Pyria. Elin Bedelis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elin Bedelis
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940136
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nickte mit einem dicken Kloß im Hals und versuchte, sich diese Worte ins Gedächtnis zu brennen. Auch Kory nickte zögernd und die Angst in ihren Augen hatte nur noch zugenommen. Die Harethi selbst ballte eine Hand zur Faust, um sie am Zittern zu hindern. »Wieso gibt es hier eine Stadt? Leben dort Dämonen?« Das Wort allein reichte aus, dass ihr das Herz in die Kniekehlen rutschte. Erneut erinnerte sie sich an die dunkle Gestalt in ihrem Schlafzimmer und dass Machairi behauptet hatte, es habe sich nicht um einen Dämon gehandelt.

      »Hier gibt es nichts, was die Bezeichnung ‚Leben‘ verdienen würde.« Da. Da war eine Emotion auf seinen Zügen. Nur für einen Bruchteil einer Sekunde und doch eindeutig flatterte Abscheu über sein Gesicht, bevor die glatte kalte Entschlossenheit zurückkehrte. »Die Stadt ist für die Toten. Die Verdammten und Verlorenen gehen hier ihren Aufgaben nach.« Dieses Mal schlich sich keine Emotion in Machairis Kälte, aber sie glaubte ihm trotzdem anzusehen, wie sehr ihm dieser Ort missfiel. Er sah nicht aus wie ein Heimkommender. Es wirkte mehr, als wolle er in den Kampf ziehen.

      »Aufgaben?«, fragte Kory überrascht und es war das erste Mal, dass sie tatsächlich etwas sagte, was die Grenzen ihrer Schwermütigkeit überschritt. »Jene, die nicht in der Gnade der Götter stehen, sollen doch hier gefoltert werden, oder nicht?« Das hörte sich schon wieder mehr nach der geschwollenen Ausdrucksweise der Prinzessin an oder aber als habe sie es geradewegs aus einem Text der Zylonkirche zitiert.

      »Nicht jede Folter wird in einer Folterkammer mit Peitschen und Streckbänken ausgeführt«, antwortete Machairi und blickte erneut der Stadtmauer entgegen. »Unendlichkeit in eintöniger Ausführung einer verhassten Arbeit ohne Ausweg, Ablenkung oder Amüsement ist eine ganz eigene Art von Folter.«

      Das klang tatsächlich grausam, auch wenn Leén ebenfalls erwartet hatte, dass die Strafe mit dem Vergehen zusammenhing. Doch vielleicht war der Sinn der Unterwelt gar nicht, zu vergelten, sondern einfach nur zu strafen. »Was passiert, wenn man sich weigert oder doch irgendeine Form von Vergnügen sucht?«, fragte sie, obwohl sie nicht sicher war, ob sie die Antwort hören wollte.

      »Die Konsequenzen für Verweigerung willst du hier ebenso wenig tragen wie oben und was dich erwartet, wenn du wegläufst, hast du ja gesehen.« Er deutete auf die leere Weite, aus der sie gekommen waren. Die Frage nach der Freude ließ er unbeantwortet, aber vielleicht konnte sie sich das auch selbst denken. Schließlich wirkte es unmöglich, die drückende Verzweiflung abzuschütteln. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass man sich je daran gewöhnte, und es war gut möglich, dass sich jede gefundene Freude augenblicklich ins Gegenteil kehrte. Die Stadt machte ihr Angst, aber skurrilerweise war sie fast neugierig zu sehen, wie die Dinge hier liefen. Wenn sie die Wahl gehabt hätte, hätte das niemals ausgereicht, um sie in diese Stadt zu bringen, aber es reichte jetzt, um sie nicht zur vollen Verzweiflung zu bringen. Deshalb nickte sie und straffte sich, allen Mut zusammenklaubend, den sie noch hatte, und bereitete sich darauf vor, Machairi in die Stadt der Lügen zu folgen.

      Kory sagte nichts weiter, aber auch sie schien in der Lage, sich zusammenzureißen, als sich ihre beiden Reisegefährten wieder in Bewegung setzten. Leén beschloss, weiterhin ein Auge auf das Mädchen zu haben. Sie war schließlich erst fünfzehn. Es war sicher leichter, sie mit gesäuselten Worten und falschen Versprechungen hinters Licht zu führen. Leén selbst hatte sich vorgenommen, einfach nicht zuzuhören, egal was gesagt wurde.

      Sicheren Schrittes trat Machairi auf das Tor zu. Er hatte nicht erwähnt, wie sie hindurchkommen sollten. Beinahe glaube sie, schon am Tor auf den ersten Ärger zu treffen, aber er schritt unbeirrt weiter auf die geschlossene Pforte zu. Ohne dass er auch nur klopfen musste, schwangen die Flügel des Tores auf und gaben den Weg frei. Völlig unverhofft hallte ihr plötzlich eine fast vergessene Stimme durch den Kopf. Kratzig und rau war sie gewesen und die alte Frau hatte mehr Sinnlosigkeiten von sich gegeben, als dass sie tatsächlich etwas Zielführendes gesagt hatte, aber trotzdem echote Leén in diesem Moment eines von Guras Worten durch den Kopf. Schattenprinz.

