„Gute Frage“, murmelte Sebastian und notierte dies. „Ich bilde mir ein, die Tochter eines verarmten Baronets. Vielleicht hat sie ja erwartet, jetzt ein Luxusleben zu führen und die Königin der Londoner Gesellschaft zu werden.“
„Also so kam mir Walsey nicht vor, aber ich habe ihn ja nur das eine Mal vorgestern gesehen“, überlegte Melinda. „Was meinst du, Portia?“
„Viel besser kenne ich ihn doch auch nicht“, verteidigte diese sich sofort, „aber auf endlos viele Bälle scheint er mir auch nicht erpicht zu sein.“
„Er braucht wohl eine neue Ehefrau“, stellte Sebastian fest, was sie ohnehin alle wussten. „Vielleicht geht er deshalb auf Bälle, wirkt aber zugleich etwas lustlos?“
Melinda und Portia betrachteten ihn mit milder Verachtung und er lachte prompt. „Das habt ihr beide euch natürlich schon lange überlegt!“
„Erst seit vorgestern“, korrigierte Portia freundlich, „davor wusste ich doch nicht einmal, dass er existierte. Und bevor er auftauchte, hat mir gegenüber auch niemand hässliche Andeutungen gemacht.“
„Glaubst du diese hässlichen Andeutungen denn?“, wollte Melinda wissen.
„Nein, eigentlich nicht. Er kommt mir recht überlegt und vernünftig vor, aber wirklich einschätzen kann ich ihn noch lange nicht. Nur, wenn er wirklich ein Mörder wäre, wäre er dann nicht längst gehängt – oder nach Australien deportiert worden?“
Grässliche Vorstellung, dachte sie, noch während sie das aussprach.
„Ich glaube es auch nicht“, stellte Sebastian in einem recht endgültig klingenden Tonfall fest. „Etwas düster ist Walsey freilich, aber eher, als habe man ihn stets missverstanden. Ansonsten ein ungewöhnlich vernünftiger und vielseitig gebildeter und interessierter Mann. Nachdem, was er ab und zu erwähnt hat, ist er auch seiner kleinen Tochter sehr zugetan. Ob es außer Vater und Tochter noch weitere Beauforts gibt, weiß ich freilich nicht. Wenn er so weiter macht, erlischt der Titel möglicherweise…“
Um den Titel machte Portia sich nun wirklich keine Sorgen, aber Walsey tat ihr ein wenig leid: Ein ernsthafter Mann musste sich mit den Oberflächlichkeiten in den Ballsälen abgeben, um die Zukunft seiner Familie zu sichern!
Aber ging es ihr selbst denn so viel anders? Sie musste mit Leuten wie Kelling tanzen und sich das Getuschel dummer Gänse anhören, nur um endlich jemanden zu finden, der ihr eine Zukunft bot und damit sowohl die allmählich alternden Arnebys als auch ihren Vater entlastete.
Nun, man würde ja sehen, was der heutige Abend brachte, bei Mrs. Ramsworth – diese Bälle waren immer besonders schön. Hoffentlich hatte sie unangenehmes Volk wie Kelling und Jessen gar nicht erst eingeladen!
Ein netter, einigermaßen kluger und angenehmer Mann, gerne vom Land, da war sie gar nicht so wählerisch, wäre doch schon ideal?
Nun, ideal vielleicht nicht, so ganz ohne Liebe, aber doch schon akzeptabel. Ein vernünftiges Auskommen, ein Dach über dem Kopf, eine nette Kinderschar…
Kapitel 6
„Euer Lordschaft?“
Cecil stand vor dem Spiegel und fingerte an seinem Halstuch herum. Naja, es ging schon - aber dieser Abend würde gewiss so wenig Erfolg bringen wie der letzte.
„Ja, Grin?“
„Der Wagen steht bereit, lässt Mr. Parton ausrichten.“
„Danke, Grin“, seufzte Cecil und warf seinem Spiegelblick einen letzten Blick zu. „Dann werde ich meine Pflicht tun…“
„Aber Euer Lordschaft mögen Mrs. Ramsworth doch?“
„Jeder mag Amelia Ramsworth. Du hast ja recht, Grin, ich bin einfach nur griesgrämig.“ Damit begab er sich nach unten, in die Halle, wo der Butler schon Hut, Cape und Stock bereithielt.
