💎 Aber erst mal sehen wir uns wohl in Bärenthal, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, oder?
🎓 Ja. Stimmt. Total vergessen. Wobei, ich überlege gerade, das zu verwerfen.
💎 Aber nicht meinetwegen, oder?
🎓 Jein. Ich habe an dem Samstag Geburtstag und eigentlich steht mir dieses Jahr nicht wirklich der Sinn danach, den im Kreise meiner irren Mittelalterfreunde zu feiern. Andererseits habe ich im Juni mein Schwert zerhackt, die Klinge ist unrettbar hinüber. Ich hatte eigentlich gehofft, mir auf dem Markt ein Neues zuzulegen.
Magnus kratzte sich am Kopf. Warum schrieb er ihr das jetzt?
💎 w/Schwert: wie blöd. Wo rohe Kräfte sinnlos walten? Oder wie passiert so was? w/Geburtstag: Ist es dir denn dann überhaupt recht, wenn ich bei euch im Lager rumkomme?
🎓 Das mit dem Schwert war Tobias. Ich bin froh, dass mein Arm noch dran ist. Aber das muss man szenisch erklären, kaum in Worte zu fassen, wie die Aktion abgelaufen ist. Und mit meinem Geburtstag ... Hm. Der ist mir noch nicht mal so wichtig. Die Jungs machen halt nur immer ein ziemliches Theater darum, wenn einer von uns während des Marktes Geburtstag hat. Eigentlich wäre mir viel lieber, wenn du und ich die versprochene Zeit für uns hätten.
💎 Wenn ich das richtig sehe, bleiben uns rein statistisch noch ca. 50 Jahre. Kommt es da auf ein Wochenende an? 💋 Wir rollen übrigens ...
🎓 Nein 😀. Das definitiv nicht. Dann wünsche ich dir jetzt einen guten Flug ... 😚
💎 Danke ...💋
Victoria überlegte. Sollte sie ihm noch schreiben, was ihr gerade in den Sinn kam? Sie wäre in wenigen Sekunden ohne Internetverbindung und könnte eine Antwort erst in Dubai lesen. Sie tippte.
»Ich liebe dich.«
Und weg war die »Senden«-Taste. Offline. Sie seufzte. Vielleicht war es besser so. Eigentlich auch eine blöde Idee, es ihm per SMS zu sagen. Sie wollte ihm dabei in die Augen sehen. In diese funkelnden, grünen Augen, die sie so magisch in ihren Bann gezogen hatten.
Die Stewardess servierte ihr ein Glas Champagner und fragte sie, ob und was sie essen wollte. »Danke, nur einen kleinen Imbiss bitte. Ich würde gleich gern schlafen.«
»Sehr wohl. Möchten Sie den Pyjama und die Decke sofort oder später?«
»Gern jetzt gleich, danke.« Victoria seufzte. Eigentlich fand sie es dekadent, First Class zu fliegen. Das lohnte sich für die sechs Stunden und fünfundzwanzig Minuten fast nicht. Aber andererseits hatte sie einen langen Tag hinter sich und war froh, die Beine gleich ausstrecken zu können. Ihre Gedanken hingen an Magnus. Geburtstag. Und ein zerstörtes Schwert. Sie würde Viktor morgen anrufen, den Schmied, der auch ihre Waffen angefertigt hatte. Ein Meister seines Faches. Zur Sicherheit erstellte sie einen Termin im Kalender, jeder Tag zählte. Für eine Sonderanfertigung würde Viktor wohl etwas länger brauchen. Wenn er bis Bärenthal überhaupt fertig würde. Victoria biss in ihr Hühnchen-Sandwich, spülte den Happen mit dem restlichen Champagner hinunter und lehnte sich zurück. Schnell schlafen, dachte sie. Schnell schlafen, bitte.
Magnus verließ um kurz nach halb zehn das Gerichtsgebäude. Müde, erschlagen von den Eindrücken des Tages und immer noch mit dem Gedanken beschäftigt, wie es mit Victoria weitergehen könnte. Sollte? Würde? Sein Handy klingelte. Eine Eschberger Nummer, aber er kannte sie nicht.
