Jenseits der Zeit
Von Michael Vahlenkamp
Buchbeschreibung:
Editha zieht nach Oldenburg, der Stadt ihrer Vorfahren. Kurz nach ihrer Ankunft wird sie von Visionen heimgesucht, in denen sie eine mentale Verbindung mit Jacob erlebt, ihrem Ahn aus dem 18. Jahrhundert. Gemeinsam entlarven sie einen Serienmörder und kämpfen gegen ein Unrecht, das ihrer Familie zugefügt wurde und aus dem sich sogar eine Bedrohung für die gesamte Menschheit entwickeln könnte ...
Die Geschichte spielt in zwei Epochen, die erzählerisch gekonnt miteinander verwoben sind.
Über den Autor:
Michael Vahlenkamp, Jahrgang 1967, ist in Oldenburg geboren und aufgewachsen. Nach Schule und Ausbildung hat er Maschinenbau studiert und arbeitet bis heute als selbstständiger Technischer Redakteur. In seiner Freizeit schreibt er Geschichten, woraus vor einigen Jahren bereits sein erster Roman "Blutfieber" hervorgegangen ist und nun mit "Jenseits der Zeit" sein zweites Buch veröffentlicht wurde.
Jenseits der Zeit
Historischer Mystery-Thriller
Von Michael Vahlenkamp
Michael Vahlenkamp
Bürgerbuschweg 192a
26127 Oldenburg
michaelvahlenkamp.de
1. Auflage, 2020
© 7. November Michael Vahlenkamp – alle Rechte vorbehalten.
Michael Vahlenkamp
Bürgerbuschweg 192a
26127 Oldenburg
tredition (Hamburg)
michaelvahlenkamp.de
Morgen
Und dann wurde es schlagartig dunkel.
Von einer Sekunde auf die nächste wich der strahlende Sonnenschein des Vormittags einer dunklen Nacht, gerade so, als wäre das Licht ausgeknipst worden.
Zugleich verstummten die Geräusche. Das Menschengeplapper, das Kinderlachen, der Autolärm von der nahen Straße, nichts davon war noch zu hören.
Auch die Leute waren verschwunden. Dort, wo sich gerade noch Passanten in der Fußgängerzone aneinander vorbei drängten, sah sie keine Menschenseele mehr, soweit ihre Augen die Dunkelheit durchdringen konnten.
Doch das Schlimmste bemerkte sie erst jetzt: Timo war nicht mehr an ihrer Hand. Wo war ihr Sohn geblieben? Sie hatte ihn doch festgehalten, um ihn in der Menge nicht zu verlieren.
Was passierte hier mit ihnen?
Panik befiel sie. Ihr Herzschlag wollte sich beschleunigen – doch er tat es nicht. Sie musste stehen bleiben, vor Angst erstarren – doch sie konnte es nicht. Sie ging weiter, gegen ihren Willen. Und dazu noch in eine andere Richtung als gerade noch. Wie war das möglich?
Durch Pfützen bewegte sie sich auf den Lappan zu. Sein Glockenturm zeichnete sich wie ein Scherenschnitt vor dem Nachthimmel ab. Trotz der Dunkelheit konnte sie erkennen, dass er anders aussah als vor wenigen Sekunden, auch wenn sie nicht wusste, was sich genau unterschied.
Inzwischen war sie ohne ihr Dazutun einen weiteren Schritt gegangen. Das musste ein Traum sein, ein Albtraum. Aber solch einen Traum hatte sie noch nie gehabt. Normalerweise waren ihre Träume irgendwie diffus, dieser hier dagegen war völlig klar, real wie das wirkliche Leben. Dennoch musste es ein Traum sein. Denn was sollte es sonst sein?
Dieser Gedanke beruhigte sie, denn in einem Traum konnten Timo und ihr nichts passieren. Die Angst ließ nach und als hätte diese es vorher blockiert, nahm Editha jäh ein zweites Bewusstsein wahr. Wie eine Seele, die nicht in ihren Körper gehörte. Sie empfand eine Verärgerung, die nicht ihre eigene war, fühlte eine Verunsicherung, die nicht zu ihr gehörte. Sie hatte fremde Gedanken, die durch ihren Kopf kreisten. Und sie spürte Schmerzen, überall am Körper, als wäre sie arg gestürzt oder geschlagen worden.
