BÄR: CHIMÄRA. Michael Nolden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Nolden
Издательство: Bookwire
Серия: BÄR - Die seltsamen Abenteuer des Kootenai Brown
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754171875
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den Drachenzähnen in die Tiefe geklettert. Betongänge, solide Treppen, Beleuchtung mittels Leuchtröhren, allein das war mehr, als ich erwartet hatte. Auf vereinzelten Etagen führten Verbindungsröhren zu weiteren finster daliegenden Räumen, über deren Zweck mich keiner aufklärte. Nach mehreren Minuten stillen Gehens sagte ich: »Das mit dem Wasser war eine dumme Frage von mir. Die Wüste – da gibt es bestimmt nichts zu teilen. Wenn Sie mir mit Ersatzteilen aushelfen, dann ...«

      In der nächsten Sekunde umrundeten wir eine mächtige Säule, und ich wurde geblendet von tausendfach gespiegelten Lichtern. Ein Portal gab den Weg zu einer glitzernden Wasserfläche frei, genau unter uns, vier, fünf Meter entfernt, so breit und so lang, dass ich unseren Leichten Frachter darin hätte versenken können. Ein bogenförmiges Dach schirmte das Bassin nach oben hin ab. Seltsam mythisch anmutende Architektur begrenzte die Wassermassen. Überall strahlten die Leuchtröhren. Die Tiefe des Beckens abzuschätzen, ließen sie aber nicht zu. Nach maximal einem Meter gähnte eine beängstigende Schwärze. Die flößte selbst mir Angst ein, obwohl ich das All durchflog. Aber so viel Wasser auf einem Haufen hatte ich noch nie gesehen. Meine Schwimmlektionen hatte ich in Tümpeln und Schwimmhallen absolviert.

      »Beeindruckend«, flüsterte ich unbewusst.

      »Nicht wahr?«, entgegnete Babbellies. »Etwas Wasser können wir entbehren.« Stolz glitt ihr Blick über das Reservoir. »Vielleicht können Sie uns auch helfen.«

      Die Frau erzählte davon, dass die Drachenzähne seit mehr als zehn Generationen im Besitz der Kolonne 50 war. Man hatte sie nach einer Völkerwanderung durch Zufall entdeckt, einen guten Schutz gegen Sandstürme dort vermutet und sich vorübergehend niederlassen wollen. Bis ein Paar für ein Stelldichein ein Versteck suchte und durch eine dünne Schicht Sand brach. Man fand sie mit gebrochenem Genick auf einer aus einem groben Block herausgeschlagenen Treppe. Die Gemeinschaft hängte für die Toten an eben jenem Flecken eine Gedenktafel auf. – Wenn ich es bedenke, ist der Mars voll von solchen Tafeln. – Das Wasser verbesserte ihr Leben sondergleichen. Sie produzierten Strom über Wasserkraft, legten unterirdische Farmen an. Vom UV-Licht bestrahlt, sprossen von alten Kulturpflanzen gerettete Samen aus extra angemischten Böden und Nährlösungen. Man erweiterte die unterirdischen Kavernen, schuf Platz für einen wachsenden Verbund. Die Kolonne 50 wurde zu einem Ort des Handels und der Begegnung. Das weckte irgendwann Neid. Es gab Überfälle. Beim Gedanken daran stieß Babbellies ein freudloses Lachen aus. Sie wehrten sich erfolgreich. Bis heute. Doch Menschen waren nicht der einzige Feind. Die Zeit fiel langsam ins Gewicht. Die Anlage war alt. Was ich als Zisterne zu Gesicht bekam, war nie als solche gedacht gewesen.

      »Ein Fluss fließt unter uns. Wir wissen nicht, wie tief unter uns. Er steigt hoch, füllt das Reservoir. An einigen Durchbrüchen oben, nur wenig unter dem Wasserspiegel, haben wir Wasserräder eingebaut. Für die Stromgewinnung. Seit ein paar Wochen sinkt das Wasser. Es muss weitere Durchbrüche geben. Das Wasser versickert.« Ihr Blick war durchdringend, einen Lidschlag lang war Hilflosigkeit darin zu sehen. »Oder der Fluß versiegt. Das wäre das Ende.« Sie klopfte mit den Fingern auf ein Geländer. »Falls es Durchbrüche sind, können sie repariert werden. Unsere Mittel für Tauchgänge sind beschränkt. Wenn Sie ...«

      »Ich kann«, sagte ich schnell, denn ihr Gesuch kam mir sehr entgegen. Ich tippte an meine Maske. »Das eignet sich zum Tauchen. Mit ein, zwei kleinen Erweiterungen. Wenn Ihr Reservoir undicht ist, finde ich den Schaden.«

      »Danke.« Das Wort knackte aus dem Übersetzungsgerät.

      »Danken Sie mir nicht zu früh«, erwiderte ich. »Ich habe ebenfalls eine Bitte.« Mein Bericht über unseren Wüstenfund geriet militärisch knapp.

