Wie der Stahl gehärtet wurde. Nikolai Ostrowski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nikolai Ostrowski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754939536
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gehabt. Ein halbes Jahr war er als Küchenjunge tätig gewesen und dann wieder in den Spülraum abgeschoben worden. Er hatte dem allmächtigen Chef missfallen, dieser widerspenstige Junge, von dem man jeden Moment erwarten konnte, dass er einem wegen einer Backpfeife mit dem Messer an die Kehle fahren würde. Er wäre längst weggejagt worden, aber sein unverwüstlicher Arbeitseifer rettete ihn immer wieder. Arbeiten konnte Pawel mehr als alle anderen, darin war er unermüdlich.

      In den Stunden, in denen es besonders heiß herging, rannte er wie ein Besessener, das Tablett in der Hand, vier, fünf Stufen auf einmal nehmend, in die Küche hinunter und wieder zurück.

      Nachts, wenn der Andrang in beiden Sälen der Wirtschaft nachgelassen hatte, versammelten sich die Kellner unten in den Vorratskammern neben der Küche. Hier ging es bei Siebzehn und vier und anderen Glücksspielen hoch her. Pawel hatte mehr als einmal Geld haufenweise auf dem Tisch liegen sehen. Er wunderte sich nicht über das viele Geld, wusste er doch, dass jeder Kellner während seines vierundzwanzigstündigen Dienstes an die dreißig bis vierzig Rubel Trinkgeld einsteckte. Fünfzigkopekenweise, rubelweise sammelten sie das Geld ein und vertranken und verspielten es dann. Pawel verabscheute sie aus ganzem Herzen.

      Diese verfluchten Hunde, dachte er. Artjom ist einer der besten Schlosser im Betrieb und verdient nur achtundvierzig Rubel, und ich zehn. Und die stecken soviel Geld an einem Tag ein. Wofür eigentlich? Tragen auf und räumen weg. Und nachher versaufen und verspielen sie alles. Diese Schufte laufen hier als Lakaien umher. Aber ihre Frauen und Söhnchen leben in den Städten wie die Herrschaften.

      Die Kellner brachten zuweilen ihre in Gymnasiastenuniform gekleideten Söhne und ihre vor lauter Wohlleben immer fetter werdenden Frauen mit. Die haben sicher mehr Geld als die Herren, um die sie herumtanzen, dachte Pawel.

      Er wunderte sich auch nicht über das, was nachts in den Winkeln der Küche und in den Lagerräumen vor sich ging. Er wusste sehr gut, dass kein Küchenmädchen, keine Kellnerin lange auf ihrer Arbeitsstelle bleiben konnte, wenn sie sich nicht jedem, der hier ein Wort zu sagen hatte, für ein paar Rubel verkaufte.

      Begierig nach allem Neuen und Unbekannten, lernte Pawel hier die Abgründe des Lebens kennen und in ihre morastigen Tiefen schauen, aus denen ihn Moder und Fäulnis anwehten.

      Artjom war es nicht gelungen, den Bruder als Lehrling beim Depot unterzubringen: Jugendliche unter fünfzehn Jahren wurden nicht eingestellt.

      Pawel erwartete sehnlichst den Tag, an dem er von hier weggehen könnte. Es zog ihn nach dem riesigen, verrußten Steingebäude, oft war er dort bei Artjom, kontrollierte mit ihm die Waggons und war bemüht, ihm behilflich zu sein.

      Besonders öde wurde es, als Frossja die Stelle verlassen hatte.

      Das lachende, fröhliche Mädchen fehlte Pawel, und er fühlte mehr denn je, wie sehr er an ihr gehangen hatte. Wenn er morgens den Spülraum betrat und das zänkische Geschrei der Frauen vernahm, empfand er Leere und Einsamkeit.

      Während einer nächtlichen Pause hockte Pawel beim Heizen des Wasserkessels vor dem geöffneten Ofentürchen, kniff die Augen zusammen und schaute blinzelnd ins Feuer. Der Ofen verbreitete eine wohltuende Wärme. Pawel war ganz allein im Spülraum, und unwillkürlich kehrten seine Gedanken zu dem zurück, was er vor kurzem erlebt hatte, zu Frossja. Noch heute stand alles deutlich vor seinen Augen.

      Es war an einem Sonnabend gewesen. Pawel war während der nächtlichen Pause die Treppe hinunter in die Küche gegangen. Im Treppenwinkel war er aus Neugier auf den dort gelagerten Holzstapel geklettert, um in den Lagerraum hineinzuschauen, in dem sich die Kartenspieler zu versammeln pflegten. Das Spiel war dort in vollem Gange. Die Bank hielt Saliwanow, der vor Aufregung dunkel angelaufen war.

