Der Schweißgeruch war abgewaschen, das Blut der vergangenen Stunden den Abfluss hinuntergespült. Nur zwei jämmerliche Sätze frische Wäsche füllten meine Reisetasche? Ich streifte mir die Sachen über, ein quietschbuntes Hawaiihemd und eine Kaufhallen-Niethose, der Hut durfte auf keinen Fall fehlen. Jetzt sah ich endgültig wie ein verwegener Gangster aus, fehlte nur noch ein adäquates Schießeisen im Hosenbund. Heute lastete die alte Jacke unendlich schwer auf meinen Schultern, was ich mir durch die Prügelmale erklärte.
Ich verließ das Zimmer, mein Bedarf an Dresche war gedeckt. Den Hut tief ins Gesicht gezogen, suchte ich die Flucht aus dem Hotel. Doch kurz vor dem Ausgang wurde ich aufgehalten.
»Herr Cappelmeyer, nicht so hurtig! Hier ist eine Nachricht für Sie.« Im Eingang überreichte der Concierge mir einen schmierigen Zettel, der unbedarft in die Innentasche der Jacke wanderte.
»Danke«, murmelte ich zwischen geschlossenen Lippen.
Die Sonne brachte alles an Licht hervor, sodass ich für einen Moment nur wenig von meiner Welt zu sehen in der Lage war. Vergeblich probierte ich, die Hutkrempe noch tiefer zu ziehen. Ich hatte einen Plan: Einfach geradeauslaufend, suchte ich die nächstbeste Konditorei, ein Konzept, das in jeder Stadt früher oder später zum Erfolg führte. Mich dürstete nach einer gepflegten Tasse Bohnenkaffee. Die Menschen, die mir entgegenkamen, rümpften die Nase und schlugen weite Bögen um mich. Mir war eh nicht nach Reden, besonders nicht, nach den letzten Stunden.
Kapitel Drei
Erbarmen
Den ohne Wurzeln wird der Wind davontragen. (Unbekannt)
Die Frau im Café trug Trauer und haderte mit sich selbst, dabei starrte sie in ihren Latte Macchiato mit Sojamilch. Sie saß zurückgezogen in der hintersten Ecke bei den Toiletten, was nicht bedeutete, dass sie nicht mitbekam, was um sie herum vorging.
Beobachten gehörte zu ihrer Natur.
Da war diese junge Kellnerin, die Zoff mit ihrem Macker hatte, einem äußerst unangenehmen Typ, der aus seinen Eifersüchteleien keinen Hehl machte. Sie fragte sich, wie verkommen die Welt war. Als Vorgesetzte hätte sie den Störenfried längst nach draußen befördert.
Sie rührte noch einmal in ihrem allenfalls lauwarmen Getränk. Wie hatte sie hier landen können?
Eine rhetorische Frage, auf die sie die Antwort nur zu gut kannte. Sie war nach Wien gereist, um Abschied von ihrer großen Schwester zu nehmen. Die Geschwister hatten sich nicht sonderlich nahe gestanden, nicht wie es Schwestern sollten. Zwar telefonierten sie regelmäßig, aber die Distanz war einfach zu groß. Die Frauen lebten in verschiedenen Zeitzonen. Aber sie erschien als Letzte in der Anruferliste der Verstorbenen, der Grund, warum sie jetzt in Österreich war und nicht zu Hause oder wenigstens in einer pulsierenden Metropole wie Berlin oder Hamburg. Sie musste Hellen die letzte Ehre erweisen.
Aktuell betrat ein Mann das Café und bewegte sich zielstrebig auf die WCs zu. Mit dem hatte es Gott, oder wer auch immer dafür die Verantwortung trug, nicht gut gemeint. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut und war bemühte, nicht aufzufallen, was völlig unmöglich war, denn allein seine Erscheinung mutete wie aus einer anderen Zeit an. Das Auffälligste am ihm war ein altertümlicher Hut, ein Stetson, wie sie als Amerikanerin wusste, den er tief ins Gesicht gezogen trug und auch nicht abzusetzen gedachte, als er am Nachbartisch platz nahm, ohne Notiz von ihr zu nehmen. Zum Glück. Sie wollte nicht reden.
Ein merkwürdiger Kauz. Irgendetwas stimmte mit seinem Gesicht nicht. Deshalb wahrscheinlich der Hut. Er blickte auf, um die Bestellung bei der genervten Bedienung aufzugeben, und sie sah Blutergüsse und Schwellungen. Wie ein Preisboxer wirkte der Mann nicht, auch die besten Jahre lagen schon hinter ihm. Aber als er sprach, fiel ihr die angenehme Stimme auf, auch wenn er leicht gereizt klang.
»Was darf`s sein?« Die grellrot gefärbte Servierkraft trug ihre Nase ziemlich weit oben, als sie mich das fragte.