      Alsbald gab sie mir zu verstehen, wie sehr sie bereits über all diese Ereignisse informiert war. »Wir lassen niemanden unbemerkt in unsere Nähe. Wir haben Späher, Verstecke im Wüstensand. Bunkeranlagen aus alter Zeit, mit denen wir in Verbindung stehen. Sie wurden lange vor Ihrer Ankunft gesehen.«

      Ich erzählte ihr von dem Mädchen, von dem ich hoffte, es werde bei ihr, den freundlichen Leuten, ein Zuhause und Schutz vor den Karawanenreitern finden.

      Babbellies bekräftigte, dass sie sich auf das Kind freue, dass sie bei ihnen besser aufgehoben sei als in der Glut der Wüste. Kinder seien selten in der Kolonne 50 und dringend gewünscht, sicherten sie doch auf Dauer den Bestand der Drachenzähne.

      Ihre mit aufrichtig erfreuter Miene vorgebrachten Sätze aus der Übersetzungsbox erfüllten mich mit Zuversicht und einer gewissen Befriedigung, das Richtige getan zu haben.

      4: RIKTER-CODE

      Den Rest des hellen Tages verbrachte ich in den Drachenzähnen, weitestgehend allein, nur von einem Mann bewacht, der mir ziemlich dezent hinterherging. Ich sah mich im Reservoir um und erklärte es als Vorbereitungen auf den Tauchgang am kommenden Tag. Ein tragbarer Scanner lieferte erste brauchbare Ergebnisse über den Zustand und die Tiefe der Zisterne. Einhundertfünfzehn Meter und mehr weitete sich das Bassin nach unten aus. Einige Stellen reichten weiter runter als andere. In den unheimlichen Seiten, neben säulenähnlich aufgebauten Wänden, waren große Glaspartien eingefasst. An die musste ich heran. Außerhalb waren sie abgeschirmt von einer Zementmasse. Einige dieser Schutzwände waren brüchig und nicht sehr dick. Dahinter drückte der allgegenwärtige Sand gegen das Gemäuer.

      Abends, zurück auf der SCHILDKRÖTE III, überflog ich die gesammelten Daten im Cockpit und wurde durch die geöffneten Sichtluken Zeuge eines Disputs zwischen Babbellies und dem Anführer der Karawane. Lautstark, einer brüllte den anderen an, seltsamerweise setzte sich die Frau durch, wortgewandt. Bis der Mann einen Säbel zog, geschickt in der Luft herumwirbelte und damit ihr Gefolge auf Abstand hielt. Dann geschah irgendeine Art der Einigung. Abschließend kreuzten sie ihre Unterarme und verbeugten sich.

      »Man kennt sich«, kommentierte Jiminy.

      »Ja, komisch«, meinte ich nachdenklich. »Sie schien mir nicht so angetan von diesem Nomadenstamm.« Nach einem Schulterzucken: »Na, sie kommen nicht auf den Gedanken, das Kind an sie zurückzugeben.«

      Die Karawanenleute luden frisch gefüllte Wasserbehälter auf, brachen vor einem brennenden Sonnenuntergang ihr Lager ab und stapften, geschaukelt vom seemännischen Schwanken ihrer Kamelartigen, davon.

      »Du hast den RIKTER-CODE lokalisiert?«, fragte mich der Roboter.

      »Er ist hier«, antwortete ich und deutete auf einen Punkt in der holografischen Nachbildung der Zisterne. »Das Glas zu entfernen, wird mir nicht möglich sein. Nicht unter Wasser. Scannen, so genau es geht, mehr ist nicht drin. Zeile für Zeile.«

      »Die Farben sollen genau erfasst werden«, betonte Jiminy. »Und selbst dann – der Code wurde nie geknackt.«

      »Unser Auftraggeber bekommt, wofür er bezahlt, den Code, nicht das Fenster«, erwiderte ich. Der Anblick, allein in der miniaturisierten und nur angedeuteten Darstellung der elftausendzweihundertunddreiundsechzig Farbquadrate, verwirrte mich. Sie sollten sich aus zweiundsiebzig Farben zusammensetzen. Jemand auf Luna glaubte, ein für die Marsianer lebenswichtiger Code verstecke sich dahinter. Das behauptete eine zweifelhafte Überlieferung. Genaue Bilddaten des Codes waren über die Jahrhunderte verloren gegangen. »Das war ein – ein was war das?«, wollte ich von Jiminy wissen.

      »Ein Kirchenfenster.«

      Eine nüchterne Feststellung der Roboter-KI, die mir nicht weiterhalf. »Kirche?«

      »Ich habe alte Verkehrswege eruiert. In deren Zentrum stand ein Dom, eine sehr große Kirche. Ein Tempel für eine einzige Gottheit.« Eine diagnostisch vorgetragene Erklärung angesichts des heiklen Wesens dieses Bauwerks.

      »Ein Tempel für eine einzige Gottheit«, wiederholte ich. »Wie barbarisch.« Unter Jiminys gestrengem Blick wanderten meine Schuhsohlen auf das Kontrollpult. Lang ausgestreckt betrachtete ich die hereinbrechende Nacht. Einen ähnlichen Lichtwechsel hatten wir seit Wochen nicht mehr gesehen. »Ich sollte schlafen«, sagte ich, obwohl ich mich an diesem einfachen Naturereignis kaum sattsehen konnte.

      »Geh schlafen«, empfahl der Roboter, zwei optische Einheiten über kreuz gelegt,