„Es wird ein lustiger Abend werden.“
Noch bevor ich die Straßenecke erreicht habe, an der ich Lana herauslasse, hat sie den anderen bereits eine Nachricht geschrieben, die sofort begeistert sind.
„Wir treffen uns heute Abend bei dir“, verabschiedet sie sich ein paar Minuten später von mir und grinst von einem Ohr bis zum anderen. Ihre gute Laune ist zurückgekehrt, worüber ich froh bin.
Ein letztes Mal lache ich noch, ehe ich mich auf den Heimweg mache. Ein merkwürdiges Gefühl macht sich in mir breit. Es hat nichts mit meinem Bruder zu tun. Ich freue mich darauf, ihn zu treffen, nachdem wir in den letzten Monaten nur miteinander geschrieben haben. Es ist auch nicht der plötzliche Sinneswandel von Lana. Sondern eher ein Punkt, den ich ihr verheimlicht habe. Und das, obwohl ich nicht weiß, wieso ich es nicht erwähnt habe. Doch ich weiß selber nicht, wie ich mich deswegen verhalten soll.
Es ist nämlich so, dass er einen seiner Freunde im Schlepptau hat, der auch die nächsten Wochen bei uns verbringen wird. Ich kenne ihn nicht, weiß nicht seinen Namen. Allerdings bin ich den meisten Freunden meines Bruders schon über den Weg gelaufen. Aus diesem Grund kann ich mit Gewissheit behaupten, dass es nicht einen einzigen gibt, mit dem ich mich verstehe. Sie alle sind aufdringlich, laut und ich bezweifle sogar, dass sie überhaupt erzogen wurden. Alles in einem kann man feststellen, dass sie gerne die Regeln so auslegen, wie es ihnen gerne passt. Ich mache einen riesigen Bogen um sie, um meine Ruhe zu haben. Doch dieses Mal wird das nicht gehen.
Es sei denn, ich ziehe in der Zeit zu einer meiner Freundinnen.
Wobei sie bestimmt kein Problem damit hätte. Dennoch ist es eine bescheuerte Idee. Schließlich bin ich kein kleines Kind mehr und sehr wohl in der Lage, mich vernünftig mit ihm zu unterhalten. Ich klammere mich auch ein wenig daran, dass er nicht so ist, wie die anderen Jungs, mit denen Mason für gewöhnlich abhängt. Auch, wenn diese Chance doch eher sehr gering ist.
Als ich in unsere Einfahrt biege, entdecke ich als Erstes den großen schwarzen Geländewagen, der sich direkt vor mir befindet. Es ist nicht der meines Bruders und auch sonst kenne ich niemanden, der so einen fährt. Deswegen gehe ich davon aus, dass dieser hier seinem Kumpel gehört.
Nicht nur der Lack ist schwarz. Auch die Fenster sind so dunkel, dass man kaum einen Unterschied zwischen ihnen und der Karosserie erkennt. Da er rückwärts in der Einfahrt steht, erkenne ich, wie aggressiv er von vorne wirkt. Und ich habe das Gefühl, als würde das auch auf seinen Besitzer zutreffen. Es sorgt nicht unbedingt dafür, dass ich Lust habe, auszusteigen.
Diese Erkenntnis sorgt dafür, dass sich ein Kloß in meinem Hals bildet. Beinahe verzweifelt versuche ich ihn wieder loszuwerden, als ich merke, dass ich kaum noch atmen kann. Doch es bringt nichts. Es kommt mir sogar eher so vor, als würde es noch schlimmer werden. Ich versuche mir vor Augen zu halten, dass mein Bruder bestimmt niemanden anschleppen würde, der sich überhaupt nicht benehmen kann. So genau kann ich das aber nicht sagen.
Um mich abzulenken, steige ich aus und schließe den Wagen hinter mir ab. Ich bin aber darauf bedacht, dass ich den anderen nicht mehr beachte und am besten auch nicht in seine Nähe komme.
Mit langsamen Schritten gehe ich auf die Haustür zu und hoffe inständig, dass ich mich irre. Seitdem ich erfahren habe, dass Mason nicht alleine kommt, habe ich es geschafft, mich nicht damit auseinanderzusetzen. Nun kann ich dem aber nicht mehr aus dem Weg gehen. Hinzu kommt, dass ich mich immer auf mein Bauchgefühl verlassen kann. Deswegen halte ich es für unwahrscheinlich, dass ich mich irre.
Leise, um möglichst unauffällig in meinem Zimmer verschwinden zu können, öffne ich sie. Ich hätte mir aber auch denken können, dass ich nicht weit komme. Ich habe noch keinen Fuß ins Innere gesetzt, als mein Bruder bereits mit energischen Schritten auf mich zu kommt.