Mrs. Ramsworths Ballsaal war dieses Mal hellblau und sandfarben dekoriert, als befände man sich in Brighton – nur der umstrittene Pavillon des Prince of Wales fehlte, wofür zumindest Portia recht dankbar war. Wie allerdings die blassrosa Treibhausrosen in diesem Zusammenhang zu deuten sein konnten, war ihr nicht recht erfindlich.
Ach, vielleicht gab ihr diese Frage etwas Beschäftigung, falls ihre Tanzkarte sich nur unzureichend füllen sollte…
Was sich zunächst zügig füllte, war der Ballsaal, aber es wurde kein derartiges Gedränge wie auf dem letzten Ball, den Portia besucht hatte. Darauf pflegte Mrs. Ramsworth ja auch zu achten – und das machte ihre Einladungen so exklusiv und damit auch so begehrt. Portia wusste, dass sie sich glücklich schätzen konnte, zu diesem Kreis von Auserwählten zu gehören. Warum die Lady (auch wenn sie keinen Titel trug) immer wieder junge Damen mit ihrem Wohlwollen auszeichnete, wusste offenbar niemand: Man war geschmeichelt und fragte lieber nicht so genau nach…
Cecilia und Benedict winkten ihr zu, Lady Tenfield schenkte ihr ein schildkrötenhaftes Grinsen, von Kelling und Jessen war nichts zu sehen, dafür setzte sich die junge Lady Pelham zu ihr. „Bin ich froh, dass ich schon verheiratet bin – dieser Heiratsmarkt ist doch wirklich entsetzlich!“
„Wem sagen Sie das, Virginia! Vor allem, wenn man mit so unangenehmen Männern tanzen muss.“
„Ich werde mich in diesem Fall auf delikate Umstände herausreden. Niemand will mit einer Frau tanzen, der mittendrin übel werden könnte.“
„Das könnte ja die Stiefel ruinieren… leider kann ich diese Ausrede nicht verwenden.“
„Versuchen Sie es – das wäre ein hübscher Skandal!“
Portia kicherte. „Dazu bin ich doch zu feige – oh! Delikate Umstände? Da gratuliere ich auch ganz herzlich!“
Virginia Pelham lächelte verträumt. „Danke schön, wir freuen uns auch schon sehr. Ein kleines Mädchen haben wir schon, jetzt wäre ein Söhnchen nett. Sie wissen ja, der Erbe…“
„Gewiss. Diese Frage treibt wohl die meisten jungen Männer in den Ballsaal, nicht wahr?“
„Gefolgt von besorgten Eltern.“
Sie lachten beide und in diesem Moment fanden sich gleich drei junge Herren vor Portia ein, die sie noch nie gesehen – oder gleich wieder vergessen? – hatte. Eifrig trugen sie sich in ihre Tanzkarte ein, jeder gleich für zwei Tänze, was schon ein klein wenig dreist war, wie sie fand. Aber die Jungen wirkten alle harmlos, sie waren nüchtern und strahlten sie recht erfreulich an – und je weniger Plätze für Kelling und Jessen blieben, desto besser…
Bis das Orchester zu spielen begann, hatte sie alle Tänze bis auf einen, den vorletzten Walzer, vergeben. Von ihren beiden Feinden war noch nichts zu sehen, offenbar hatte die kluge Mrs. Ramsworth die beiden Rüpel tatsächlich nicht eingeladen.
Sie begab sich also auf die Tanzfläche und arbeitete sich einigermaßen beschwingt durch Ländler, Allemandes, Kontertänze und Walzer, plauderte über das Wetter, die neuesten Gerüchte über den Gesundheitszustand des Königs, die Extravaganzen des Prince of Wales, über die Frage Leben in London oder Leben auf dem Land (und wenn auf dem Land, wo dann am besten?) und allerlei anderes und nutzte die Pausen zwischen den Tanzabfolgen, um sich mit Lady Tenfield, Melinda und Cecilia auszutauschen.
Ein bisschen stand sie immer noch unter Spannung, weil dieser eine Walzer noch offen war und Kelling oder Jessen sich doch auch uneingeladen auf den Ball schmuggeln konnten - Mrs. Ramsworth hatte schließlich wohl kaum Porträtskizzen der beiden anfertigen lassen und sie an die Lakaien an der Eingangstür verteilt!
Später am Abend aber betrat Walsey den Ballsaal und sah sich ruhig um. Ohne ein Lächeln.
Ohne