Ein Wort an Alle, an alle Arbeiter, an die sich vereinigenden Proletarier aller Länder! Im Augenblick, in dem ihr die Herren der Staatsgewalt geworden seid, im Augenblick, in dem ihr die Klasse der Ausbeuter unterdrückt und vernichtet habt, beginnt für euch eine Zeit der ungeheuersten Kraftanstrengung, die Notwendigkeit unerhörtester Arbeitsleistung, die Zeit einer selbstauferlegten äußersten Sklaverei, die nur bei den Klassenbewusstesten, bei den Zukunftsbewusstesten unter euch ein Gegengewicht in der inneren Befreiung, in dem Bewusstsein der inneren Freiheit finden kann!
Die Zentralisierung des politischen und wirtschaftlichen Verwaltungsapparates gebiert eine so maßlose, alle Begriffe überschreitende, jeder Kontrolle allmählich entschlüpfende Beamtenschaft, dass ihr wiederum für eine Schar mehr oder minder untätigen parasitären Individuen angestrengt zu arbeiten habt, maßlos zu arbeiten habt, nur dass diese auf eurem Buckel hockende Schar euch jetzt nicht mehr ausbeutet, sondern das verwaltet, was ihr mit eurer Hände und Hirne Arbeit aus dem Erdboden hervorstampft, in den Werkstätten verarbeitet.
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Wenn unter dem kapitalistischen System nur die Hälfte der Bevölkerung rein produktive Arbeit leistet, so weiß ich nicht, welcher Bruchteil der Bevölkerung unter dem kommunistischen System rein produktive Arbeit leisten wird und kann. Die erste Notwendigkeit, die erste Tat nach der Ergreifung der Macht durch das Proletariat war: die kapitalistischen Führer und Beamten aus dem Staats- und Wirtschaftskörper völlig auszuschalten. Sofort darauf ergab sich als nächste dringendste Notwendigkeit die Aufgabe: unter diesen Ausgeschalteten vorerst die Spezialisten in den einzelnen Fächern wieder in den Beamtenkörper aufzunehmen. Diese Notwendigkeit birgt eine maßlose Gefahr in sich, wie ich es gleich ausführen will. Sieht man sich das Diagramm eines großen Verwaltungskörpers, z. B. des Obersten Wirtschaftsrates, im Zusammenhang mit allen den ihm untergeordneten Zweigen der Produktion und Verteilung an, so wird man an diesem Schema des Verhängnisvollen des Systems genau gewahr werden. Zuerst befindet sich im Innern dieses Diagramms, in der Mitte des Blattes, auf dem das Schema eines Kommissariats oder eines Zentralrats aufgezeichnet ist, ein kleiner Kreis.
In diesem Kreise steht der Volkskommissar für Arbeit, für Volksaufklärung, für Auswärtige Angelegenheiten, für Gesundheitspflege, oder was er sonst ist. Diese Männer, soweit ich sie kennen gelernt habe, soweit ich ihre Arbeit beobachten und mich über ihre Arbeit informieren konnte, sind Persönlichkeiten von absoluter, keiner Verleumdung zugänglichen Integrität, durch das Leben und das Schicksal erprobte, gehärtete, aufopferungsvollste, für unsere gemäßigten Zonen der Pflichterfüllung unbegreifliche Arbeiter, Verantwortungsträger, zum Teil wahre Apostel und Herolde einer neuen Zeit.
Um diesen innersten Kreis, der entweder einen Namen oder die Namen eines ganz engen Komitees von drei bis fünf Menschen umfasst, zieht sich ein Kreis mit schon etwas breiterem Radius. In diesem Radius sind die Leiter der obersten Verwaltungsstellen des Kommissariats genannt, meist ebenso erprobte, zum großen Teil ebenso opferwillige, mit Arbeit überlastete und ihrer Verantwortung bewusste Kommunisten. Die Kreise weiten sich immer mehr. Jedem Leiter eines Verwaltungs- oder Produktions- oder Verteilungszweiges unterstehen Abteilungsleiter, die ihrerseits wieder einen weiteren Kreis und immer weitere Kreise von Untergebenen mit spezialisierten Funktionen besitzen. Je weiter diese Kreise sich von dem Mittelpunkt entfernen, umso weniger können die Funktionäre, die ihn ausfüllen, kontrolliert werden.
Georgi Wassiljewitsch Tschitscherin – Георгий Васильевич Чичерин – 1872 – 1936
Ich habe den Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Tschitscherin, kennengelernt, habe ungefähr zu sehen bekommen, wie sein Kommissariat arbeitet. Außerdem habe ich auch neben anderen Kommissariaten das Kommissariat für Volkserziehung des Genossen Lunatscharski zu beobachten Gelegenheit gehabt.
