Wie der Stahl gehärtet wurde. Nikolai Ostrowski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nikolai Ostrowski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754939536
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nächsten Religionsstunde, sobald sich der Pope in seinem Lehnstuhl niedergelassen hatte, meldete sich Pawel, erhielt auch die Erlaubnis zu sprechen und stand auf: »Väterchen, warum sagt der Lehrer in der oberen Klasse, dass die Erde schon Millionen Jahre existiert, und nicht … fünftausend, wie es in der Bibel steht?« Weiter kam er nicht. Vater Wassilis wütendes Gekreisch unterbrach ihn:

      »Was sprichst du da, du Halunke? So also lernst du das Wort des Herrn!«

      Ehe Pawel sich's versah, hatte ihn der Pope bei den Ohren gepackt und schlug ihn mit dem Kopf gegen die Wand. In der nächsten Minute flog er, verprügelt und erschrocken, auf den Gang hinaus.

      Auch bei der Mutter kam Pawel übel an.

      Am nächsten Tag ging sie in die Schule und bat Vater Wassili, ihren Sohn wieder aufzunehmen. Von diesem Zeitpunkt an hasste Pawel den Popen aus tiefster Seele. Er hasste und fürchtete ihn zugleich. Er verzieh niemals Kränkungen, die ihm zugefügt wurden; auch dem Popen vergaß er die unverdiente Prügel nicht. Er trug den Groll heimlich in sich.

      Der Junge hatte noch vielerlei Schikanen von Vater Wassili zu ertragen: bald jagte ihn der Pope aus dem Zimmer, bald stellte er ihn wochenlang für nichts und wieder nichts in die Ecke und hörte niemals seine Aufgaben ab. Deshalb musste er auch vor Ostern mit den zurückgebliebenen Schülern in die Wohnung des Popen gehen, um sich prüfen zu lassen. Dort, in der Küche, hatte er ihm Machorka in den Osterteig gestreut.

      Niemand hatte es gesehen, und trotzdem hatte der Pope sofort erraten, wessen Werk das gewesen war …..

      Die Stunde war zu Ende, die Kinder liefen auf den Hof hinaus und umringten Pawel, der düster schwieg. Serjosha Brusshak war in der Klasse geblieben. Er fühlte sich mitschuldig, konnte aber dem Freund nicht helfen.

      Aus dem offenen Fenster des Lehrerzimmers beugte sich Jefrem Wassiljewitsch, der Schuldirektor. Sein tiefer Bass ließ Pawel erzittern. »Kortschagin soll sofort zu mir kommen!« rief er.

      Klopfenden Herzens ging Pawel ins Lehrerzimmer.

      Der Besitzer der Bahnhofswirtschaft, ein älterer, blasser Mann mit ausdruckslosen Augen, streifte den etwas abseits stehenden Pawel mit einem flüchtigen Blick. »Wie alt ist er denn?«

      »Zwölf«, antwortete die Mutter.

      »Na schön, mag er dableiben. Die Bedingungen sind: acht Rubel monatlich und Essen an den Arbeitstagen. Vierundzwanzig Stunden Dienst, vierundzwanzig Stunden frei, und dass er sich nicht untersteht zu stehlen.«

      »Wo denken Sie hin! Gott bewahre! Stehlen wird er nicht, dafür bürge ich«, sagte die Mutter erschrocken.

      »Na, dann soll er gleich heute anfangen«, befahl der Wirt und wandte sich an die Kellnerin, die neben ihm hinter der Theke stand: »Sina, führ den Jungen in den Abwaschraum und sag Frossja, sie soll ihn an Stelle von Grischka beschäftigen.«

      Die Kellnerin legte das Messer weg, mit dem sie gerade Schinken geschnitten hatte, nickte Pawel zu und ging durch den Saal zu einer Seitentür, die in den Spülraum führte. Pawel folgte ihr. Die Mutter ging neben ihm her und flüsterte ihm hastig zu:

      »Gib dir ordentlich Mühe, Pawluschka, und mach mir keine Schande.«

      Sie sah dem Sohn traurig nach und ging dann davon.

      Im Spülraum herrschte Hochbetrieb. Ein Berg Teller, Gabeln, Messer türmten sich auf dem Tisch, und mehrere Frauen trockneten das Geschirr mit Küchenhandtüchern ab, die ihnen über die Schultern hingen. Ein rothaariger Junge, mit zerzaustem, ungekämmtem Haar, kaum älter als Pawel, hantierte an zwei riesigen Samowaren. Der Raum, in dem eine große Spülschüssel mit heißem Wasser stand, war voller Dampf. Pawel vermochte anfangs die Gesichter der arbeitenden Frauen nicht zu unterscheiden. Er stand da und wusste weder, was er zu tun hatte, noch an wen er sich wenden sollte.

