Sybilla nickte zuerst nur, doch dann straffte sie sich. „Und wenn ich mich weigere? Ich fürchte mich nicht vor einem öffentlichen Prozess“, erwiderte sie ebenso unterkühlt.
Wilhelm hielt sich kurz die Stirn. „Das dachten wir uns fast, aber seid gewiss, bei einem öffentlichen Prozess wird man Euch nicht mit Samthandschuhen anfassen, so wie wir! Die Anwälte seiner Majestät werden Euch gnadenlos auseinandernehmen, verlasst Euch darauf! Und Ihr werdet natürlich in Gewahrsam genommen, im Kerker! Es ist Winter, Madame und auf einem schmutzigen Strohlager zu liegen, bei Wasser und Brot? Ich kann mir Schöneres vorstellen und solltet Ihr weiterhin diesen Unsinn von einem Incubus verzapfen, dann wird der Euch gleich dabei Gesellschaft leisten und ihr werdet beide der Unzucht angeklagt, ganz einfach! Seine Majestät hat nichts mehr mit seinem ehemaligen Adjutanten zu schaffen und es ist ihm herzlich gleich, was mit ihm geschieht. Es würde ein sehr schmutziger Prozess werden, glaubt mir und Ihr müsstet jedes noch so kleine Detail Eures Beischlafs mit ihm beschreiben. Und seid Euch ebenfalls gewiss, dass es uns nicht an Zeugen, die selbstredend allesamt gegen Euch sein werden, mangeln wird! Wollt Ihr dies wirklich oder zieht Ihr nicht doch ein würdevolles Leben, in dem man Euch weiterhin mit Achtung begegnen wird, dem vor? Es liegt bei Euch, Sybilla von Savoyen! Ihr habt bis morgen Zeit um Euch zu entscheiden und solltet Ihr ein Kloster wählen, gewährt seine Majestät Euch sogar noch eine großzügige Apanage damit es Euch auch weiterhin an nichts mangelt. Ihr hättet weiterhin Eure Dienerinnen und könntet ein ruhiges, wenn auch bescheidenes, Leben führen! Ihr dürft gehen“, antwortete er ruhig und voller geheuchelter Sanftmut.
Sybilla hatte kaum noch Farbe im Gesicht und sie schnappte mehrere Male nach Luft. „Das werdet Ihr noch bereuen“, zischte sie zornig, drehte sich um und ging.
„Das fürchte ich auch“, murmelte Wilhelm vor sich hin und sah zu seinem Bruder. „Und, bist du nun zufrieden?“
„Ich werde wohl nie wieder zufrieden sein“, raunte der ohne ihn anzusehen, zurück.
„Zumindest bist du sie erstmal los“, meinte Wilhelm achselzuckend, „und niemand kann dir etwas vorwerfen! Das ist doch schonmal was, oder?“ Er blickte von ihm zu Richard und der seufzte schwer.
„Das bleibt abzuwarten! Wer weiß eigentlich sonst noch Bescheid, also über die Sache mit den ausgetauschten Kindern?“, fragte er mulmig.
„Außer uns dreien, natürlich die Königin und ihre zwei engsten Hofdamen, Hildegunde und ihre Amme, Gregorius und dessen Gehilfe, Kai und eine Zofe“, antwortete Wilhelm entnervt.
„Du liebe Zeit!“, entfuhr es Richard erschrocken, „das ist ja der halbe Hofstaat!“
„Oh ja“, seufzte Wilhelm.
„Und? Wie willst du das wieder bewerkstelligen? Denkst du ernsthaft, dass die alle dichthalten werden?“, wandte Richard sich Henry zu, der recht teilnahmslos zwischen ihnen saß.
„Selbstverständlich haben wir mit allen beteiligten gesprochen und sie haben geschworen, zu schweigen. Wohl jeder aus einem anderen Grund, die Hofdamen und die anderen Frauen um Sybillas Willen, tja und der Rest, keine Ahnung“, erklärte Wilhelm ratlos.
„Können wir ihnen vertrauen?“, hakte Richard weiter nach und wieder hob Wilhelm die Schultern.
„Ich weiß es nicht! Aber ganz sicher können wir wohl nie dabei sein, irgendwann wird vielleicht jemand darüber plaudern, sei es aus Unbedacht oder aus welchem Grund auch immer, sie alle werden eine stetige Gefahr für ihn sein“, nickte er zu seinem Bruder hin. „Und dann gibt es auch noch Phineas! Wie viel der davon noch mitbekam wissen wir nicht, er verschwand jedenfalls in der Nacht spurlos!“
Richard stützte fassungslos den Kopf in beide Hände. „Großer Gott!“
„Gregorius wird schweigen! Und Kai ebenfalls“, murmelte Henry vor sich hin.
