Die Zweite Welt. Andreas Egger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Egger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754149966
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durch die Landschaft wie ein Schwertstreich. Das Gras, zum großen Teil gesund, wurde von immer mehr braunen Stellen durchzogen. Sträucher wehten im Wind. Vogelgezwitscher war rar. Nur einige Krähen saßen auf einer abgestorbenen Trauerweide, welche den Weg zur Linken säumte.

       Der Trupp kam in Bewegung. Es ging wieder konstant, aber nicht wirklich schnell voran. Dazu war Meisterlichs Karren zu schwer. Die Maultiere würden ein höheres Tempo nicht durchhalten. Auf jeden Fall waren die Mannen gut erholt, gut genährt und nicht allzu sehr gefordert. Die gute Stimmung des vergangenen Tages herrschte auch heute wieder unter ihnen. Kleinere Gruppierungen bildeten sich, Gespräche verschiedenster Art wurden geführt.

       Der alte Brand entfernte sich in nordwestliche Richtung von der Gruppe. Vielleicht konnte er irgendwas erbeuten.

       Mit gewaltigem Brüllen und weit ausholender Gestik, veranschaulichte Brube, wie er einst in einer Kneipe fünfzehn Mann zur Strecke gebracht hatte, weil einer von ihnen eine unangebrachte Bemerkung über seine Mutter gemacht hatte. Thef, seinen schwarzen Mantel lässig über die Schulter geschwungen, lachte laut. Veoen, ein junger Mann mittlerer Statur und ebensolchen Aussehens, wollte Brube gar bezichtigen, ihnen eine Lüge aufzutischen. Daraufhin wurde die Unterhaltung natürlich noch heftiger und mehrere Männer brachten sich und ihre Meinung mit ein. Die Diskussion währte den ganzen Vormittag. Enden sollte das ganze damit, dass Brube Veoen mit beiden Händen packte, den gut achtzig Stein schweren Mann von den Beinen riss und ihn auf seine, nicht unmaßgebliche, Augenhöhe hob. Hernach erklärte er nochmals eindringlich, dass er nicht lügen würde, wobei spürbarer Zorn in der Luft lag und die dicken Venen am Hals des Hünen hervortraten. Damit war die Sache vom Tisch. Keiner schien mehr die Intention einer Widerrede zu hegen.

       Meisterlich hörte dem Ganzen von Anfang an mit mildem Lächeln zu. In seinem langen Leben hatte er so manche Prahlerei miterlebt. Gerade überlegte er sich, ob er die Frage einbringen sollte, wie viel Bier Brube denn in der Kneipe konsumiert habe. Als Auftraggeber und zahlender Kunde, könnte er sich diese Dreistigkeit erlauben. Während er sich noch den passenden Wortlaut zurechtlegte, kam Zrak an seine Seite. Meisterlich drehte den Kopf zur Linken und grüßte ihn freundlich. Der Minotaur blähte die Nüstern, schnaubte laut aus. Mit dumpf tönender Stimme gab er zurück: „Naars Sohn, sei gegrüßt!“

       Ein breites Grinsen lag nun auf Meisterlichs Gesicht. Den Hang der Minotauren zu den Göttern der Welt, hatte er nie verstanden. Zrak entging Meisterlichs Grinsen nicht. „Du lachst mich aus?!“, fragte er scharf nach, wobei sein mächtiges Organ sich noch einen Hauch gedämpfter vernehmen ließ.

       Schlagartig verschwand der belustigte Ausdruck des Händlers. „Nein mein Freund, nein. Ich habe mit den Göttern nur sehr wenig gemein, so wenig wie ich über sie weiß. Ich empfinde die Ansprache als Naars Sohn ungewohnt. Das ist alles.“

       Zrak wand seinen Kopf nach vorne auf die Straße und nickte nachdenklich. Der Minotaur trug von einem Ohr zum anderen eine Bleikette aus einfachen kleinen Ringen. Sie schwang im Rhythmus seines Nickens zwischen Hals und Kopf, vor und zurück. Kurze Zeit verging, dann sprach der Minotaur wieder, ohne sich direkt an Meisterlich zu wenden: „Du fühlst dich nicht als Naars Sohn ... dennoch bist du Mensch ... dennoch lebst du das Leben, das er dir zugedacht ... auf die Art wie er es dich lehrte.“

       Meisterlich war verwirrt. Das war doch keine Frage. Oder verstand er sie nur nicht? Unbehagen machte sich in ihm breit. Wie sollte er reagieren? Sollte er überhaupt reagieren? Nein, beschloss er. Was sollte er auch sagen? Das Beste war, still zu sein. Zrak ging noch eine Weile neben dem Wagen her und stierte auf Meisterlich. Irgendwann jedoch verstand er, dass er hier keine Antwort bekommen würde. So begab er sich in die Mitte des Trupps, marschierte jedoch für sich allein weiter. Mit erleichtertem Aufatmen sackten die Schultern des alten Händlers ein wenig ab, als er sich aus dieser unangenehmen Situation befreit sah.

       Im Laufe des Vormittags wurde der Wind ein wenig stärker, die Luft rauer. Die Straße blieb unverändert. Immer wieder knarrte der Wagen, als er einen Stein überwand. Als die Sonne ihren Zenit erreicht hatte, trat Mauran Falkenflug an Garantors Seite.