»Eine Tasse Kaffee und ein Stück Apfelkuchen mit Sahne, bitte.«
»Also, ein Schümli und ein Apfelschlangerl mit Obers. Na, Sie könn`s noch vertragen«, und ging von dannen, die blöde Kuh. Sie entsprach so gar nicht meinem Typus Frau. Obwohl, ich war selbst kein Frauenschwarm. Bei diesem Gedanken legte sich ein leichtes Grinsen über mein lädiertes Gesicht. Die Kellnerin, die daheim einen Namen wie Chantalle, Mandy oder Jaqueline tragen würde, hieß Solveig und stellte den Pott Kaffee und meinen geliebten Apfelkuchen mit Sahne auf den Tisch, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
»Bitt`schö. Haben`s auch Geld dabei?«
Es stand ergo noch böser um mich, wie befürchtet. Ich war gewappnet: Triumphierend wedelte mein letzter Hunderter Barvermögen unter ihrer Nase und meine Schlagfertigkeit holte zum Finale aus.
»Ach, und Schätzchen, keine Sorge, dich könnte ich auch bezahlen!« Die Gesichtsfarbe ihrer Haarpracht angepasst, knallte sie mir das Wechselgeld von 91,55€ auf den Tisch und verschwand schnaubend. Schlürfend genoss ich den dampfenden Kaffee, verfeinerte ihn mit Sahne vom Teller. Der Kuchen war ausgezeichnet.
»Wo ist der Dämlack?« Ein Schrank von einem Mann stürmte das Café, fegte die Stühle in seinem Weg an die Seite, wie Streichhölzer. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, die Sicht auf ihn versperrte meine Hutkrempe. Eine weibliche Reibeisenstimme vom Nachbartisch stellte unmissverständlich klar, sollte er Hand an mich legen, würde Mr. Gipskopf sich tot auf dem Boden liegend wiederfinden.
»War`n Missverständnis«, murmelte der Koloss handzahm und trat den Rückzug an. Was wurde hier gespielt?
»Vielen Dank, aber das hätte ich locker allein geschafft«, behauptete ich, dann voller Wehmut: »Für mich hat sich noch nie jemand eingesetzt!«
»Doch, ich soeben. Das würde ich auch wieder tun, seien Sie gewiss!«, erwiderte die Dame vom Nebentisch mit einem leichten Akzent, während sie in ihrem Latte Macchiato herumrührte und den Löffel abschleckte. »Es sei denn, Sie erweisen sich als Arschloch.«
Nun wollte ich sehen, wer da eine starke Etikette vertrat. Als ich den Kopf hob, dachte ich zu träumen; eine zierliche Frau, wie ein Engel, mit langen kastanienbraunen Haaren, die sie zu einem strengen Dutt trug, in konservativen Schwarz gekleidet. So ein Persönchen hatte den Neandertaler in seine Schranken verwiesen? Ein schiefes Lachen huschte über mein geschundenes Gesicht. Kopfschütteln. Doch das Schießeisen, das sich hart in meine Eier schob, rückte mein Weltbild wieder zurecht. Natürlich hatte ich keine Angst, sie hatte die gleichen Augen wie meine schöne Unbekannte. Kitty? Ein alter Sack saß einer traumhaften Frau gegenüber, die mit ihrem Schießeisen genau auf seine Kronjuwelen zielte. Meine Aufmerksamkeit war ihr zu 100 Prozent gewiss, so viel stand fest.
Sie berichtete mir vom Verlust ihrer geliebten Schwester, dabei kullerten der harten Lady Tränen der Trauer über das makellose Gesicht. Im Roman käme jetzt mein Einsatz, doch ich trug nur selten Taschentücher mit mir herum. Sollte ich ihr erzählen, dass ich möglicherweise ihre Schwester gepimpert hatte? Ich hörte lieber weiter geduldig zu. Zu meiner Beruhigung wanderte ihre Knarre in die geräumige Marken-Handtasche. Meine Eier hätten ihr auf der Stelle huldigen können. Sie setzte sich um, links neben mich, lehnte sich an meine Schulter. Sie erzählte mir, ihre Schwester habe sie in der fraglichen Nacht noch angerufen und berichtet, dass sie endlich den Mann gefunden habe, der sie so mochte, wie sie war.
»Was habe ich mich gefreut für meine Schwester! Sie müssen wissen, seit ihrer Scheidung überkam sie nach und nach die Einsamkeit. In der Nacht klang sie glücklich, wie ewig nicht mehr. Sie hat zwei Kinder ... Ach, entschuldigen Sie bitte, ich heule Ihnen die Ohren voll und habe mich noch nicht vorgestellt, wie unhöflich von mir. Mein Name ist Audrette Miller.«
»Audrette? Was für ein hübscher Name. Ausgefallen. Ich bin Amos Cappelmeyer aus Thüringen, aus der verträumten Gemeinde Floh-Seligental.«
»Hocherfreut, Herr Cappelmeyer aus Floh-was?«
»Floh-Seligental. Keine Sorge, das kennt kaum jemand. Sind Sie eine echte Amerikanerin?