Garantor traute seinen Augen nicht, schrie: „Verdammt, was soll das? ... Brand!!!“
Der alte Schütze hatte schon längst verstanden und feuerte mit seinen Mannen eine Salve auf den fliehenden Oger ab. Keiner der vier Schützen konnte einen Treffer landen. Zu groß war die Entfernung.
„Nochmal! Verdammt schießt!!!“, brüllte der Zwerg. „Der scheucht uns den ganzen Sumpf auf! Lasst ihn nicht entkommen!!“
Während der Anführer brüllte, flog die zweite Salve über seinen Kopf hinweg in Richtung des sich entfernenden Ogers. Vergebens. Wütend schnallte Brube seine Hellebarde wieder auf den Rücken und knurrte: „Den hol‘ ich ein, wenn du willst ...“
Garantor gestikulierte mit beiden Händen, während er seine Befehle gab: „Cebrid und deine Leute, Brand und der Rest der Schützen bleiben hier mit mir beim Händler.“ Daraufhin wandte er sich an Mauran Falkenflug: „Du ... Falke, verfolgst mit dem Rest den Oger. Du musst ihn einholen. Wer weiß, wo in dem verdammten Sumpf seine Sippe haust!!“
Schon rannten sie los, mit wildem Geschepper und Kampfgebrüll. An Thef hatte Garantor keinen Befehl gerichtet. Er war neben dem Zwerg geblieben. Sie waren wohl beide der Ansicht, dass eine Verfolgungsjagd dieser Art nicht zu seinen Aufgaben gehörte.
„Verdammt, verdammt ...“, brummte der Zwerg und überdachte noch angespannt die Situation. Er machte sich Gedanken darüber, ob er die vier Bogenschützen, oder wenigstens zwei von ihnen, mit dem Verfolgungstrupp hätte mitschicken sollen. Bald hatte er diesen Gedanken jedoch verworfen. Zum einen hatte der unmittelbare Schutz des Händlers oberste Priorität und zum anderen waren Oger recht plump. Nicht schnell genug, um den menschlichen Streitern entrinnen zu können. Kurz blickte er auf Meisterlich. Der schien zwar nervös, aber anscheinend hatte er sich unter Kontrolle.
Grimmig packte Cebrid seinen Zweihänder in die Scheide. Ebenso wie die anderen Männer war er enttäuscht und nervös. Nervös, weil er um ihrer aller Sicherheit bangen musste und enttäuscht, weil er hierbleiben musste, anstatt seinem Bruder zur Seite zu stehen. Dennoch stellte er Garantors Einschätzungsvermögen nicht infrage. „Marschieren wir weiter?“, fragte er schnell. Sein Drang voranzukommen war offensichtlich.
Mit der Rechten gab Garantor das Signal zum Aufbruch. So schnell es der schwere Händlerwagen zuließ, setzten sie die Reise fort. Etwas später kam Brand zu Garantor und entschuldigte sich für sein Unvermögen und dem seiner Männer. Freundschaftlich entgegnete der Zwerg: „Hör auf Brand. Für solches Gewäsch kennen wir uns schon viel zu lange. Vergiss es einfach.“
Der verständnisvolle Tonfall Garantors beruhigte Brand sichtlich.
Nach kurzer Zeit war der Verfolgungstrupp sogar für die geschärften Sinne des Zwergs außer Sichtweite geraten.
Thef grübelte die ganze Zeit vor sich hin und schritt lautlos aus, als sei er ein Schatten. Irgendwann äußerte er seine Gedanken an Cebrid gerichtet: „Glaubst du, das war ein Späher oder irgendwas in der Richtung? Ich meine … warum sonst sollte ein Oger weglaufen? Oger laufen nicht weg ... niemals!“
Cebrid sah Thef nur mit verdutztem Gesicht an, als habe ein derartiger Gedanke keine Antwort verdient.
Fest in seinen schwarzen Mantel gehüllt, richtete Thef den Blick nach vorne und verwarf diese irrwitzige Vorstellung.
Schwerer Atem und klatschende Stiefel erfüllten die Luft unter der ruhigen Nachmittagssonne. Mauran Falkenflug hatte nur eine ungefähre Ahnung davon, wie weit sie nun wirklich von Naars Auge und dem Toten Sumpf, in dem die Oger lebten, entfernt waren. Recht viel mehr als ein halber Tagesmarsch konnte es jedoch nicht mehr sein. Immer breiter wurde die Schlucht zur Rechten der Mannen und wirkte immer kolossaler und bedrohlicher.
Nichts war mehr vom Kampfgebrüll der mutigen Verfolger zu hören. Ja selbst Brube sparte sich seinen Atem für den anstrengenden Dauerlauf. Zu schnell und ungestüm waren sie dem vermeintlich langsamen Oger hinterhergestürmt. Der Oger bewegte sich noch immer mit großem Abstand vor seinen Verfolgern und schien nicht langsamer zu werden. Konstant und eigentlich zu behände für seine wuchtige Gestalt, schritt er aus. Die Mannen rannten schon ein beachtliches Stück des Nachmittags und mehrere unter ihnen würden dieses Tempo nicht mehr länger durchhalten, geschweige denn in der Lage sein, schneller zu laufen, um den Oger endlich einzuholen.
