»Mach auf«, befahl sie. Ich weiß, sie wollte das Überraschungsmoment auf ihrer Seite wissen. Dem Hoteldirektor klappte, wie zu erwarten, die Kinnlade hinunter, als er die Frau im Evakostüm erblickte. So lag die gesamte Aufmerksamkeit bei ihr, ich war nur schmückendes Beiwerk. Das Handy in der einen Hand und die neun Millimeter in der anderen, trat sie so nah an den Hotelier heran, dass der hätte eigentlich erblinden müssen. Selbst ich konnte von der rassigen Lady noch etwas lernen, obwohl ich von dieser speziellen Methode absehen würde, nach meiner peinlichen Erfahrung.
»So meine Lieber, schau dir die Fotos an. Na? Das gefaltete Notebook kannst du mitnehmen und entsorgen. Ich gebe dir exakt eine Stunde Zeit, um den Schaden zu beheben. Ansonsten findest du dein Hotel in der Presse wieder.« Sein frisch rasiertes Gesicht begann zu glühen.
»Was? Nein, nein, ich meine ...« Dann schmetterte sie ihm die Tür vor der Nase zu. Er hatte gar keine Chance.
»Eine Stunde!!« Mich lächelte sie an: »Fortan ticken die Uhren anders in deinem Leben. Das ewige Herunterputzen findet mit diesem Tage ein Ende!« Mich packte die Ehrfurcht und ihre resolute Art machte mich an. Jedoch fuchtelte sie mit der Waffe vor meiner Nase rum, was ich überhaupt nicht leiden mochte.
»Könntest du vielleicht ... Was ist das überhaupt für eine Verbindung zwischen dir und dem Schießprügel?« Sie legte ihr Werkzeug auf dem Tisch ab, aber sollte ich auf eine Antwort gehofft haben, war ich schief gewickelt.
»Wir haben eine Stunde. Willst du bloß quatschen?« Sie sprühte vor Elan. Mein Blick traf unweigerlich auf ihren Urwald, damit schrumpfte mein Verlangen nach ihrem Schoß auf ein Minimum. Doch ihre Lippen suchten die meinen. Mich traf ein Blitzschlag der Sinnlichkeit, von nur einem Kuss. Sie warf einen diskreten Blick auf das Oberhaupt in der Hose, der einen Versuch unternahm, sich durch den Stoff zu bohren.
»Bin gleich zurück. Nicht weglaufen.« Sie verschwand im Bad. Keine Viertelstunde später stolzierte eine majestätische Gazelle heraus. Audrette zelebrierte ihren Auftritt. Heiliger Strohsack! Sie war vollends rasiert. Ein Traum von einer Frau, nur einen Zentimeter vor meiner Nase, die den Duft einer Blumenwiese versprühte. Ein fester Handgriff in meine Hoden unterstrich ihren Anspruch.
»Uns bleiben fünfundvierzig Minuten. Die Uhr tickt.« Ich küsste sie zärtlich, verzog aber schmerzvoll das Gesicht. Momentan keine gute Idee. Meine Finger tänzelten über ihren Rücken, wir verloren uns in der Glückseligkeit. Der Blick nach unten musste von ihr kommentiert werden:
»Nicht schlecht, mein Lieber.«
»Nicht schlecht? Du wirst noch dein blaues Wunder erleben.« Ich trieb die Lady vor mir her, bis der finale Stoß meiner Lenden den kläglichen Rest ihres Verlangens aus ihr herausgepresst hatte. Ihr erster Orgasmus seit Langem, wie sie mir später gestand. Ich vermochte kaum Vergleiche zu ziehen, aber es war mindestens genauso grandios wie mit ihrer Schwester.
»Wer hat dich überhaupt so zugerichtet? Sieht übel aus«, kam die Sprache letztlich auf mein entstelltes Gesicht.
»Ach das, sieht schlimmer aus, als es ist. Das war ein Dämlack von Polizist. In meinem Hotel - einem anderen - gab es einen Mord. Danach noch der Vorfall mit Hellen, da ist er ausgerastet.«
»Stop! Was, redest du da? Ein Polizist? Mord? Seltsam. Davon hätte man doch in den Nachrichten hören müssen. Also, ich habe nichts mitbekommen. - Diese Österreicher sind ein eigenwilliges Völkchen.« Da konnte ich nur zustimmen. »Ich werde gleich mal im Netz nachlesen, was da passiert sein könnte. Sowas gibt`s doch gar nicht.«
Sie griff nach ihrem Smartphone und tippte die entsprechenden Suchbegriffe ein. Ohne Ergebnis. »Sag ich doch, da ist was oberfaul. Warte, ich probiere noch was anderes.« Sie ließ sich die Schlagzeilen der letzte Tage anzeigen und schüttelte den Kopf. »Fehlanzeige. Alles dreht sich um dieses Zugunglück bei Wels mit mehreren Toten und zig Verletzten. Wie sowas geschehen kann? Die Zahl der Toten hat sich auf fünf erhöht. Traurig.«
Es klopfte. Sie las die Uhr vom Display ab. »Auf die Minute. Hätte ich nicht erwartet.« Audrette nahm ihre Knarre auf, positionierte sich vor der Tür. Ihr Nicken gab mir zu verstehen, dass ich die Tür mit einem Ruck öffnen sollte. Der Hoteldirektor starrte Frau Miller auf die Hupen.