„Cady, Schwesterherz“, ruft er und schließt mich als Nächstes in seine Arme. Fest drückt er mich an sich und sorgt so dafür, dass ich für einen kurzen Moment keine Luft mehr bekomme.
„Mason“, keuche ich, als ich endlich wieder in der Lage bin, wenigstens einen Ton von mir zu geben.
„Oh, entschuldige bitte. Ich wollte dich nicht umbringen. Ich freue mich nur so, endlich meine kleine Schwester wieder in die Arme schließen zu können.“
Glücklich strahlt er mich an. Er macht ein wenig den Eindruck auf mich, als würde er etwas im Schilde führen. Es gibt immer etwas, was in ihm vor sich geht. Deswegen kann ich mich auch täuschen.
Ungefähr so, wie bei Lana. Ich ziehe es vor, diese Worte für mich zu behalten.
„Ich freue mich auch.“ Während ich spreche huschen meine Augen immer wieder hin und her. Auch wenn ich es nicht will, so halte ich dennoch Ausschau nach seinem Freund.
Innerlich versuche ich mich vorzubereiten, auch wenn ich aus Erfahrung weiß, dass man das bei seinen Freunden nicht kann. Sie haben alle eine große Klappe und vor allem prügeln sie sich genauso gerne, wie sie sich besaufen.
Ich muss mich korrigieren, man kann sich darauf vorbereiten. Das heißt aber nicht, dass ich das gerne mache.
Doch nachdem ich meinen Blick durchs Wohnzimmer habe gleiten lassen, stelle ich fest, dass von ihm weit und breit bis jetzt nichts zu sehen ist.
Ich kann nicht sagen, ob ich erleichtert darüber bin, oder nicht. Es ist nämlich so, je eher ich weiß, worauf ich mich einstellen muss bei ihm, umso besser ist das für mich und meinen Seelenfrieden. Doch nun kann ich eh nichts daran ändern, sodass ich mich wieder auf Mason konzentriere, der noch immer vor mir steht.
„Ich habe nicht gedacht, dass du schon da bist. Ich bin davon ausgegangen, dass du erst heute Abend hier sein wirst“, erkläre ich also. Schnell stelle ich meine Tasche auf dem großen Tisch ab, der ein paar Schritte von der Tür entfernt steht.
„Wir sind schon früher losgefahren. Wir haben gedacht, dass wir immerzu im Stau landen werden und wollten nicht erst heute Nacht ankommen. Man könnte auch sagen, dass wir selber überrascht darüber sind, dass wir schon hier sind.“ Mason zuckt mit den Schultern und vergräbt die Hände in den Hosentaschen.
„Ganz so war es nicht. Er ist davon ausgegangen. Ich habe gewusst, dass wir schnell hier sein werden“, ertönt in der nächsten Sekunde eine weitere männliche Stimme, die ich nicht zuordnen kann. Was ich aber sofort weiß ist, dass sie mir eine Gänsehaut über den Körper jagt. Außerdem sorgt sie dafür, dass mein Herz beginnt schneller zu schlagen und mein Mund trocken wird. Alles Reaktionen, die ich überhaupt nicht gebrauchen kann.
Im ersten Moment weiß ich nicht, wie ich darauf reagieren soll. Deswegen versuche ich mich wieder in den Griff zu bekommen. Erst als ich mir sicher bin, dass man es mir nicht sofort ansieht, hebe ich langsam meinen Kopf. Es dauert nicht lange, bis ich mir wünsche, dass ich genau das nicht getan hätte. Um genau zu sein wünsche ich mir sogar, dass ich einfach hochgegangen wäre, als ich die Chance dazu hatte.
Dafür ist es nun aber zu spät.
Mit geschmeidigen Bewegungen, die mich an ein Raubtier erinnern, kommt er auf mich zu und bleibt nur wenige Meter von mir entfernt stehen. Frech grinst er mich an. Doch das ist nicht das Einzige, was mir an ihm sofort auffällt. Um genau zu sein, ist es sein gesamtes Auftreten.
Er ist groß und muskulös. Sein schwarzes Shirt ist so eng, dass die Muskeln, die sich darunter befinden, einem sofort ins Auge fallen. Seine ebenfalls dunkle Jeans sitzt tief auf seinen Hüften, sodass man ein Stück seiner Boxershorts erkennen kann. Und seine Füße stecken in schweren Stiefeln.
Alleine dieser Anblick reicht schon aus, dass ich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Mein Mund öffnet sich sogar ein Stück, da es mir so vorkommt, als würde ich nicht genug Sauerstoff bekommen. Mir ist sehr wohl bewusst, dass mein Bruder direkt neben mir steht und ich es mir alleine deswegen schon verkneifen sollte, mich wie ein kleines Kind zu verhalten.
Doch ich kann es nicht. Auch dann nicht, als ich mir vor Augen halte, dass es sich bei ihm um einen Freund von Mason handelt.