Mauran Falkenflug war sich dessen durchaus bewusst und es lag an ihm, eine Entscheidung zu treffen. Er selbst rannte ganz vorne und gab zusammen mit dem unermüdlichen Zrak das Tempo an. Des Öfteren blickte er sich um, nach denen die hinter ihm folgten und versuchte abzuschätzen, wie viele von ihnen ein schnelleres Tempo durchhalten würden.
Mauran selbst hatte mit der momentanen Geschwindigkeit aufgrund seiner sehnigen Statur und den wenigen leichten Rüstungsteilen, die er trug, kein Problem. An Zrak verschwendete er gar keinen Gedanken. Mauran war überzeugt, der Minotaur würde auch mit der doppelten Geschwindigkeit fertig werden. Leicht sarkastisch dachte er bei sich ‚in der Tat … ein Stier ist er ...‘
Der schwere Atem Brubes drang konstant an Maurans Ohr. Dennoch würde Brube es schaffen. Und sei es nur, weil Mauran nicht glauben konnte, dass diesen Mann irgendetwas aufhalten könnte.
Die jungen Rekruten Kalad und Klai waren leicht gerüstet und beide schienen den Strapazen standzuhalten. Veoen, einer der jüngsten im Trupp, trug einen leichten Plattenpanzer. Sein roter Kopf und der unregelmäßige Atem würden ihn bald zum Aufgeben zwingen. Auch Ypek und zwei weitere Männer atmeten schwer und fingen schon an zurückzufallen. Der letzte der zehn Verfolger war Dimite. Er war soeben stehen geblieben. Mit der einen Hand stützte er sich schwer auf sein rechtes Knie. Speichel rann ihm über den Bart. Gänzlich verausgabt, hob er die linke Hand in Richtung seiner Gefährten, als wolle er sich entschuldigen. Außer Mauran hatte noch niemand bemerkt, dass Dimite zurückgeblieben war und Dimite selbst fand sich wortlos damit ab. Mauran hatte an Dimites Haltung erkannt, dass es ihm unmöglich war, weiter zu laufen, ja sogar unmöglich, durch seine überforderten Lungen ein Wort der Entschuldigung zu pressen.
‚Fünf Mann bleiben übrig‘, dachte Mauran. Kurz machte er sich noch Gedanken darüber, ob sie den Oger überhaupt einholen würden, über den Druck, der ihn zwang, mit lediglich vier weiteren überanstrengten Kriegern gegen dieses Monster anzutreten, über die Gefahr, die unweigerlich aus dem Sumpf bei Naars Auge auf sie niederbrechen musste, sollten sie den Oger nicht stellen.
Es musste sein. Mauran wusste es. „Wir müssen unser Tempo erhöhen! … So wir das Untier ... einholen wollen … Zrak ... gebt das Tempo an. Alle die es schaffen, folgen ... Der Rest trifft uns im Kampf ...“
„Gut!“, sagte Zrak und zog dabei mit Nachdruck Luft in seine Lungen.
Mehr war nicht zu sagen. Unverzüglich beschleunigte er seinen Schritt und die anderen zogen nach. Es dauerte nicht lange, bis Veoen aufgab. Ohne ein Wort reduzierte er seinen Lauf auf ein langsames, fast qualvolles Gehen. Die Überanstrengung und der Schmerz waren in sein Gesicht geschrieben. Er sank auf die Knie. Sie platschten in den schweren Schlamm und Veoen rang um Atem.
Nur langsam näherten sich die Recken dem immer noch gleichmäßig vorankommenden Oger. Zu langsam. Ebenso wie die Anstrengung des Laufens, war den Männern die Verwunderung über diesen Oger ins Gesicht geschrieben. Zu schnell und vor allem konstant war er für sein Volk. Außerdem würde ein Oger eigentlich nicht die Flucht ergreifen. Dieses Volk hatte keine Vorstellung von Strategie, Übermacht oder Unterzahl. Es ging lediglich um den Kampf und um das Töten. Auch wenn dies den eigenen Tod bedeuten sollte.
Die Zeit verstrich und der Nachmittag wand sich gen Abend. Bald würde die Sonne versinken und alles würde sich noch um einiges schwieriger gebaren. Wie es Mauran vorausgesehen hatte, waren sie nur noch zu fünft. Einer nach dem anderen musste aufgeben und immer noch war der Oger ein gutes Stück entfernt. Zudem war Mauran seit einiger Zeit bewusst, dass die anderen sie nicht mehr einholen würden. Jedenfalls nicht, bevor der Kampf entschieden war.
Mit einem