      Tatsächlich schien sich die Dunkelheit nach ihm auszustrecken, ein Effekt, den sie schon häufiger beobachtet hatte. Er verschmolz mit dem Schwarz der farblosen Welt um sie herum und für einen kurzen Moment war sie doch wieder sicher, dass er Ebos‘ Sohn sein musste. Es klang wie ein dummes, abergläubiges Gerücht, aber sie waren in der Unterwelt und Gerüchte enthielten doch auch immer einen wahren Kern. So kostete es mehr Überwindung als erwartet, sich wieder in Bewegung zu setzten und dem Schatten durch das Tor der Stadt zu folgen.

      Leén hatte noch nie einen vergleichbaren Ort erlebt. Wie schwerer Regen hingen Niedergeschlagenheit und Gram in der Luft. Es deckte sich über die ganze Stadt und ließ die grauen Häuser noch trister erscheinen. Die geraden Straßen, die sich gesäumt von gleichförmigen Häusern vor ihnen erstreckten, erinnerten an Kefa. Doch selbst die enge Hauptstadt Cecilias, die für Leén eindrucksvoll, aber auch beängstigend gewesen war, war mit ihren grauen Steinen freundlicher als diese Stadt. Noch immer gab es keinen einzigen Farbklecks. In der Ödnis hatte sich das Auge an die vielen Graustufen gewöhnt, aber hier, wo es hätte Farben geben müssen, war es zum Verrücktwerden. Außerdem war es schrecklich still für so eine große Stadt. Die seltsame Akustik der Unterwelt blieb ungenutzt und nur selten trug der Hauch eines Flüsterns an ihre Ohren. Es war windstill wie schon in der Steppe und obwohl gelegentlich die ein oder andere Person über die Straßen eilte, hätte es sich ebenso gut um eine Geisterstadt handeln können. Hier wohnte Traurigkeit. Es löste seltsame Beklemmung in ihr aus, diese bedrückten Menschen zu sehen. Die Harethi hatte sich gefragt, ob sie nicht auffallen würden, wenn sie mitten durch eine Stadt liefen. Sie hatte gedacht, dass die Menschen sie erblicken und in wildes Getuschel ausbrechen oder sie gar direkt ansprechen würden, aber sie wurden kaum eines Blickes gewürdigt. Den meisten Leuten schien ihre Anwesenheit geradezu egal zu sein.

      Taube Niedergeschlagenheit schloss sich noch fester als zuvor um Leéns Herz und sie fühlte sich, als könnte sie augenblicklich in Tränen ausbrechen. Die Ängste, die sie auf dieser Reise mit sich trug, waren nur noch gewachsen und ihre vorher aufgekommene Neugierde war zerbröckelt. Sie konnte sich kaum mehr dazu motivieren, sich umzusehen, anstatt einfach auf die Kopfsteinpflasterstraße hinabzublicken. Das Tor hatte sich hinter ihnen geschlossen und weckte zusätzlich zur tiefen Traurigkeit ein Gefühl der Ausweglosigkeit. Leén glaubte nicht, dass sich das Tor wieder so leicht für sie öffnen würde, wenn sie die Stadt verlassen wollten. In der Ferne, ähnlich wie in Kefa, erhob sich eine gewaltige Festung, die noch erdrückender über ihnen thronte als die Mauer. Schwarze Fahnen wehten an den Türmen, auch wenn es kein Lüftchen zu geben schien, und kalter schwarzer Stein bildete Wände und Zinnen. Wie Wolken oder Schwaden umfing die Dunkelheit jene Festung und ließ keinen Zweifel daran, wer dort residieren mochte. Leén wusste, dass ihr diese Finsternis sonst schrecklich auf den Magen geschlagen wäre und sie das Licht niemals hätte zurückhalten können. Doch Licht schien so fern an diesem Ort, dass nicht einmal die stärkste Finsternis es zu rufen vermochte.

      Mit schwerem Herzen und Trauer in den Augen schleppte sie sich durch die Straßen, achtete kaum mehr auf Koryphelia, der die Tränen über die fahlen Wangen rannen. Während sie durch diese lieblose Welt voller Unheil und Gram liefen, verstand Leén, weshalb niemand hier Freude zu spüren vermochte. Noch nie hatte sie etwas derartig Niederschmetterndes erlebt und je länger sie hier waren, desto mehr drängten sich Erinnerungen auf. Sie wirbelten durch ihren Kopf und zwangen sie unaufhörlich, sich an Dinge zu erinnern, die sie lieber in sich verschloss. Der Tod ihrer Mutter. Die Gefangennahme ihres Vaters. Der Hunger im Bienenstock. Der Hass, der ihr so oft wegen ihrer Herkunft entgegenschlug und die Angst, die sie seit einiger Zeit kaum mehr ablegen konnte. So gut sie konnte, verbannte sie jeden Gedanken, drückte sie dahin zurück, wo sie hergekommen waren. Mehr und mehr wühlte sie selbst ihr Inneres auf und doch schien es nichts zu geben, was sie dagegen tun konnte. Sie reihte sich ein in den schwermütigen Reigen, der diese Stadt in seinen Bann riss. Endlos und schwer, gezeichnet von dem Horror, den hunderte Menschen in ihrem Leben erlebt hatten und jeden Tag aufs Neue rekapitulierten, während die Erinnerungen an glückliche Zeiten verblassten, das Grau der Stadt annahmen und zu nichts als Rauch wurden.

      Die Menschen, an denen sie vorbleiliefen, während Machairi sie zielsicher durch die farblosen Straßen führte, blickten sie mit der gleichen Traurigkeit an. Verzweiflung und Schmerz hatte tiefe Furchen auf alle Gesichter