatte der 55-jährige Mann mit den kurzen mittelbraunen Haaren keine Angst. Warum auch? Schließlich nahm er diesen Weg an jedem Arbeitstag, und das sogar zweimal. Einmal bei Tageslicht am Vormittag, wenn er von seiner kleinen Zweizimmerwohnung in einem fünfstöckigen Mietshaus in der Hörwarthstraße zu seiner Arbeitsstätte ging. Dabei handelte es sich um ein bayerisches Wirtshaus mit Biergarten auf der anderen Seite des Parks, wo er als Kellner arbeitete. Nach Schließung der Wirtschaft um Mitternacht ging es anschließend wieder in die andere Richtung, nur dass es dann dunkel und vor allem an Werktagen kaum noch jemand im Park unterwegs war. Doch das machte Wimmer nichts aus. Im Gegenteil. Er liebte die nächtliche Stille nach den lauten und anstrengenden, oft hektischen Stunden in der Wirtschaft mit den manchmal nervigen, quengelnden Gästen, denen man oft nichts recht machen konnte.

      Da Wimmer diesen Weg schon so oft gegangen war, dass er ihn sogar im Schlaf mit verbundenen Augen gefunden hätte, und seine Beine ihn wie ein Autopilot nach Hause brachten, ohne dass er ständig darauf achten musste, wohin er lief, war er dabei meistens tief in Gedanken versunken. In der Regel ließ er dabei die vergangenen Stunden noch einmal vor seinem inneren Auge Revue passieren und dachte an die bemerkenswertesten der zahlreichen Gäste, die er im Laufe dieses Arbeitstages bedient hatte.

      In den mehr als fünfunddreißig Jahren, in denen er nun schon als Kellner tätig war, hatte er eine Art