      Plötzlich hörte Pawel Schritte auf der Treppe. Der Junge wandte sich um: Prochoschka kam herunter. Pawel kroch unter die Treppe, um abzuwarten, bis der andere in die Küche gehen würde. Unter der Treppe war es dunkel, so dass Prochoschka ihn nicht sehen konnte. Pawel jedoch konnte seinen breiten Rücken und seinen großen Kopf erkennen.

      Behänden, leichten Schrittes eilte noch jemand die Treppe herunter, und Pawel vernahm eine bekannte Stimme:

      »Prochoschka, warte einen Augenblick!«

      Prochoschka blieb stehen, drehte sich um und schaute hinauf.

      »Was gibt's?« brummte er.

      Die Schritte auf der Treppe kamen näher, und Pawel erkannte Frossja.

      Sie packte den Kellner am Ärmel und sagte mit stockender, gepresster Stimme:

      »Prochoschka, wo ist denn das Geld, das dir der Leutnant gegeben hat?«

      Prochor riss sich heftig los.

      »Was für Geld? Hast du vielleicht keins von mir gekriegt?« versetzte er gereizt und scharf.

      »Aber er hat dir doch dreihundert Rubel gegeben.« Frossja unterdrückte krampfhaft ein Schluchzen.

      »Dreihundert Rubel, sagst du?« erwiderte Prochoschka giftig.

      »Und du willst sie also haben? Sind Sie vielleicht nicht gar zu teuer, gnädiges Fräulein aus der Spülküche? Ich denke, die fünfzig Rubel, die ich dir gegeben habe, genügen auch. Was denkst du dir eigentlich? Es gibt nettere Fräuleins, gebildetere, und selbst die nehmen nicht einmal soviel Geld. Sollst dich lieber schön bedanken - für eine Nacht volle fünfzig Rubel. Bin doch nicht auf den Kopf gefallen. Einen Zehner oder zwei werde ich dir noch geben, aber damit basta! Und wenn du dich nicht blöd anstellst, wirst du noch genug verdienen. Ich werde dir schon wieder was verschaffen.« Mit diesen Worten drehte sich Prochoschka um und verschwand in der Küche.

      »Schuft, du niederträchtiger!« schrie ihm Frossja nach und begann, an den Holzstapel gelehnt, dumpf zu schluchzen.

      Es lässt sich nur schwer schildern, was Pawel, im Dunkeln unter der Treppe hockend empfand, als er dieses Gespräch hörte und sah, wie Frossja, die am ganzen Körper bebte, den Kopf auf den Holzstapel fallen ließ. Pawel machte sich nicht bemerkbar. Krampfhaft hielt er das eiserne Treppengeländer umklammert, und in seinem Kopf hämmerte es klar und deutlich: Auch die haben sie also verschachert, dies verfluchte Gesindel. Ach, Frossja, Frossja …!

      So wurde sein Hass gegen Prochoschka noch tiefer und heftiger, seine gesamte Umgebung wurde ihm noch widerwärtiger und verhasster. Ja, wenn ich stark genug wäre, ich würde diesen Schuft zu Tode prügeln! Warum bin ich nicht so groß und stark wie Artjom?

      Die Flammen im Ofen flackerten auf und verlöschten, ihre roten Zungen bebten und verflochten sich zu einer langen bläulichen Spirale. Pawel schien es, als mache sich jemand über ihn lustig und streckte ihm höhnisch die Zunge heraus.

      Im Raum war es still, nur das Holz knisterte, und vom Wasserhahn her war das Geräusch gleichmäßig fallender Tropfen zu hören.

      Klimka stellte den letzten blankgeputzten Kochtopf auf das Wandbrett und trocknete sich die Hände ab. Die Küche war leer. Der diensttuende Koch und die Küchenmädchen schliefen in der Garderobe. Nachts herrschte in der Küche immer drei Stunden lang Ruhe, und diese Stunden verbrachte Klimka stets oben bei Pawel. Der Küchenjunge und der schwarzäugige Bursche vom Wasserkessel hatten sich gut angefreundet. Als Klimka heraufkam, sah er Pawel vor dem offenen Ofen kauern. Pawka bemerkte den Schatten der wohlbekannten wuschelköpfigen Gestalt an der Wand und sagte, ohne sich umzuschauen:

      »Setz dich, Klimka.«

      Der Küchenjunge kletterte auf die aufgestapelten Holzscheite, streckte sich auf ihnen aus, blickte den stumm zusammengekauerten Pawel an und sagte lächelnd:

      »Was machst du denn da, zauberst wohl vor dem Feuer?«

      Pawel riss nur mühsam den Blick von den Flammenzungen los. Ein Paar große, glänzende Augen richteten sich auf Klimka. In diesen Augen las Klimka unsagbaren Kummer. Zum ersten Mal sah er in den Augen seines Freundes eine solche Traurigkeit.

      »Du bist heute so komisch, Pawka«, sagte er verwundert, und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu:

      »Ist etwas passiert?«