Zement. Fjodor Gladkow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Gladkow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754938942
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mal hin mit ihm, dieser Ketzerseele, dem Gleb, und er kriegt die Ohren voll gejammert. Steh auf! Gib dem Herzensgenossen Gleb einen Kuss! Das andere auf ein andermal."

      Motja blieb auf dem Sack sitzen und heulte.

      Gleb trat zu ihr und streckte ihr die Hand hin. „Na, Motja, du Mordsweib! Fein kämpfst du für deine Rechte! Tag, meine Liebe!"

      „Verschwinde gefälligst!" antwortete sie bissig. „Eure Sorte kennt man, ihr wollt bloß faulenzen, und wir sollen schuften."

      „Ich bleibe aber, Motja! Was hast du mir zu bieten: Braten, Tee mit Zucker — du alter Hamstersack." Gleb lachte und neckte sie, haschte nach ihren Händen und ließ sie willig draufklopfen.

      „Warum jagst du mich fort, Motja? Bin so schon drei Jahre weggewesen, an der Front. Statt dich nun zu freuen, behandelst du mich wie einen Feind. Weißt du noch, was für ein strammes Mädel du gewesen bist? Ich war drauf und dran, dich zu heiraten, aber da kam mir Sawtschuk in die Quere, dieser verdammte Böttcher."

      Erschrocken fuhr Motja auf; sie schien Gleb erst jetzt zu bemerken.

      „Ja, du meine... Das ist doch... Das bist du doch — Gleb Iwanowitsch!" Sawtschuk lachte trunken.

      „Das ist kein Weib, Gleb, eine Kröte ist das. Wenn du mein Freund bist — nimm dein Maschinengewehr und schieß sie tot." Plötzlich stöhnte er verzweifelt auf. „Das ist kein Leben mehr, was ich führe, Gleb. Und sie hat sich im Hamstersack begraben. Sie haben uns das Leben gestohlen, Gleb!"

      Motja stand auf und lehnte sich erschöpft gegen die Wand.

      „Ich habe doch Kinder gehabt, eine reiche Mutter bin ich gewesen. Wo sind sie geblieben, Gleb Iwanowitsch? Wozu lebe ich denn noch?"

      Sie sah Gleb aus tränentrüben Augen an, strich mit zitternden Händen ihren Rock über den Knien glatt und nestelte an der Bluse.

      Ach ja, auch Motja war nicht mehr die alte, nicht mehr das sanfte, freundliche, heitere Geschöpf von früher. Gleb sah sie noch vor sich inmitten ihrer lärmenden Kinderschar — die immer geschäftige, zärtlich besorgte Glucke.

      Sawtschuk setzte sich auf einen Schemel und schlug mit der Faust auf den Tisch.

      „Weit haben wir's gebracht, Bruderherz!... Mir ist angst,

      mein Junge. Nicht den Tod fürcht ich, der will von mir nichts wissen. Vor der Düsternis ist mir angst und der Ödnis. Sieh sie dir an — das ist keine Fabrik — das ist die reinste Müllgrube, ein Ziegenstall... Es gibt keine Fabrik mehr ... Und wenn die hin ist, wo bleibe ich dann, Gleb?"

      Motja starrte ihn mit blicklosen Augen an. Plötzlich lächelte sie verlegen. „Zieh dich an, du Büffel! Da hast du dein Hemd. Läufst herum wie ein Landstreicher."

      Gleb lachte auf. „Komisch seid ihr, Kinder!" „Motja, Frau!" Sawtschuk ging zu ihr, hob sie wie ein kleines Mädchen hoch und hielt sie Gleb hin. „Da hast du meine Motja — knutscht euch ab, ihr Ketzerseelen!"

      Ü ber dem Berggipfel schimmerten die rauchlosen Schlotspitzen, durchsichtig wie leere Gläser.

      Auf dem von wucherndem Kreuzdorn- und Thujagestrüpp zottigen Hügel und dem rostigen Bremsberg lagen umgekippte Loren wie tote Schildkröten herum.

      „Die Fabrik... was ist sie gewesen, und wie sieht sie jetzt aus, mein Freund Gleb! Weißt du noch, wie in der Fassbinderei die Sägen gesungen haben? Das war Musik — einfach herrlich! Ach, lieber Genosse! Ich bin doch hier aus dem Ei gekrochen."

      Sawtschuk sehnte sich zurück nach der alten Fabrik, trauerte seiner früheren Arbeit nach. Tränen traten ihm in die Augen, und wie er so dastand in seinem Leid — ein jammervolles Lächeln um die Lippen, den Kopf hoch erhoben —, glich er einem Blinden.

      Motja stand neben ihm — ebenso blind und jammervoll. „Ich gehör ins Haus — bin nur fürs Nest, für Kinder geschaffen. Warum zerstörst du auch das Letzte?"

