Peinlicher Weise wechselte der Monitor just in diesem Moment in den Bildschirmschoner, ein farbenfrohes Logo unserer Bausparkasse. Er ist auf fünf Minuten eingestellt. Hektisch klickte ich die vernachlässigte Eingabemaske für Kundendaten zurück, tat professionell beschäftigt und murmelte: „Du irrst dich. Die Beziehung liegt weiterhin auf Eis.“
Meine Freundin zog als Konsequenz vieldeutig eine Augenbraue hoch. Durch diese akrobatische Muskelleistung bekommt ihre Mimik immer so eine hellseherische Komponente. Unbedarfte Gesprächspartner verunsichert sie damit regelmäßig.
Mir vermochte Mona an diesem Morgen aber kein Geständnis zu entlocken. Ich bemühte mich stattdessen, dermaßen bedeutungsleicht dreinzuschauen, dass meine Pupillen bereits zu schielen anfingen.
Ganz überzeugen konnte ich sie freilich nicht.
„Schade, ich hätte gewettet, dass eine rauschende Versöhnungsorgie hinter euch liegt.“ Sichtlich widerwillig begab sie sich an ihren Schreibtisch zurück.
Den restlichen Vormittag wurde ich von lauernden Blicken bombardiert. Meine Konzentration ging dadurch vollends vor die Hunde. Doch ich versuchte mich wenigstens rein äußerlich zusammenzureißen, um dem Bildschirmschoner keine Chance mehr zu geben.
Sämtliche schauspielerischen Bemühungen scheiterten allerdings, als Florian das Büro betrat und wie zufällig vor meinem Arbeitsplatz stehenblieb.
Er sah heute nicht besonders frisch aus und sein aschblondes Haar ließ das übliche Styling vermissen. „Warum reagierst du eigentlich nicht auf meine Nachrichten?“, erkundigte er sich und hielt mir, um Eindeutigkeit bemüht, sein nagelneues Smartphone unter die Nase.
Mich umgab sogleich ein edler Hauch von Hugo Boss, kleidungs- wie parfümtechnisch. Mein Freund bedient ungern das Image des kernigen Naturburschen und wirkt in der Regel wie aus dem Ei gepellt, auch in seiner Freizeit. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er überhaupt eine Jogginghose besitzt.
Heute bot er jedoch ein Bild des Jammers, was mich sofort in die Defensive drängte. „Sorry. Ich habe gestern mein Handy zuhause liegen lassen“, entschuldigte ich mich fast automatisch. Eigentlich sollte er dieses Argument kennen, denn es führt meine Hitliste an. Gefolgt von „Mein Akku war leer.“
„Und wo warst du den ganzen Tag?“
Prinzipiell ging ihn das zwar nichts an, aber da ich ein wohlerzogenes Mädchen bin und anderen Menschen ungern Kummer bereite, antworte ich auf mir gestellte Fragen. „Bei meiner Oma.“
Zu Beginn unserer Freundschaft war Florian einmal mit ins Pflegeheim gegangen. Doch der Besuch hatte in einem Fiasko geendet, weil meine Großmutter Angst vor ihm bekam. Und das, obwohl er sie mit ausgesuchter Freundlichkeit behandelt hatte und sich sogar breitschlagen ließ, am Klavier alte Kirchenlieder zum Besten zu geben. Anschließend war eine ganze Traube andächtiger Damen und Herren um ihn herumgestanden und die Pflegerinnen hatten gefragt, ob er in Zukunft öfter kommen wolle. Dennoch war Oma die ganze Zeit damit beschäftigt gewesen, mich von ihm abzudrängen. Wie eine Vogelmutter, die den Feind vom Nest ihres Nachwuchses wegzulenken versucht.
„Machen wir nachher zusammen Mittagspause? Ich muss mit dir reden.“
Das klang nur begrenzt nach einer offenen Frage, der man mit einem klaren „Nein“ begegnen konnte. Außerdem tue ich mich mit Absagen grundsätzlich schwer. Dies kombiniert mit einem unterschwelligen Helferkomplex hat mir bereits ehrenamtliche Aufgaben in der Kirchengemeinde, bei der Flüchtlingsarbeit und am Arbeitsplatz verschafft. Wahrscheinlich beruht sogar meine lausige Beziehung zu Florian auf diesem Problem.
Mit einem „Es wird nichts ändern“, versuchte ich wenigstens etwas Standfestigkeit zu beweisen, die bei seinem nächsten Satz aber sogleich ins Wanken geriet. „Ich kann seit Wochen nicht mehr richtig schlafen.“
„Na gut, um zwölf.“
Seine Gesichtszüge belebten sich sichtlich und verloren ihren trauerummantelten Flor. Dass er nicht pfeifend den Raum verließ, war alles.
