Henry lief so rot an, dass es schon fast bläulich wirkte. Ein Zittern lief durch seinen ganzen Körper und den beiden wurde es für einen Moment himmelangst. „Heinrich?“, fragte Richard beinahe ängstlich und voller Sorge, „geht’s dir gut?“
Der König sah ihn an, blinzelte mehrmals und nickte schließlich. „Ich ziehe mich erst einmal zurück, ich muss jetzt allein sein“, antwortete er murmelnd. „Allein, wie immer“, raunte er seltsam nachdenklich und ging leicht taumelnd zur Tür.
„Henry? Sollen wir Gregorius zu dir schicken?“, fragte nun auch sein Bruder besorgt nach, doch Henry schüttelte den Kopf.
„Ich brauche keinen Arzt, ich brauche nur ein wenig Ruhe, und…“ Er sah sie nochmals an, „nur einer, könnte mir jetzt wirklich Trost spenden. Wie konnte er mir dies antun? Immer wieder, frage ich mich, warum? Aus Rache? Hass?“, sinnierte er wie zu sich selbst und öffnete stirnrunzelnd die Tür.
***
Nach dem Abendmahl suchte Richard nochmals Henry in dessen Gemächern auf. Eine Weile saßen sie sich schweigend schräg gegenüber. „Bitte, Heinrich, ich möchte dir gewiss nicht noch mehr Schmerz zufügen und es tut mir wirklich leid, was dir widerfuhr aber ich frage dich dennoch, lebt er eigentlich noch? Bitte, ich möchte es nur wissen“, machte er schließlich seinem bangenden Herzen Luft.
„Wer?“, fragte sein Neffe scheinbar ahnungslos zurück.
„Du weißt genau, wen ich meine! Amanoue! Lebt er noch?“, verlangte Richard mit sanftem Nachdruck zu wissen.
„Oh ja, er lebt“, antwortete Henry knapp und bitter.
Richard nickte einmal. „Und wie lange willst du ihn noch einsperren?“
„Von mir aus, bis er verrottet“, kam es von Henry derart verbittert, dass es schon einem Hilferuf gleichkam.
Wieder nickte sein Onkel, tief betrübt und voller Mitgefühl. „Möchtest du es mir nicht erzählen? Auch wenn ich wohl schon das Wesentlichste von deinem Bruder erfahren habe, so würde ich doch gerne die ganze Geschichte hören, von dir. Ich spüre doch, dass viel mehr auf deinem Herzen lastet“, bat er sanft.
Statt einer Antwort schloss Henry die Augen und ein gequältes Schluchzen entrang sich seiner Kehle. „Kai, würdest du uns alleine lassen?“, wandte der Herzog sich dem jungen Diener zu und der bejahte es mit einem stillen Nicken. Nachdem er gegangen war, zog Henry nicht gerade königlich die Nase hoch und trank einen großen Schluck.
„Er war mir so nahe, wie nie zuvor“, begann er einigermaßen gefasst zu erzählen, „wir, waren uns so nahe. Nachdem du fort warst, hatten wir einen fürchterlichen Streit und er schimpfte mich aus wie ein Rohrspatz“, sagte er lächelnd, was auch Richard zum Schmunzeln brachte. „Du kennst ja sein überschäumendes Temperament und ich dachte schon, entweder er haut mir jetzt vor versammeltem Hofstaat eine runter oder er grillt mich an Ort und Stelle“, sprach Henry weiter. Richard runzelte ungläubig die Stirn und sein Neffe nickte bestätigend. „Ehrlich! Für einen Moment dachte ich, so, das wars, jetzt kommt gleich ein Blitz und schickt mich geradewegs zu Ambrosius in die Hölle. Ich habe es gespürt, wie sich die Luft um uns auflud und er begann zu leuchten! Er leuchtete heller als die Sonne, zum ersten Male sah ich es mit eigenen Augen, er leuchtete!“, sagte er geradezu überwältigt. „Satory warf mir einmal vor, dass ich ihn eben einfach noch nie zum Leuchten gebracht hätte, weil ich mich darüber lustig machte und ja, er hatte recht, ich war wohl einfach nicht dazu in der Lage, bis zu diesem Tag! Er stand vor mir und leuchtete, aber nicht aus Freude, sondern vor Wut“, meinte er betrübt. „Es kam kein Blitz“, fuhr er achselzuckend fort, „er beschimpfte mich nur weiter und weiter, bis mir der Kragen platzte und ich ihn hinter mir herzog, bis in meine Gemächer. Wir stritten noch eine Weile und er beteuerte mir, dass es nur noch mich geben würde. Ja, du hattest recht, ich war eifersüchtig! Ich hatte einfach nur Angst ihn wieder verloren zu haben, an dich…“
„Heinrich“, unterbrach Richard ihn leise und leicht vorwurfsvoll. Er griff hinüber, drückte ihm kurz die Hand und Henry sah ihn voller Bestürzung an.