Seinem Onkel entkam ein schnaubendes Lachen, wie von jemandem, der am Ende seiner Nerven angekommen war. „Und die anderen?“
„Wir haben mit allen eingehend gesprochen, also ich und ihnen unmissverständlich klargemacht, was geschieht, wenn einer von ihnen sein Schweigen brechen sollte“, antwortete Wilhelm unmissverständlich. „Es würde ihnen den Kopf kosten, allen voran ihrer geliebten Königin und somit sind wir zumindest halbwegs auf der sicheren Seite, jedenfalls was deren Seite betrifft. Bei dem Rest, wie gesagt, wirklich Sicher, können wir wohl nie sein, es sei denn, naja, wir bringen sie anderweitig zum Schweigen und damit endgültig! Was Hildegunde anbelangt, sie schweigt totsicher! Immerhin ist ihr Kind jetzt der Thronfolger und sie scheint sich langsam damit anzufreunden, wenngleich sie sich auch immer noch weigert, das eheliche Bett mit mir zu teilen“, seufzte er. „Als erstes solltest du jetzt endlich wieder zum geregelten Alltag zurückkehren und dich nicht länger vor der restlichen Welt verstecken!“, brummte er zu Henry hin, was ihren Onkel fragend die Augenbrauen heben ließ und Wilhelm sah wieder zu ihm rüber.
„Er hat Weihnachten abgesagt und Silvester und seine Namenstagfeier soll auch ausfallen“, beantwortete er die ungestellte Frage mürrisch. „Gut, er hat es damit begründet, dass er es mir und Hildegunde zuliebe getan hat, aus Respekt vor dem plötzlichen Tod unseres Kindes“, sagte er zynisch, „aber irgendwann muss er wieder seinen Pflichten als König nachgehen! Und zwar bald! Immerhin wurde dem Königshaus ein Erbe geschenkt und Konr…, äh, der kleine Heinrich, ist noch nicht getauft! Wir könnten noch ein, zwei Monate warten aber dann musst du ihn endlich dem Adel und der restlichen verdammten Welt präsentieren! Hörst du?!“, fuhr er Henry ziemlich barsch an, weil der wieder nur teilnahmslos vor sich hinstarrte. „Henry!“, herrschte er ihn laut an und schlug mit der flachen Hand vor dem auf die Tischplatte, woraufhin der leicht zusammenzuckte und schließlich leicht nickte. „Gut! Wenigstens scheinst du uns halbwegs zugehört zu haben, Herrgott nochmal!“
„Hast du nicht jemanden vergessen?“, warf Richard vorsichtig ein und seine beiden Neffen sahen ihn an. Wilhelm fragend überrascht und endlich auch Henry, der allerdings wenig bekümmert wirkte. „Was ist mit Amanoue? Was soll mit ihm geschehen?“
Wilhelm hielt für einen Moment den Atem an und hob abwehrend die Hände. „Das liegt einzig allein bei ihm, ich mische mich da sicher nicht mehr ein“, antwortete er mit einem genervten Seitenblick auf Henry, der wieder die Tischplatte mit seinen Augen absuchte.
„Henry! Hast du mich verstanden? Was geschieht mit ihm? Willst du ihn für den Rest seines Lebens wegsperren?“, stellte Richard erneut seine Frage und Henry erhob sich wie jemand, der sich ein langweiliges Theaterstück nicht weiter ansehen wollte. Gähnend drehte er sich um, streckte sich und schlenderte zum Kamin. „Ich fasse es nicht“, murmelte Richard nur noch kopfschüttelnd und Wilhelm sah ihn beinahe mitleidig an.
„Das tue ich schon lange nicht mehr“, brummte er nur zurück und beide wandten sich zu Henry um.
„Willst du mir nicht wenigstens antworten?“, drängte Richard verärgert.
„Ich habe dir bereits geantwortet und es gibt nichts mehr dazu hinzuzufügen!“, kam es hart aus Henrys Mund.
„Gut!“, erwiderte Richard mit einem bekräftigenden Nicken, „dann kannst du ihn auch meiner Obhut überlassen, wenn dir eh nichts mehr an ihm liegt.“
Henry wandte sich halb zu ihm um und kniff abschätzend die Augen zusammen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren setzte er sich in seinen Lieblingssessel und gönnte sich einen Schluck Wein.
„So kommen wir nicht weiter“, sagte sein Onkel und riss sich zusammen. „Heinrich, bitte, lass mich wenigstens zu ihm gehen und nach ihm sehen, bitte!