      Die Kellnerin Sina trat an eine der Frauen heran, fasste sie an der Schulter und sagte:

      »Hier, Frossja, hast du einen neuen Jungen, er soll an Stelle von Grischka arbeiten. Erklär ihm alles, was er zu tun hat.«

      Zu Pawel gewandt, deutete Sina auf die Frau, die sie soeben Frossja genannt hatte, und erklärte ihm:

      »Sie ist hier die Oberste. Was sie anordnet, musst du tun.« Dann drehte sie sich um und ging zur Theke zurück.

      »Schön«, sagte Pawel leise und blickte die vor ihm stehende Frossja fragend an. Diese wischte sich den Schweiß von der Stirn, musterte den Jungen von oben bis unten, als wollte sie ihn abschätzen, krempelte den vom Ellbogen heruntergerutschten Ärmel auf und sagte mit ungewöhnlich angenehm klingender Stimme:

      »Na, was ist da schon viel zu erklären, mein Kleiner. Du musst also frühmorgens unter diesem Kessel Feuer machen und dafür sorgen, dass immer kochendes Wasser drin ist. Holz musst du natürlich hacken, und auch die Samoware gehören zu deiner Arbeit. Dann wirst du, .wenn's nötig ist, Messer und Gabeln putzen und das Abwaschwasser hinaustragen. An Arbeit fehlt's nicht, Kleiner, wirst schon schwitzen«, sagte sie in ihrer Kostromaer Mundart mit der Betonung des »a«. Von dieser Mundart und dem frischen Gesicht mit der kleinen Stupsnase wurde es dem Jungen leichter ums Herz.

      Das ist offenbar eine ganz nette Tante, entschied er im stillen und wandte sich schon mutiger an Frossja:

      »Und was soll ich jetzt tun, Tantchen?«

      Sprach's und stockte. Das laute Gelächter der in der Spülküche beschäftigten Frauen verschlang seine letzten Worte.

      »Hahaha …! Frossja hat plötzlich einen Neffen gekriegt…«

      »Haha!« lachte Frossja noch herzhafter als alle anderen.

      In dem Dunst hatte Pawel ihr Gesicht nicht recht sehen können; Frossja war erst achtzehn Jahre alt.

      Ganz und gar verwirrt wandte sich Pawel nun an den Jungen und fragte: »Was soll ich jetzt tun?«

      Aber der Junge beantwortete die Frage nur mit einem Gekicher. »Frag doch die Tante, die wird dir schon alles erklären, ich arbeite hier nur aushilfsweise.« Er wandte sich um und sprang zur Tür hinaus, die in die Küche führte.

      »Komm her, hilf die Gabeln abtrocknen«, hörte Pawel eine ältere Geschirrwäscherin sagen.

      »Was johlt ihr da? Was hat der Junge schon Besonderes gesagt? Da, greif zu«, sagte sie und hielt Pawel ein Handtuch hin. »Nimm das eine Ende zwischen die Zähne, und das andere zieh straff an. Putz die Gabeln gründlich zwischen den Zinken, damit ja kein Stäubchen mehr dranbleibt. Bei uns wird darauf streng geachtet. Die Herrschaften sehen sich die Gabeln genau an, und wenn sie Schmutz bemerken, ist's schlimm, dann jagt einen die Wirtin im Nu davon.«

      »Wieso die Wirtin?« Pawel stutzte. »Ihr habt doch einen Wirt. Er hat mich ja eingestellt.«

      Die Frau lachte.

      »Der Wirt, mein Söhnchen, ist bei uns nur so was wie ein Möbelstück, ein Pantoffelheld ist er. Die Zügel hat hier die Wirtin in der Hand. Heute ist sie nicht da. Wenn du eine Weile bei uns bist, wirst du's schon merken.«

      Die Tür des Spülraums wurde aufgestoßen, und drei Kellner brachten Stöße schmutzigen Geschirrs herein.

      Einer von ihnen, ein breitschultriger, schieläugiger Bursche mit einem derben, viereckigen Gesicht, sagte:

      »Sputet euch mal etwas, aber fix! Gleich kommt der Zwölfuhrzug, und ihr vertrödelt hier die Zeit.«

      Er sah Pawel an und fragte:

      »Was ist denn das für einer?«

      »Ein Neuer«, antwortete Frossja.

      »Aha, ein Neuer«, sagte er und ließ seine schwere Hand auf Pawels Schulter fallen, wobei er ihn zu den Samowaren hinstieß. »Schau her, die müssen immer fertig sein, aber der eine, siehst du, ist ganz ausgegangen, und auch der andere dampft kaum. Heute wollen wir noch mal ein Auge zudrücken, aber wenn das morgen wieder passiert, kriegst du eine gelangt. Verstanden?«

      Pawel machte