„Und wieder einmal hast du einen Menschen glücklich gemacht“, kommentierte Mona, die uns von ihrer Fernwarte, zwei Arbeitsplätze weiter, beobachtet hatte.
Es fehlte nicht viel und ich hätte meine kümmerliche Grünlilie, die auf meinem Schreibtisch für Wohlfühlatmosphäre sorgen soll, nach ihr geworfen.
Eine Stunde später saß ich an einem elitären Tisch in der oberen Etage unserer Cafeteria meinem Freund gegenüber. Die Ausstattung dort ist ganz in Marmor, Chrom und Glas gehaltenen und soll die Finanzkraft unseres Arbeitgebers untermauern und zugleich die Transparenz des Unternehmens demonstrieren. Florian passt haargenau hierher, vom schicken Anzug angefangen, über sein normalerweise gestyltes Äußeres, bis hin zur Designer-Armbanduhr. Darum hat er es auch innerhalb kürzester Zeit zum Teamleiter gebracht. Mir dagegen flößt dieses noble Umfeld latentes Unbehagen ein und degradiert mich zur linkischen Außenseiterin. Zumindest schaffe ich es seit fünf Jahren nicht, mich in dieser Hochglanzwelt heimisch zu fühlen.
Von dem abgesehen bereute ich gerade bitter meine Inkonsequenz, obwohl zwei Tabletts mit leckerem Kantinenessen zwischen uns standen.
Florian gelobte Besserung. Gleichzeitig versuchte er nach meiner Hand zu greifen, als sichtbares Zeichen, dass nun alles wieder gut sei und wir zusammengehörten. Weil der Versuch scheiterte, fragte er ersatzweise, ob er heute Abend mit in den Gesprächskreis könne. Die letzten Male hatte er zu meiner Erleichterung gefehlt.
Eigentlich finde ich es wenig bis überhaupt nicht sinnvoll, eine Gruppe durch ein sich in der Krise befindliches Paar zu belasten. Alternativ selbst wegzubleiben, wäre jedoch noch unfairer gewesen, weil ich vor einer Stunde versprochen hatte, die Leitung des Thementeils zu übernehmen.
„Das ist deine Entscheidung, Flo. Privat möchte ich mich aber zurzeit nicht mit dir treffen“, erklärte ich, meinen ganzen Mut zusammennehmend.
Florian schaute mich entgeistert an. „Wieso?“
„Ich muss mir über einiges im Klaren werden.“ Ich-Botschaften zu senden, ist das einzig Richtige in einer solchen Situation. Diese Technik der Gesprächsführung gehört bei jedem Coaching zum Basis-Wissen und wird auch in Volkshochschulen an Rentner und Hausfrauen vermittelt.
„Ich liebe dich, Ronja. Wenn du mehr Verbindlichkeit in unserer Beziehung brauchst, könnte ich das durchaus verstehen,“ sprach daraufhin das personifizierte Verständnis. Seine professionell manikürten Hände schoben sich erneut in meine Richtung. So weit, dass sie sich ohne Probleme aus meinem Teller hätten bedienen können. Dieser stand ohnehin verwaist da, weil meine eigenen Finger reflexartig unter den Tisch abgetaucht waren, um sich dort nervös ineinander zu verflechten. Ich war wild entschlossen, diesmal nicht einzuknicken. Bevor ich mich leichtfertig einer seiner üblichen Charmeoffensiven ergeben würde, wollte ich lieber in Reichweite einer Portion Kalbsgeschnetzeltem mit Zürcher Rösti verhungern.
Verrückt. Vor weniger als zwölf Stunden waren die Worte „Ich liebe dich“ schon einmal gefallen, obwohl sie nicht mir gegolten hatten. Wenn dieser jemand jetzt anstelle von Florian hier sitzen und mich wie Marie in der Nacht anlächeln würde, hätte ich vermutlich ohne jegliches Zögern „ja“ gesagt.
Ich weiß, dass mein Innenleben nicht immer realistisch geeicht ist. Das zu Herzen gehende Eheversprechen mit der Berufung auf Gott hat wohl eine unbekannte Saite in mir zum Klingen gebracht und klammheimlich neue Maßstäbe gesetzt. Die Person, die gerade am anderen Ende meines Tisches saß, war aber Welten von diesen entfernt und wenn schon keine Welten, dann mindestens einhundert Jahre.
„Du hast jemanden kennengelernt“, wurden meine abstrusen Gedankengänge unsanft unterbrochen. Florians Hände befanden sich merklich auf Rückzug, genau wie sein wohlwollender Gesichtsausdruck.
Meine weltfremden Phantasien standen mir offenbar regelrecht ins Antlitz geschrieben. Deswegen verzichtete ich auf jedwede Erklärungsversuche, vermied es sogar, mich zu verteidigen, sondern meinte nur: „Und wenn es so wäre?“ Rückfragen sind