Dann hatte sie für solcherlei Betrachtungen keine Gelegenheit mehr, weil sich im nächsten Moment die Ereignisse überstürzten. Denn eine Gestalt kam aus der Seitengasse rechts vor dem Lappan herausgeschossen und stürmte auf sie zu. Sie erschrak sich wieder, und sie spürte, dass das andere Bewusstsein es ebenfalls tat, stärker noch als sie.
Gerne hätte sie eine Verteidigungshaltung eingenommen und so ihren Angreifer erwartet. Doch da ihr Körper ihrem Willen nicht gehorchte, musste sie nun ertragen, wie ihre Knie weich wurden und zitterten. Sie wich zurück, stolperte über ihre eigenen Füße und plumpste rücklings auf ihren Hintern, dass es nur so schmerzte. Der Angreifer hatte damit nicht gerechnet und war schon so nahe, dass er in der Dunkelheit ebenfalls über ihre Füße stolperte und auf die Straße fiel, die Hände voraus. Aber das wusste sie schon und auch, was nun weiter passieren würde. Denn mittlerweile hatte sie gemerkt, dass dieser Traum die Geschehnisse wiedergab, von denen sie vor kurzer Zeit erst gelesen hatte.
Derjenige, der ihren Körper lenkte, nutzte den Moment, in dem der Angreifer außer Gefecht war, und rappelte sie auf. Er rutschte mit ihr im Schlamm einer Pfütze aus und fing sie sofort wieder. Er lief mit ihr, von seiner Angst getrieben, mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit weiter in die Richtung, in die er auch vorher mit ihr unterwegs war. Ihr kam es viel zu schnell und unbeholfen vor. Sie fühlte sich gnadenlos ausgeliefert.
Ihr Angreifer musste sofort reagiert haben. Er folgte ihr auf dichtem Fuße, wie sie an den Schritten hören konnte. Sie brachte ihre ganze Willenskraft auf, um anzuhalten und sich umzudrehen. Sie wollte nicht weglaufen, sondern kämpfen, aber sie hatte keine Chance: Ihr Körper gehorchte ihr weiterhin nicht.
Doch dann entfernten sich die Schritte hinter ihr auf einmal, und Editha erkannte, woran das lag. Sie näherten sich einem Tor. Links und rechts davon befanden sich je zwei Steinpfeiler mit kleineren Gittertoren dazwischen. Vor dem Haupttor standen zwei Männer. Sie waren in schwarze Umhänge gekleidet und trugen jeder einen Dreispitz auf dem Kopf. Beide hatten ein Signalhorn umgehängt und hielten eine lange Waffe mit einer Klinge am Ende in der Hand. Editha glaubte, dass es Hellebarden waren. Die Männer sahen aus, wie Wachleute in früheren Zeiten ausgesehen haben mussten. Sie kam sich vor, wie in einem Film, der vor ein paar hundert Jahren spielte.
Als sie sich weiter näherte, richteten sich die Wachen zu ihrer vollen Größe auf und nahmen ihre Hellebarden in beide Hände. Sie riefen etwas, das zwar wie Deutsch klang, aber doch irgendwie ungewohnt. Der Fremde in ihrem Körper stoppte ihren Lauf. Er antwortete in der gleichen Sprache, aber nicht mit ihrer Stimme, sondern mit einer Männerstimme.
In dem Moment wurde ihr klar, dass nicht in ihrem Körper ein fremdes Bewusstsein war.
Sie war die Fremde.
Heute
Diese verflixten Rechnungen!
Als Editha in ihr frisch geerbtes Haus eingezogen war, hatte sie geglaubt, sie wüsste, was auf sie zukommen würde. Schließlich hatte sie in ihrer Studienzeit zusammen mit den beiden Mitbewohnern der damaligen Wohngemeinschaft