      „Motja, soll ich's machen wie die anderen? Feuerzeuge basteln? Fässer flicken für die Bauern? Das überlasse ich dir, du herrenloser Hund. Lieber krepiere ich, aber ich verkaufe meine Seele nicht dem Teufel."

      Wieder schlug er mit der Faust auf den Tisch und knirschte mit den Zähnen.

      Motja aber stand da und faselte wie im Schlaf: „Hatten ein volles Nest, Gleb Iwanowitsch — wir hatten's —, wo ist es geblieben? Umgekommen, verreckt sind unsere Kinder. Wo soll ich jetzt hin, sag selbst? Wozu bin ich noch nutze? Kann man denn so weiterleben? Totgeweint habe ich mich. Ich kann nicht, kann nicht mehr, Sawtschuk! Ich geh auf die Straße und hol mir ein paar elternlose Kinder."

      Gleb war bewegt. Er umarmte Sawtschuk. „Du bist doch mein alter Kamerad, Sawtschuk. Schon als Jungs sind wir zusammen arbeiten gegangen. Und war Motja nicht unsere Freundin? Während du hier gehockt und geunkt hast, habe ich gegen den Feind gekämpft. Jetzt kehre ich heim, und vom Heim ist nichts mehr da — von der Fabrik auch nichts. Motja ist ein gutes Weib. Wir werden die Kräfte zusammenlegen, Sawtschuk. Wir sind geschlagen, doch wir haben auch schlagen gelernt, sehr gut gelernt, Sawtschuk, glaub mir!"

      Sawtschuk sah ihn verdutzt an und schüttelte den Kopf.

      Motja lehnte sich an Gleb und umfasste seine Schulter. „Gleb, Freund... Sawtschuk ist ein guter ... bei Gott, ein sehr guter Mensch. Ach, Gleb, ich brauche ja nichts ... nur wieder die Brust voll Milch. Was für ein Leben!"

      „Motja, schmus nicht mit ihm wie eine Braut — noch ist er nicht dein Kavalier!"

      Gleb drückte Motja die Hand und lachte. „Komisch seid ihr, Kinder!"

      Die Maschinen

      Um von der „Gemütlichen Kolonie" zum Betriebsgewerkschaftskomitee zu kommen, gab es zwei Möglichkeiten: entweder die Chaussee an den Fabrikgebäuden entlang oder einen verschlungenen Weg über die Schutthalden in

      den Vorbergen, der durch Gestrüpp, über Geröll und stillgelegte Abbaustellen führte.

      Von dort war das Werk in seinem ganzen verwickelten Durcheinander zu überblicken: Türme, Bogen, Viadukte; Kolosse aus Beton und Stein — bald schwerelos und schwebend wie gigantische Ballons, bald kubisch streng in ihrer Einfachheit und architektonischen Schwere. Sie türmten sich, fest miteinander verschmolzen, oder wuchsen als Monolithe in verschiedener Höhe aus dem Berg hervor. In den Schluchten aber, auf den zerstörten Bremsbergen voller Steine, verlassener, rostiger Loren und Gestrüpp, unter und über den Felshängen, auf den Schutthalden — überall sprangen einzeln, planlos, unvermutet kleine Häuschen aus dem blauen Zementgrund. Die Steinbrüche bildeten Terrassen, die, in allen Regenbogenfarben schillernd, in die Schluchten hinabstiegen und im wilden Dickicht des jungen Waldes verschwanden. Wie eine Fata Morgana flimmerte hinter dem Werk zwischen den Landspitzen das Meer. Von der Stadt, auf der anderen Seite der Bucht, und vom Werk zog sich je eine Mole wie eine straffgespannte Bogensehne ins Meer hinaus, mit einem hohen Leuchtturm am Ende. In weiten Halbkreisen rollten Wellen auf das Werk und auf die Anlegestellen zu und brachen sich schaumsprühend am Ufer.

      Die Aussicht war dieselbe wie vor drei Jahren. Nur hatten damals Werk und Berg vor innerer Glut gebebt, waren die Gebäude, Schlote und Anlegestellen vom verborgenen Maschinengrollen und Motorengeheul voller Leben und kraftgeladen gewesen in vulkanischer Spannung.

      Gleb ging den Weg entlang, blickte hinunter auf das Werk, horchte in die Stille des Tales, die vom Murmeln der Bäche noch vertieft wurde, und fühlte, dass auch er schwerfällig geworden war, dass sich auch auf ihm der Steinstaub ablagerte.

      War das wirklich dieselbe Fabrik, die er von Kind auf kannte? Waren das dieselben Wege und Pfade, auf denen er morgens zur Arbeit und abends nach Hause gegangen war? Und war das wirklich er, Gleb Tschumalow, der Arbeiter in blauer Bluse aus der Schlosserei, der jetzt den verwilderten Weg entlangging, kummervolles Fragen und Staunen in den Augen?

      Früher, als er noch einen hochgezwirbelten Schnurrbart trug und sein Gesicht voll Ruß und Eisenstaub war, wirkte er brünett. Jetzt war er glatt rasiert;