Take Five ging zu Ende, nicht aber unsere verschmelzende Umklammerung. Bevor jedoch der nächste Musiktitel begann, versuchten wir schnell eine Nische in der Ecke vor dem Sofa zu erhaschen, was zwischen den dicht gedrängt sitzenden Gästen gar nicht so einfach war. Schließlich gelang es uns unter dem Fenster vor dem Heizkörper eine winzige Ecke auszumachen, in die wir uns eng aneinander geschmiegt fallen lassen konnten.
Irgendwie fühlte ich mich ermattet und innerlich sogar ein wenig ausgebrannt, und überlegte jetzt krampfhaft, wie es mir aus dieser benachteiligten Sitzposition heraus gelingen könnte, ein erlösendes Getränk für uns beide aufzutreiben. Durch auffällige Gesten versuchte ich meinem Umfeld verständlich zu machen, was uns zur Vervollständigung unseres Glückszustandes einfach noch fehlte, und erst nach mehrmaligem Anlauf wurde endlich mein flehentliches Bitten erhört. Man reichte uns durch die vielen kleinen Sitzgruppen hindurch zwei Senfgläser mit Rotwein, die über Köpfe hinweg balanciert, endlich über Umwege ihr Ziel erreichten.
Die Trinkbecher mit beiden Händen fest umschlossen, so als würde man uns dieses kostbare Gut gleich wieder wegnehmen wollen, berührten sich lautlos unsere Gläser, hinterließen dabei kaum einen Klang, weil sich unsere Finger verhakelt hatten, jeden störenden Laut unterdrückten, einfach nicht mehr voneinander lassen wollten.
Unendlich lange sahen wir uns tief in die Augen, küssten uns innig, zärtlich liebkosend, taten alles um diesen wundervollen Augenblick festzuhalten und ließen, unsere Körper fest in der Umklammerung, den ersten Schluck des Weines ganz langsam auf uns einwirken. Unsere Oberschenkel ineinander geschoben, die Gläser auf den Knien ruhend, saßen wir uns schweigend eine geraume Zeit gegenüber. Nur aus weiter Ferne nahm ich die Gespräche der Anderen wahr, wie nebulöse Wortfetzen an meinen Ohren vorbeischwirrend, im absorbierenden Dunst des Raumes verendend. In diesem Zustand war ich für jeden klaren Gedanken unfähig, weil innerlich viel zu aufgewühlt.
Gitti hatte ihre Augen halb geschlossen, ihr Kopf nur scheinbar schlafend, ruhte dicht angeschmiegt auf meinen Schultern. Diese neuen starken Gefühle beschäftigten mich jetzt ungeheuerlich, rasten durch meinen Kopf, fuhren geradezu Achterbahn. Langsam versuchte ich sie wieder für mich zu sortieren, sie auszuloten, in geordnete Bahnen zu lenken. Trotzdem war ich ein wenig verunsichert, fragte mich, welchen Platz würde Gitti wohl zukünftig einnehmen, schließlich war sie ja noch an Gero gebunden.
Das Sortieren meiner Gefühle, das lethargische Schweigen, aus heiterem Himmel unterbrach Gitti plötzlich meine geistige Abwesenheit, indem sie mir ganz spontanen einen Kuss aufdrückte und mich, keinen Widerspruch duldend, erneut zum Tanzen drängte. Erfrischt als wäre sie einem Bad entsprungen, zog sie mich durch das dichte Knäuel der Tanzenden bis in die Zimmermitte direkt unter den Dunstschleier der Lampe, verschränkte ihre Arme um meinen Hals und dirigierte mich, wie ein Wildpferd am Lasso hängend, mitten hinein in das kleine Zentrum der Lebenslust.
Wir plauderten aufgekratzt über alles was uns gerade in den Kopf kam, tanzten schwerelos, losgelöst von allem Irdischen, ich schwebte wie eine leichte Wolke über meiner kleinen großen Welt. Als könnten wir nie wieder voneinander lassen, glitten wir von einem Tanz zum anderen hinein das Glück des Vergessens, bis wir total ermattet, uns gegenseitig stützend, wieder zurück auf unsere Sofaecke rutschten. Beide waren wir ausgebrannt, mussten erst einmal verschnaufen, griffen nach den Gläsern, tranken mit gekreuzten Armen, so als hätten wir uns eben erst kennen gelernt, erzählten uns alberne Geschichten, lachten wie kleine Kinder, ausgelassen, befreiend, voll der Überzeugung, in diesem einzigartigen Moment wird die Kraft der Liebe die Zeit für uns anhalten.
Auch bei einem Teil meiner Gäste hatte ich den Eindruck, dass sie diese Nacht für endlos erklärt haben mussten, denn keiner machte Anstalten sich dem Sog seines Partners zu entziehen, oder gar meine Fete verlassen zu wollen. Ob im Dunstschleier meines Zimmers oder auf dem Treppenabsatz, ein Abklingen des Geräuschpegels konnte ich nirgendwo ausmachen, obwohl es mittlerweile bereits auf drei Uhr zuging. Erst als die Nacht sich anschickte dem neuen Tag ganz sanft das Feld zu räumen, wurde es allmählich stiller in meinem Haus zwischen den Welten.