       Bei ihm angekommen, richtete er seinen Blick nach unten, hin zum Zwerg. „Seht“, sagte der gut gekleidete Mann und zeigte mit der Rechten in nordöstliche Richtung.

       „Hmmm ...“, erwiderte Garantor, während er den Horizont in der angegebenen Richtung mit den Augen absuchte. Schnell hatten seine scharfen Zwergenaugen das Ziel ausgemacht. In der tiefen Stimme Garantors schwang ein leicht besorgter Unterton mit, als er sprach: „Verdammt ... das ist Brand. Er rennt in unsere Richtung und hat kein Wild bei sich. Das könnte Ärger bedeuten.“

       Mauran antwortete: „Ich kann ihn noch kaum erkennen, doch in der Tat, dieser unstete Lauf mag von Unannehmlichkeiten künden …“

       Brand hatte schon viele Mondwechsel gezählt, war aber noch immer erstaunlich behände. Bald hatte er das Lager erreicht. Der Trupp blieb stehen, alle Augen waren auf ihn gerichtet. Ein wenig außer Atem, fing er an zu berichten: „Direkt auf der Straße ... ein Trupp Menschen nähert sich. Sie haben mich nicht gesehen. Es sind mindestens dreißig Mann, alle bewaffnet.“

       Mauran wandte sich knapp an Garantor: „Ein Risiko! Was obliegt uns zu tun?“

       Der Zwerg strich sich mit der Hand über den Bart und blinzelte nach Norden. „Kann sie noch nicht erkennen. Sind wahrscheinlich eh Händler.“

       Mauran erwiderte: „Bedenkt die Möglichkeit einer Falle. So mancher Räubertrupp bedient sich derlei Spielereien.“

       Mit dem üblichen Geschepper trat Cebrid vor und ergriff das Wort: „Reicht die Zeit für einen Umweg?“

       Brand schüttelte den Kopf. Gleichzeitig brüllte Brube von hinten: „Ach, mein kleiner Bruder wieder, hehe. Brauchst keine Angst zu haben! Ich pass‘ ja auf dich auf.“ Der Riese grinste breit bei dieser Spöttelei, schnallte seine Hellebarde vom Rücken und marschierte demonstrativ zu seinem Bruder. Cebrid kniff nach Brubes Aussage Augen und Mund zusammen, um seinen Bruder nicht beleidigt anzuschreien.

       „Ruhe!!“, wetterte Garantor. „Verdammt ... wenn ich wen brauche der den Chef spielt, meld‘ ich mich!“, schrie er dann im selben Tonfall.

       Meisterlich saß unruhig auf seinem Kutschbock und beobachtete angespannt die Ereignisse.

       Garantor kam in Fahrt und brüllte mit der vollen Wucht seiner Befehlsgewalt mitten in den Trupp hinein: „Kampfformation! Aber keiner killt irgendwen oder irgendwas, bevor ich es befehle! Ist das klar?! Das ist eine reine Sicherheitsmaßnahme, also dreht hier nicht durch!“

       Augenblicklich brachte sich der Trupp in Gefechtsstellung.

       Jeder war sich über seine Aufgabe im Klaren. Alles ging schnell und reibungslos vonstatten.

       Mauran Falkenflug sammelte die ihm unterstellten Mannen um sich, und bildete den rechten Flügel. Er bezog mit ihnen Position, ungefähr zehn Schritt von Garantor entfernt und einige Schritt nach vorne versetzt. Cebrid formte mit seinen Leuten den linken Flügel. Auch dieser war zehn Schritte entfernt vom Zwerg und ein wenig weiter vorne. Waffen rasselten. Das Stampfen schwerer Stiefel erfüllte die Luft. Meisterlich drehte auf Anordnung Brands seinen Wagen nach Süden und stellte sich zu seinen Maultieren. Die Unruhe in ihm nahm rapide zu. Brand selbst begab sich mit drei Bogenschützen des Trupps auf die Ladefläche des Wagens. Dort knieten er und ein anderer Schütze namens Gaal sich nieder und fingen an, Pfeile vor sich auszubreiten. Die beiden anderen standen hinter jenen, die knieten. Die Köcher gefüllt mit Pfeilen, die Bögen fest in den Händen und den ersten Pfeil leicht aufgelegt. Garantor stand einfach da. Er hatte nichts mehr zu befehlen. Zu seiner Linken stand Brube. Der rammte den Schaft seiner mächtigen Stangenwaffe vor sich in den Boden, wohl nur, um überflüssige Energie abzubauen. Rechts von Garantor stand Zrak, eine schwere zweischneidige Streitaxt aus einfachem Stahl in der rechten Hand. Lautes Schnauben brach konstant aus seinen Nüstern. Des Öfteren trat er mit dem linken Huf hart auf das steinige Erdreich.

       Hinter den dreien brachte sich Thef in Stellung. Seinen schwarzen Mantel legte er ruhig über die Schultern. Vom Hals bis zum Becken lief ein breiter Gürtel über seine schmale Brust. Eine hohe Anzahl feinster Wurfdolche aus Zwergenstahl war darin verborgen. Zwei einfache, gekrümmte