»Ich darf sehr bitten!« Ob das wohl noch ein Nachspiel habe. »Aber wenigstens pünktlich.« Sie öffnete den Notebookkarton auf seinem Arm, überprüfte den Inhalt auf Vollständigkeit. »Warum nicht gleich?« Als Entschädigung für das Anstarren, verlangte sie freie Essenswahl für die Dauer unseres Aufenthalts.
»Was Sie wünschen, gnädige Frau.«
»Danke und auf Wiedersehen.« In diesem Fall knallte ich dem Lackaffen die Tür vor der Nase zu. Audrette stellte mit einem Anflug von Stolz den Karton auf dem Tisch ab. »Das hast du prima hinbekommen«, lobte ich.
»Habe ich dann nicht auch eine Belohnung verdient?«
»Hast du.«
Liebevoll zog ich die Decke über ihren zarten Körper. Sie war das Schönste, was ich bisher gesehen habe. Dabei war ein Kuss auf ihre knackigen Brüste Pflicht. Sie schnurrte, wie ein Kätzchen.
»Mmh, wie schön. - Mist, habe was vergessen. Ich muss noch mal aufstehen. Aber du darfst mich anschließend wieder zudecken.« Audrette schälte sich aus dem Bett, schraubte einen Schalldämpfer auf den Lauf der Waffe, welche sie dann unter dem dicken Kopfkissen deponierte. Das war eine neue Erfahrung für mich, ich schlief neben Miss America und einer geladenen Pistole. Dann süße Träume.
Mitten in der Nacht knarzte der Fußboden. Ich hatte einen sehr porösen Schlaf und war sofort da, wagte aber nicht, mich zu rühren. Ich lag wie in Leichenstarre. Außerdem war es dank der Verdunklungsschals stockfinster. Ein weiterer Schritt, ich hielt den Atem an, lauschte und überlegte, was zu tun sei. Wer meinte, der Schönheit an meiner Seite entginge etwas, sollte schmerzhaft eines Besseren belehrt werden. Meine Angebetete feuerte unter der Bettdecke die Waffe ab, vermutlich ohne die Augen zu öffnen. Denn wenn sie keine Eulengene besaß, konnte sie genauso wenig erkennen wie meinereiner. Dumpfes Aufschlagen eines schweren Körpers auf dem Laminat war die Konsequenz ihrer Tat. Hastig knipste ich das Licht an, wollte wissen, welcher Hirni gewagt hatte, unsere nächtliche Ruhe zu stören, die wir uns so schwer erarbeitet hatten. Audrette war nicht scharf darauf, ihre Beute in Augenschein zu nehmen und kuschelte sich schon wieder in die Decke. »Licht aus!«
»Ich muss doch sehen, wer das ist«, protestierte ich.
»Aha. Und, bist du jetzt zufrieden? Ich hätte darauf wetten sollen«, kommentierte sie. Denn, wer hätte das gedacht, es war der Kleiderschrank aus dem Café. Der Neandertaler. Hatte anscheinend nicht verknusen können, von einer zierlichen Frau verdroschen zu werden. Jetzt lag er leblos vor unserem Bett, die blicklosen Augen starrten uns an. Vorwurfsvoll. Unheimlich.
Irgendwie tat er mir ein bisschen leid.
»Und nun? Was machen wir mit ihm?« Mir fehlte die Übung, was derlei Situationen betraf und ich neigte gelegentlich zu leichter Panik. »War das wirklich nötig? Ich meine, ...«
»Ganz ruhig, Amos. Ist alles gar kein Problem.«
»Oh, fantastisch. Ich fing gerade an, mir Sorgen zu machen.«
»Ach, Amos«, seufzte sie. Sie stand auf und griff zum Telefon.
»Was tust du? Rufst du etwa die Polizei«, rief ich aus, aber Audrette winkte nur ab. Das war gewiss nicht die Polizei. Sie knallte verärgert den Hörer auf die Gabel und schaute grimmig.
»Haben wir jetzt ein Problem?«
»Nein. Zieh dir was über. Du erkältest dich.«
Wir warfen uns Bademäntel über. Das Fenster im Bad lag in Richtung Hof. Unter dieser Öffnung stand, oh Wunder, eine Mulde, zur Hälfte gefüllt mit blauen Säcken. Sie öffnete es, murmelte leise, mit unverhohlenem Vergnügen:
»Ach, wie einfach. Fass mit an. Außer uns schlafen alle.« Sie schnappte die Füße der Leiche und ich den Oberkörper.