Ich kann nicht sagen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Tüchtigkeit „des inneren Kreises und der äußersten Kreise“ ein und desselben Kommissariats besteht, und ich will nicht sagen, welches von den erwähnten Kommissariaten mir diese Überzeugung beigebracht hat. Ich weiß nur, dass Tschitscherin, ein kränklicher, hüstelnder Asket, von den achtzehn Arbeitsstunden, die er täglich leistet, reichlich zehn an Organisationsfehlern innerhalb seines Kommissariats einbüßen muss. Lunatscharski mag ein Mann von grandiosen Ideen sein, und manches, was in seinem Kommissariat durchgesetzt ist, wird die Welt in stärkere Erschütterung versetzen, als sie das Kommissariat der Arbeit oder irgendeines wirtschaftlichen Departements hervorzurufen vermag – aber er ist der typische Intellektuelle, verschwindet von Zeit zu Zeit, um Konrad Ferdinand Meyer zu übersetzen oder um ein Drama zu schreiben, in dem Marx mit Faust und Bakunin mit Mephisto und andere unzüchtige Paarungen stattfinden, und die Arbeit des Kommissariats trägt die Folgen.
Je stärker sich der Kommunismus einwurzelt, im Maße, in dem das System in dem ganzen ungeheuren Lande erstarkt, im Maße, in dem alle zur Zentralorganisation gehörenden Zweige der Verwaltung und der Produktion in den Bereich der Zentralisierung einbezogen werden, macht sich die Notwendigkeit der Auffüllung des Beamtenkörpers, der Zuziehung von Massen neuer und immer neuer Mitarbeiter bemerkbar. Es lässt sich nicht vermeiden, dass sich Elemente in diesen Scharen einfinden, die durch Faulheit, Korruption, durch bewusst feindliche Gesinnung gegenüber dem System den ganzen Apparat schwächen und diskreditieren. Die „inneren“ Vorkämpfer der revolutionären Idee fordern von ihren Untergebenen mit mehr oder minderer Energie dieselbe Aufopferung, denselben Idealismus, dieselbe Gläubigkeit, die sie in sich hegen, und die letzten Grundes die Ursache dafür ist, dass der russische Kommunismus sich seit drei Jahren siegreich in Russland behauptet hat und eine nie mehr vergängliche Umwandlung der Geister in der ganzen Welt bewirkte.
Aber diesem seelischen Druck geben nur jene nach, die die Vorbedingungen der Aufopferung, des Idealismus, der Gläubigkeit in ihren Herzen besitzen. Bei den anderen, die, um zu leben, sich dem Sowjet-Apparat freiwillig, aufgefordert oder notgedrungen zur Verfügung gestellt haben, keimt und schwillt mächtig und immer mächtiger Hass, Böswilligkeit und Vernichtungssucht an.
Wenn es die Eigenschaft des Staates ist, dass er einen enormen Beamtenapparat nötig hat, so trägt der Staat seinen Krankheits- und Todeskeim in sich, und es ist fraglich, wie sich aus dem vorläufig allmächtigen Gebilde des Staates jemals unser utopischer Traum der freien Gemeinschaft kleiner Kreise entwickeln soll. In Russland habe ich das unerhörteste, ungemessenste Leiden in fast allen Schichten der Bevölkerung gefunden, fröhlich aber und guter Dinge habe ich (außer den Kindern) nur eine Schicht gesehen, nämlich eine im wirklichen Sinne des Wortes parasitäre, bürgerliche Mittelschicht von neuem Beamtentum, die sich weiß Gott woher zusammen gefunden hat, sich über den wissbegierigen und ernst und eifrig den Zusammenhängen nachforschenden Fremdling lustig macht, ihn durch Ignoranz oder bewusste Irreführung bei seiner Arbeit behindert. Ich sprach schon vorhin von der Schwierigkeit, durch Informationen die Wahrheit über die innere Struktur des Apparates zu erhalten. Diese Schicht einer, man kann es ruhig so nennen, neuen Bourgeoisie, der sogenannten Sowjet-Bourgeoisie, ehrgeizige, zynisch unzuverlässige Menschen, werden durch Maulwurfsarbeit den Staatskörper unterminieren und würden vermutlich die ersten sein, die auf den Trümmern, wenn es jemals Trümmer geben könnte, die weiße Fahne oder irgendeine andere hissten.
Die inneren Kreise kennen diese Zustände, kennen diese Leute ganz genau. Von Zeit zu Zeit „kämmen sie sie aus“, d. h. sie schütteln sie ab unter Hinweis auf die Notwendigkeit, dass die Front junger Männer bedarf, dass in einem entfernten Ort des weiten Landes ein Posten vakant geworden ist, auch wird der kommunistische Samstag oft als willkommener Anlass dazu ersehen, die zu geistiger wie zu körperlicher Dienstleistung Unwilligen zu entlarven, sich ihrer zu entledigen. Aber es fragt sich, ob der Ersatz, der für diese Ausgekämmten geschaffen wird, nicht aus noch trüberen Elementen besteht. Es ist