Ob in seliger Zweisamkeit vereint, oder dem ausgiebigen Alkoholgenuss erlegen, nach und nach ergab sich jeder dem natürlichen Bestreben, gemeinsam mit seiner Eroberung in eine horizontale Lage zu kommen. Ähnlich wie im Dornröschenmärchen, in dem der Hofstaat in eine plötzliche Starre verfällt, lagen irgendwann all meine Gäste voll narkotisiert und durcheinander gewürfelt, dicht an irgendeinen Partner gekauert, und schliefen einen kollektiven Schlaf.
Gitti ging es genau wie mir, die aufregende Spannung des verliebt seins hatte uns bisher vom Einschlafen abgehalten. Vermutlich waren wir auch die Letzten, die noch gegen die Müdigkeit ankämpften, weil wir uns einfach nicht ergeben wollten. Durch die dicht beschlagenen Fensterscheiben dämmerte schon der Morgen, als wir beide eng ineinander gerollt schließlich den vergeblichen Kampf gegen das Wachbleiben aufgaben. Beim Hinüberdämmern in das andere Ufer der Nacht hatte ich noch den köstlichen Geschmack erfüllten Begehrens auf der Zunge und ließ mich fallen, hinein in einen glückseligen Traum.
Irgendwann unterbrach ein penetrant wiederkehrendes lautes Klopfen meinen wundervollen Traum, und zwar genau an der Stelle, wo meine Lippen dabei waren Gittis kleine Brüste zärtlich zu umschmeicheln. Ich war völlig benommen und gar nicht in der Lage irgendetwas zu realisieren, als diese dumpfen Schläge, die wie das Schlagen einer Trommel unaufhörlich mein Gehör malträtierten, wie wild auf mich einhämmerten. Als hätte mich ein Blitz getroffen, katapultierte ich mich aus meinem träumenden Glückstaumel, schnellte jäh hoch und glaubte meinen Augen nicht zu trauen, denn in der weit geöffneten Wohnungstür stand, meinen Namen laut in den Raum schreiend, meine Nachbarin:
„Stehen sie auf, schnell, es brennt, stehen sie auf!“ Sie war total aufgeregt, fuchtelte wild mit ihren Händen herum und drängte mich, umgehend mit ihr nach unten zu kommen. Ihre Verbalattacke zeigte so schnell bei mir erst einmal keine Wirkung, denn ich war krampfhaft bemüht überhaupt aufzustehen, und unternahm alle Anstrengungen um in die Senkrechte zu kommen, rieb mir verzweifelt die Augen, weil ich nach wie vor überzeugt war, dass ich mich noch im Traumland befände.
Aus weiter Ferne, von draußen kommend, registrierte ich in meinem vermeintlichen Wachkoma letzte akustische Warnsignale einer Feuerwehr, die gerade dabei waren wieder abzuebben, bis sie, wie auf ein Kommando hin, plötzlich schlagartig verstummten. Alle Kraft zusammen nehmend rappelte ich mich mühsam auf, und stand zunächst zur Säule erstarrt zwischen den am Boden liegenden, ineinander verflochtenen Leibern. Meine Nachbarin geriet fast außer sich und drängte mich, doch nun endlich zu kommen. Als ich auf sie zuwankte, wollte ich einfach nicht wahrhaben, was ich da vor mir sah:
Aus dem Treppenhaus kommend arbeiteten sich dicke Schwaden schwarzer Rauchwolken langsam bis in mein Zimmer vor, rollten wie eine dunkle Regenwolke auf mich zu und nahmen mir fast den Atem. Spätestens jetzt war ich hell wach und wieder Herr meiner Sinne. Mir selbst einen Stoß versetzend, hüpfte ich torkelnd über das am Boden liegende Menschenknäuel, rüttelte Gitti und danach alle anderen wach und rannte wenig später, nur mit der Unterhose bekleidet, als hätte man mich beim verbotenen Liebesakt ertappt, hinter meiner Nachbarin her die Treppe hinunter.
Schon auf dem ersten Treppenabsatz konnte ich erkennen, dass die dicken Rauchschwaden, aus der Besenkammer kommend, im Begriff waren sich in rasender Geschwindigkeit weiter nach oben zu arbeiten, um mittlerweile das gesamte Treppenhaus einzunebeln. Durch die dichte schwarze Wand hindurch sah ich hin und wieder, wenn auch nur schemenhaft, die silbernen Blitze blanker Feuerwehrhelme huschen. Zwischen dem undurchsichtigen Nebel erblickte ich einige emsig durcheinander wirbelnde Männer, die mit angelegter Gasmaske damit beschäftigt waren, mittels einer langen Eisenstange ein großes, stark qualmendes Monster aus der Besenkammer herauszuziehen.
Endlich auf dem unteren Treppenabsatz angekommen,