Flüchtige Verstrickungen. Hans-Georg Hohlbein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Georg Hohlbein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844246223
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      Hans Hohlbein

      Flüchtige Verstrickungen

      Roman

      Für Christian

      1.Auflage

      Taschenbuchausgabe Dezember 2012

      Pubslihed by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de (epubli Verlagsgruppe Holtzbrinck)

      Copyright © der Originalausgabe 2012 by Hans Hohlbein, [email protected]

      Umschlaggestaltung: foto&art Hans Windeck

      Umschlagfoto: Matthias Hoffmann, www.mauerfotos.de

      Druck und Einband: (epubli GmbH)

      Printed in Germany

      1

      „Chris, ich muss dir etwas Wichtiges anvertrauen!“ Vorsichtig vergewisserte ich mich, dass uns keiner zusah, während sich meine zur Faust geballte Rechte ganz unauffällig meinem Freund Christian näherte. In der fest geschlossenen Hand befanden sich zwei kleine Sicherheitsschlüssel, die ich ihm heimlich, als wären es die Tresorschlüssel für einen Banksafe, hier in unserem Stammcafe übergeben wollte. Seinem fragenden Gesichtsausdruck war anzusehen, dass er nicht ahnen konnte, was jetzt über dem Tisch auf ihn zukam, denn meine im Flüsterton vorgetragene Offenbarung klang weit weniger überzeugend, als der feste Entschluss, mein Leben schon am morgigen Tag entscheidend verändern zu wollen.

      Ging mein Plan schief würde es mich Kopf und Kragen kosten. In vielen schlaflosen Nächten hatte ich mit mir gerungen, und das Für und Wider dieser mein ganzes Leben gefährdenden Entscheidung abgewogen:

      Mit wem konnte ich über dieses gefährliche Vorhaben reden? Und vor allem, wem konnte ich grenzenlos vertrauen? Lange hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen und erst nach reiflicher Überlegung war die Entscheidung auf meinen Freund Christian gefallen. Hier in der vertrauten Umgebung des Lindencafes wollte ich meinem besten Freund ein Geheimnis anvertrauen, dass unter keinen Umständen jemals die Außenwelt erreichen durfte. Er war der Einzige, der von meinem Wagnis erfahren durfte, denn uns beide verband weitaus mehr als bloße Freundschaft. Unser enges Verhältnis basierte auf Vertrauen und Verlässlichkeit, aus den vielen gemeinsamen Erfahrungen unserer frühen Jahre.

      Es war jene wilde Internatszeitzeit im kleinen Havelstädtchen Werder, die wir in all den Höhen und Tiefen jugendlichen Leichtsinns durchlebt hatten. Die Turbulenzen des Rock and Roll Ende der Fünfziger, das Erwachen unserer Sexualität, die Begleiterscheinungen des pubertären Heldentums, die vielen unvermeidlichen Störmanöver unseres Jungseins, all diese tief greifenden Erlebnisse hatten unser freundschaftliches Bündnis für immer besiegelt, uns wie Blutsbrüder für ewig zusammengeschmiedet.

      Chris hatte mir in so manch heikler Lebenssituation zur Seite gestanden, allen voran die Auseinandersetzungen mit den lokalen Banden des Städtchens, der jeder von uns durch die ständige Konfrontation mit Werders dominanter Halbstarkenszene ausgesetzt war. Welche Gefahren sich auch immer vor uns auftaten, Chris rettete uns wieder und wieder vor den Attacken gewalttätiger Schläger, indem er ganz einfach die Gitarre nahm und sich schützend vor seine Jungs stellte.

      Allein schon die Berührung der Saiten, der erste Anschlag, der Widerhall der Akkorde am alten Gemäuer, seine ganz individuell kraftvolle Interpretation des Rock and Roll, von diesem faszinierendem Spiel ging eine ureigene Magie aus, und im Handumdrehen zähmte Chris jeden der von uns allen gefürchteten Bandenmitglieder.

      Damals absolvierten wir beide eine Fotografenlehre, Chris in Treuenbrietzen und ich in Neuruppin, eine verstaubte Zeit im biederen Umfeld der miefigen Fünfziger. Zweimal im Jahr half uns ein vierwöchiges Fachschulstudium diesem Provinzmief für einige Zeit entfliehen zu können. Mit leuchtenden Augen und großen Erwartungen hingen wir aus den Fenstern der alten Dampfbahn, wenn sie schnaufend in den kleinen Bahnhof des verträumten Havelstädtchens einfuhr.

      Der Fotografenberuf wie auch die Profession des Medizinisch Technischen Assistenten, in jenen Jahren zählte sie zu den so genannten Splitterberufen, und einzig dieser besondere Status brachte es mit sich, dass diese beiden sehr unterschiedlichen Gruppierungen gemeinsam in einem Haus untergebracht waren.

