„Tun Sie das.“, pflichtete ihm Arthur Ossom bei. „Sonst vergesse ich mich.“
Nachdem Kullmann dieser Pflicht nachgekommen war, stieg er mit schweren Schritten die Treppenstufen wieder hinauf. Das war sein erster Urlaub am Mittelmeer. Außerdem war es ein Geschenk an seine Frau, an Anke und an die kleine Lisa. Er hatte sich davon versprochen, seiner kleinen Familie eine Freude zu machen. Und diesen Urlaub verbrachte er damit, sich an der Rezeption über andere Hotelgäste zu beschweren.
Er rieb sich über seine Augen.
Am oberen Treppenabsatz hielt Anke ihn am Arm fest, schaute in sein betrübtes Gesicht und erklärte im Brustton der Überzeugung: „Wir werden diesen Urlaub genießen – glaub mir. Es ist unser erster gemeinsamer Urlaub, soll nicht unser letzter sein und vor allen Dingen ein schöner und unvergesslicher.“
„Unvergesslich wird er bestimmt“, grunzte Kullmann. „Dafür haben wir schon genügend Unannehmlichkeiten erlebt.“
„Du bist und bleibst ein Pessimist“, schimpfte Anke. „Die schönen Dinge übersiehst du dabei einfach. Lass die beiden doch. Keiner will sie in ihrer Nähe haben, sie sind ganz allein. Sogar die Einheimischen prügeln auf sie ein. Irgendwann geben sie auf.“
„Wie gut, dass du nie den Mut verlierst.“ Kullmann lachte. „Damit schaffst du es jedes Mal, meine trübsinnigen Gedanken zu vertreiben.“
Kapitel 7
„Jetzt haben wir uns alle ein gutes Abendessen verdient“, stellte Kullmann fest und rieb sich tatenfreudig die Hände.
Anke trat durch die Verbindungstür in ihr eigenes Zimmer, öffnete den Schrank und suchte sich für den Abend einen kurzen Jeansrock und ein eng anliegendes Top aus. Als sie zurückkehrte, erntete sie bewundernde Blicke von Kullmann.
„So hübsch habe ich dich noch nie gesehen“, stellte Kullmann anerkennend fest. „Du hast eine Figur wie ein junges Mädchen.“
„Norbert“, schimpfte Martha. „Anke ist ein junges Mädchen.“
„Ich weiß nicht“, wehrte Anke lachend ab. „Mit sechsunddreißig Jahren und Mutter einer dreijährigen Tochter bin ich wohl kein junges Mädchen mehr.“
„Stimmt. Dann einigen wir uns eben auf eine junge Frau“, gab Martha zu.
Der Tag neigte sich dem Ende zu, die Sonne spiegelte sich rot im Wasser zwischen großen und kleinen Booten. Zahlreiche Touristen tummelten sich auf dem großen Hafengelände. Mofafahrer fuhren mit laut knatternden Maschinen die Promenade entlang, Hunde bellten. An den Wohnhäusern standen Bänke angelehnt. Darauf saßen alte Männer nebeneinander, rauchten Pfeife und diskutierten in einer Heftigkeit, dass es nach Streit aussah. Aber ihr Lachen und ihr Schulterklopfen bewiesen, dass sie einfach nur viel Temperament in ihre Argumentation legten. Kinder spielten direkt vor ihnen auf dem Kopfsteinpflaster, fuhren mit ihren Fahrrädern in die Touristenmenge hinein, bolzten einen Fußball einem Passanten an den Kopf, fingen eine kleine Katze ein, die sie dann ausgiebig an ihren Ohren zogen, bis das arme Tier zu schreien begann. All das beobachteten die alten Männer mit Wohlwollen, strichen ihren Enkeln über die Köpfe, als seien sie die reinsten Engel, was die Kinder dazu antrieb, ihren Unfug zu forcieren.
Die Restaurants waren überfüllt. Ein Gitarrenspieler unterhielt die Menschen mit seiner Musik, andere junge Männer versuchten den Touristen ihr Geld abzuluchsen, indem sie ihnen Scherenschnitte von deren Profil aufschwatzten oder Tattoos, die sich nach der ersten Berührung mit Wasser wieder in Nichts auflösten. Andere priesen ihre Waren auf Booten an, die dicht am Ufer fest verankert waren.
Ein großes Schiff lief in den Hafen ein.
Alle kleineren Boote, die vor Anker lagen, gerieten in Bewegung. Das Wasser schlug Wellen, die Boote schaukelten heftig hin und her.
Das alles ließen sie hinter sich.
Am Ende des Hafens erreichten sie das Lokal „Amfora“.