»Magnus Brandt.«
»Engwald, guten Abend Herr Dr. Brandt. Ich hoffe, ich störe so spät nicht?«
»Herr Dr. Engwald. Nein, ganz und gar nicht. Ich bin gerade nur etwas irritiert ...«
»Das denke ich mir und es tut mir aufrichtig leid. Offenbar wissen Sie aber, wer ich bin. Fein. Ich will Sie auch gar nicht lange aufhalten ... Bereiten Sie mir die Freude, morgen zum Abendessen mein Gast zu sein?«
»Ähm ...« Magnus überlegte. Jetzt wo Victoria nicht da war, hatte er eigentlich nichts vor. Aber ohne ihre Anwesenheit ihrem Vater gegenüber zu treten, war ihm nicht ganz geheuer. Und Weimaraner sind große Hunde, schoss es ihm in den Kopf. »Ja, sehr gern.«
Hatte er das gesagt? Magnus biss sich auf die Zunge.
»Schön. Das freut mich. Passt Ihnen 18 Uhr?«
»Ja, sehr gut. Kann ich etwas –«
»Nur sich und Hunger. Mögen Sie Wild?«
»Ich bin omnivor ...«
»Herrlich!« Wilhelm Engwald lachte. »Dann gern um 18 Uhr morgen.«
»Können Sie mir die Adresse eventuell per Nachricht zukommen lassen? Ich habe gerade nichts zu schreiben zur Hand.«
»Oh. Ja, das kann ich wohl. Mein Fahrer wird Sie aber morgen um 18 Uhr abholen. Talstraße 9?«
Magnus schwieg einen Moment. »Ja, Talstraße 9.« Woher wusste er das?
»In Eschberg bleibt nichts lange geheim ... Ich freue mich auf Sie.«
»Ich mich auch ... Bis morgen dann ...«
Wilhelm Engwald hatte aufgelegt. Er kraulte Justus hinter dem Ohr und sah in den Garten hinaus. Eben noch hatte er mit Jo Zeilinger auf der Terrasse gesessen, nachdem er sich mit ihm das neue Falkengehege angesehen hatte. Zeilinger hatte ihm von Magnus und seiner Begegnung mit Victoria erzählt. Eine seiner Angestellten wohnte im selben Haus und hatte ihn darauf angesprochen.
»Wieso wohnt jemand wie er in dieser Gegend?«, hatte Zeilinger ihn gefragt.
Wilhelm Engwald wusste keine Antwort. Den Direktor des Amtsgerichts hätte er auch eher am anderen, schöneren Ende der Stadt angesiedelt, nicht in einem dieser maroden Wohnsilos, anonym, laut, dreckig. Er würde die Sache morgen vorsichtig erörtern, Victoria hatte ja erwähnt, dass die beiden sich erst annäherten. Eigentlich wollte er auch gar nicht dazwischenfunken, aber dadurch, dass sie jetzt so plötzlich nach Dubai aufgebrochen war und Magnus allein mit seinen Gedanken und Eindrücken zurücklassen musste, hatte er das Bedürfnis, ihm ein wenig »Nestwärme« zu geben.
Victorias Vater also, spukte es Magnus durch den Kopf. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das ihre Idee gewesen war. Sie hatte erwähnt, dass sie mit ihrem alten Herrn gesprochen hatte, aber Magnus hielt sie für zu offen und ehrlich, als dass sie ihm verschwiegen hätte, wenn sein Plan ihr bekannt gewesen wäre. Was also führte Dr. Engwald im Schilde? Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er es in etwa zwanzig Stunden wissen würde. Zwanzig Stunden. Verglichen mit den fast 400 Stunden bis er Victoria wiedersehen würde, ein Klacks. Aber momentan einfach zu viel für seine Nerven. Nachdem er sich umgezogen hatte, schnürte er seine Laufschuhe und trat vor das Haus, zog die Baseballcap tiefer in die Stirn und joggte los. Ohne Ziel. Die Straße hinunter. Durch das Gewerbegebiet. In die Altstadt. Am Café Daily vorbei. Aus der Stadt raus. Es ging auf zehn Uhr zu.
Magnus wähnte sich allein unterwegs, bis sich aus dem Wald in der Nähe des Schlosses eine dunkle Gestalt näherte. Die Sonne war schon so gut wie untergegangen, die Laternen erhellten die Straße. Autos fuhren sporadisch an ihm vorbei.
Der andere Läufer kam direkt auf ihn zu, ebenfalls eine Baseballcap weit nach unten gezogen. Plötzlich winkte er und rief: »So schnell sieht man sich wieder!«
Moritz.
»Hi ... Auch so spät noch unterwegs?«
»Mhm ... Kopf freikriegen?«
»Du sagst es ...«
»War viel los bei dir, in den letzten Tagen, was?« Sie hatten das Tempo gedrosselt, um nicht zu schnell außer Atem zu kommen.
»Zu viel. Ja. Mir fehlte schon in Berlin der Ausgleich. Aber ich will dich damit nicht nerven ...«
»Quatsch.