      Die ausnahmslos weiblichen MTA Lehrlinge verteilten sich über beinahe alle Räumlichkeiten des Internates und selbst in unserer Fotoklasse waren die Mädels stets in der Überzahl, so dass das kleine Häufchen angehender Männer mit einem einzigen Zimmer auskommen musste, welches direkt hinter dem Jungenwaschraum gelegen war. Für uns schwachbrüstige Männerbastion bot diese versteckte Quartierslage allerdings eine ideale Vorrausetzung, um Strategien für unsere weiblichen Eroberungsfeldzüge entwerfen zu können. Welch wunderbare Konstellation für pubertierende Helden!

      Durch die Höhen und Tiefen vieler gemeinsamer Erlebnisse sind Chris und ich in dieser langen Internatszeit von Jahr zu Jahr enger zusammengerückt, unsere Freundschaft bekam dort ihre entscheidenden Wurzeln. Chris war für mich nicht nur allein ein Freund, musikalisch betrachtet war er sogar Vorbild und Idol zugleich, auch wenn ich letzteres mit vielen Jugendlichen der Havelstadt teilen musste.

      Der Rock and Roll war auf dem Vormarsch, eroberte mit Elvis Presley, Peter Kraus und Bill Haley auch einen beachtlich großen Teil des Ostens. Die Gitarre wurde zum dominierenden Musikinstrument, und Chris war auf diesem Instrument ein wahrer König, denn er spielte wie ein junger Gott und wurde damit nicht nur bei unseren Internatsmädchen, sondern allmählich auch bei einem beachtlichen Teil der Jugend in Werder zum Favorit der Herzen. Oft holte man ihn an Wochenenden zu Bühnenauftritten in die Tanzgaststätte Melodie, wo er mit Songs von Peter Kraus und Elvis Presley den Saal regelrecht zum Kochen brachte. Unsere anfänglichen Probleme mit Werders lokaler Halbstarkenszene hat Chris durch schlagende Akkorde mit seiner Nashville nahezu weggefegt. Selbst die härtesten Jungs wurden weich wie Butter, wenn er schluchzend und röhrend den Elvis gab.

      In der Anfangszeit hat man unserem Häufchen smarter Fotojungs ständig aufs Neue Prügel angeboten, verständlich, denn schließlich konnten Werders harte Jungs die „Hahn im Korbe Situation der Foto Fuzzis aus dem Internat nicht so ohne weiteres kampflos hinnehmen. Aber schon wenig später, als der gewaltige Rockerfolg von Chris mit Nichts mehr aufzuhalten war, kam für uns das große Aufatmen:

      Die von uns allen gefürchtete Bande bot uns einen bedingungslosen Waffenstillstand an. Unsere Erleichterung schien auf einmal grenzenlos zu sein. In Röhrenhosen gezwängt und mit zur Ente gekämmtem Haupthaar, mühten wir Jungs uns voller Übermut vor all den Mädchen mit dem gerade in Mode gekommenen Hula Hup ab. Wir schwangen die Reifen um unsere Hüften, die Welt drehte sich, alles um uns schien zu fließen, und wie im Flug vergingen die letzten vier Wochen der Fachschulausbildung.

      Der August beendete auch unsere dreijährige Lehrzeit. Internat ade. Nicht enden wollende Abschiedsszenen, heiße Tränen auf brennenden Lippen, Treueschwüre für die Ewigkeit. Unsere Klasse verstreute sich wieder in alle Provinzen der kleinen Republik. Vorbei!

      Mit Chris und mir aber sollte es anders weitergehen. Schon bei unserem letzten Aufenthalt in Werder hatte sich uns eine Möglichkeit der beruflichen Veränderung angeboten. Für uns beide die einmalige Gelegenheit, dem Provinzmief für alle Zeit den Rücken zu kehren.

      So beschlossen wir im August 1960 unser heimatliches Provinznest gegen die Metropole der ostdeutschen Traumfabrik des Films einzutauschen. Vakant war eine Anstellung bei der DEFA in Babelsberg, der einzigen Filmgesellschaft der DDR. Wir brauchten nicht weiter zu überlegen und stimmten kurz entschlossen dem verlockenden Angebot zu. Endlich schienen sich unsere Träume zu erfüllen und wir packten unsere Koffer für die Abenteuerreise in die Filmstadt.

      Für Chris war die Entfernung zum Arbeitsort kurz, er konnte täglich mit dem Zug nach Hause fahren, während ich in Babelsberg saß und für die ersten Nächte erst einmal keine Bleibe hatte. Unter Umgehung einiger Vorschriften fand sich schließlich auch für dieses Problem eine Lösung, die auch wenn sie nicht gerade komfortabel war, auf ungewöhnlichem Wege eine direkte Verbindung zu meinem neuen Arbeitsplatz herstellte:

      Es