„Allein der Gedanke, dass er wieder einen anderen haben könnte, machte mich fast wahnsinnig, aber er sagte mir, dass ich keinen Grund dazu hätte und es nur noch mich in seinem Leben geben würde. Ich glaubte ihm“, raunte Henry und hielt sich im selben Moment die Stirn. „Er log mich an, log mir dreist ins Gesicht, aber dass er mich mit Sybilla betrogen hatte, hätte ich nie erwartet. Nie! Verstehst du?“, krächzte er heiser weiter und schüttelte gleichzeitig fassungslos den Kopf. „Einige Wochen später hatten wir wieder einen Streit, ich war sauer auf ihn und er mal wieder auf mich, weil ich mich nicht mehr ausreichend um ihn kümmern würde, so warf er es mir vor und ich habe ihn einfach stehen lassen. Damit hatte er wohl nicht gerechnet und tags darauf, oder wohl eher die Nacht darauf, hatte ich die vielleicht schönste Nacht meines Lebens. Wir liebten uns wie noch nie und er sagte mir zum ersten Male, dass er mich lieben würde“, erzählte er immer leiser werdend und wieder drückte Richard ihm die Hand. „Ich brach einfach in Tränen aus, heulte sprichwörtlich Rotz und Wasser, vor lauter Glück und dann…“
„Dann?“, hakte Richard gefühlvoll nach, als Henry auch nach einer kurzen Weile nicht weitersprach.
„Wir schlossen eine Art Pakt, ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll, er saß auf mir und stach mir mit einem Dolch in die Brust, genau hier“, sagte sein Neffe und tippte sich auf die Herzseite. Richards Augen weiteten sich augenblicklich vor Schreck und vor Unglauben. „Nicht schlimm, nur so tief, dass es etwas blutete“, fuhr Henry deshalb rasch fort. „Vertraue mir, sagte er und ich vertraute ihm“, wieder machte er eine kleine Pause, „er schnitt sich in die Hand und legte sie auf meine Wunde und sagte: Jetzt sind wir eins, von einem Blut, du gehörst mir und ich dir oder so ähnlich. Ich war, es war, wie in einem Traum, ich fühlte mich, wie in einem Traum gefangen, unfähig mich zu bewegen und eine bleierne Müdigkeit überfiel mich plötzlich. Alles was ich noch hörte, war sein Geständnis. Eben, dass Sybillas Kind von ihm wäre und ich nie eigene Kinder haben würde. Er bat mich sogar um Verzeihung und sagte, dass er alles nur für mich getan hätte, weil ich mir doch so sehr ein Kind gewünscht hätte…“, schluchzte er verzweifelt auf. Als Richard sich zu ihm hinüberbeugen wollte, wehrte er allerdings mit beiden Händen ab und rutschte sogar ein klein wenig von ihm fort. „Am nächsten Morgen konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, alles war weg“, schniefte er hilflos, „bis es mir plötzlich wieder einfiel! Am Tag als Sybilla das Kind gebar!“ Erneut musste er innehalten, um erst einmal tief Luft zu holen und wischte sich fast ärgerlich über die nassen Augen. „Dann kam Gregorius und sagte, dass es tot wäre, dass mein Kind, gestorben wäre! Alles um mich herum drehte sich nur noch und meine letzte Hoffnung war Amanoue. Ich rannte zu ihm, aber seine Tür war verschlossen, ich flehte ihn an, meinem Kind zu helfen, aber er erhörte mich nicht, ich hämmerte wie ein Verrückter gegen diese verfluchte Tür, bis meine Fäuste bluteten und plötzlich öffnete Marius“, berichtete er so als könne er es selbst nicht glauben. „Ich stieß ihn weg und versuchte wie von Sinnen Amanoue zu wecken, doch alles war vergebens. Er konnte mich nicht hören, weil Marius ihm den Bauch aufgeschnitten und ihm das Geschwür entfernt hatte. Da fiel es mir auf einem Male wieder ein, als ich später allein hier war. Ich saß da und wusste alles wieder, konnte mich glasklar an jene Nacht erinnern und damit auch an sein Geständnis. Ich weiß, dass es vor allem meine Schuld war, ich habe ihm so oft Vorwürfe gemacht, weil er mir kein Kind schenken konnte und vielleicht habe ich ihn sogar damit regelrecht in Sybillas Arme getrieben, aber vergeben, kann ich ihm nicht“, endete er beinahe flüsternd und mit geschlossenen Augen.
Richard lehnte sich tief durchschnaufend zurück. „Und seitdem warst du nicht bei ihm? War überhaupt jemand, bei ihm?“, fragte er erschüttert.
Henry öffnete die Augen und nickte leicht. „Marius. Er kümmerte sich weiterhin um ihn, versorgte die Wunde und brachte ihm Essen. Drei Wochen lag er