Vor dem Eingang stand ein Kellner und sprach sie an: „Kommen Sie, meine Damen und mein Herr. Essen Sie bei uns. Es schmeckt gut und ist nicht teuer.“
Sie folgten seiner Aufforderung, ließen sich einen schönen Platz zeigen, mit Blick über die Uferpromenade und das Meer. Blitzschnell wurde ihnen die Karte gereicht und Getränke gebracht.
„Wenn es in dem Tempo weitergeht, bin ich zufrieden.“ Kullmann grinste. Er setzte sich seine Lesebrille auf, um die Karte zu studieren.
Nachdem sie ihre Auswahl getroffen hatten, richteten sie ihren Blick auf die Promenade. Sie beobachteten den Kellner, der sie auf der Straße angesprochen hatte. Seine Aufgabe bestand darin, das Geschäft anzukurbeln. Ein weiterer Beschäftigter des Etablissements stand auf der gegenüberliegenden Seite und behielt alles genau im Auge. Gelegentlich trat er auf den Kellner zu und gab ihm Anweisungen. Seine Gestalt war massig, seine Haare schwarz, seine Bewegungen fahrig. Ständig fuchtelte er mit seinem Handy herum, telefonierte zwischendurch, was seine Nervosität forcierte. Dabei bewegte er sich sehr schnell, was im Gegensatz zu seiner Leibesfülle stand. Sein Gebaren deutete darauf hin, dass er der Chef des Restaurants war.
Als Vorspeise wurde ihnen Istarska Supa serviert, eine traditionelle Spezialität aus Istrien, die aus Rotweinsuppe mit Olivenöl und gerösteten Brotstücken bestand.
Kullmann und seine Angehörigen wurden vorübergehend von dem Treiben vor dem Lokal abgelenkt. Während sie aßen, wurde es plötzlich laut in der letzten Tischreihe. Sie schauten auf und sahen einen weiteren dicken Mann mit schwarzen Haaren, der zusammen mit drei blonden Frauen an einem großen Tisch Platz nahm und alle Kellner für sich beanspruchte.
Kullmann knurrte: „Ich bekomme den Eindruck, dass hier Mafiamethoden praktiziert werden.“
„Glaubst du, dass der Chef und dieser Mann gemeinsame Sache machen?“, hakte Anke nach, die ebenfalls dieser Eindruck überkam.
„Schlimmer“, antwortete Kullmann. „Ich habe mir den Namen des Besitzers angesehen, er heißt Ivan Kusić. Dieser Name ist nicht kroatisch. Das Restaurant ist in den Händen von Kosovo-Albanern.“
„Was ist daran so schlimm?“
„Kosovo-Albanien war schon immer ein kleines unbedeutendes Land in dem Vielvölkerstaat unter der Herrschaft von Tito. Nach dem jüngsten Balkan-Krieg wurde das Land gegen seinen Willen dem Staat Serbien angeschlossen. Als Reaktion darauf machten sie sich auf eigene Faust selbstständig, entwickelten sich illegal zu einer Splittergruppe, die sich mit dem Geld, das sie durch Schutzgelderpressung, Drogenhandel und Prostitution eintreibt, in Bosnien, Serbien, Kroatien und Slowenien große Macht erkauft.“
Kaum hatte er ausgesprochen, trat der Dicke, der soeben noch vor der Tür gestanden und alles überwacht hatte, mit einem großen Tablett an den Tisch in der hinteren Reihe. Auf dem Präsentierbrett befand sich ein Hummer.
Anke war sich sicher, dass er nun den Gästen zum Essen serviert würde, doch sie täuschte sich. Der Dicke stellte das Tablett ab und begann, mit den Fühlern des großen Schalentiers zu spielen. Plötzlich begann sich der Hummer zu bewegen. Mit ruckartigen Bewegungen schwenkte er seine Scheren aus. Die drei Frauen und ihr Gönner lachten herzhaft. Der Restaurantbesitzer stimmte in das Lachen ein, bis es zu einem Grölen ausartete. Dann verschwand er mit dem Hummer wieder. Anke konnte sich denken, wohin das arme Tier nun landen würde.
Kullmann schüttelte den Kopf und murrte: „Es war nicht meine Absicht, euch in eine solche Spelunke auszuführen.“
„Von außen sieht man ja nicht, was sich hinter den Kulissen abspielt.“
„Stimmt. Die Mafia weiß sich zu tarnen. Können wir nur hoffen, dass es nicht gerade jetzt zu einem Bandenkrieg kommt.“
Anke schaute Kullmann verdutzt an und fragte: „Warum sollte das passieren?“
„Weil sich die Kroaten nicht gern