Traum-Zeit. Josie Hallbach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Josie Hallbach
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183755
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ging allerdings der Humor ab, um diesen Anblick lustig finden zu können.

      „Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Es dünkt mir nur sinnvoll, bei dieser Kälte wenigstens die Zugluft aus unserer Lagerstatt zu verbannen.“ Er nahm mit der einen Hand den Leuchter vom Nachttisch und schob mit der anderen die restlichen Stoffbahnen zusammen, so dass eine Art Zelt entstand, in dessen Innern ich mich befand, allein… momentan… noch.

      Der Gedanke an Flucht drängte sich mir regelrecht auf. Weil ich jedoch nicht wusste, ob ich auf eigene Initiative überhaupt einen Finger krümmen konnte, er mich mit Sicherheit bereits vor der Zimmertür eingeholt hätte und ich keine Ahnung besaß, was mich hinter diesem Raum erwartete und in Träumen so ziemlich alles möglich sein kann, verwarf ich die Idee rasch wieder. Ein weiteres, Flucht hemmendes, Argument war, dass ich nur dieses kratzige, völlig unzureichende Spitzenteil ohne jegliche Schutzunterwäsche trug. Das entspricht keinesfalls meinen sonstigen Gepflogenheiten. Ich bin eine konsequente Befürworterin von Schlafanzügen.

      Der Kerzenständer wurde nun auf dem Nachttisch der anderen Bettseite abgestellt. Dort blieb der weiße Riese stehen und musterte mich, als müsse er überlegen, was er als Nächstes tun solle. Da er unzweifelhaft männlich war, würde ihm die Idee sicher schnell kommen und ich ahnte, in welche Richtung sie gehen dürfte. Mona hat mich im vergangenen Jahr hinreichend darüber aufgeklärt. Männer können nicht anders. Sie brauchen das. Deswegen darf ich Florian auch nicht böse sein. Die Schuldige bin sowieso ich, weil ich ihm die elementarsten Bedürfnisse vorenthalte. Wenn jemandes Verhalten nicht normal ist, dann meins. Mit 24 Jahren sollte man keine Jungfrau mehr sein und schon gar nicht, wenn man einen gutsituierten Freund besitzt, der den Religionsspleen mit einem teilt.

      Enden Träume normalerweise nicht an der dramatischsten Stelle? Dann, wenn die tödliche Kugel auf einen zufliegt oder man mitten in ein Rudel blutgieriger Wölfe gerät oder ein Baum von einem Mann über dich herfällt und sich das nimmt, was er denkt, dass ihm als Bräutigam zusteht?

      „Ich will dir etwas kundtun, bevor ich mich zu dir lege, Marie. In der Kirche habe ich öffentlich versprochen, dich zu lieben und zu ehren, bis der Tod uns scheidet. Dem möchte ich mit Verlaub etwas hinzufügen, das nur für deine Ohren bestimmt ist. Ich will dir ein fürsorglicher Kamerad und bedachter Liebhaber werden. Christine, Sophie und unsere künftigen Nachkommen sollen in mir einen verständnisvollen Vater finden. Und deiner Seele möchte ich gern ein Bruder sein, damit wir gemeinsam unserem himmlischen Herrn dienen können.“ Am Ende dieses feierlichen Versprechens schenkte er mir ein fast schüchternes Lächeln, das sein Gesicht förmlich aufleuchten ließ und eine ganze Reihe gesunder Zähne zum Vorschein brachte.

      In einem romantischen Film hätte ich mich garantiert für einen solchen Charakterdarsteller erwärmt. Auch hat noch nie jemand so nette, einfühlsame Worte für mich gefunden. Dennoch war ich hin- und hergerissen. Von dem abgesehen, dass ich nicht im Ansatz wusste, wer diese Christine und Sophie waren. Seine oder etwa meine Kinder? Außerdem macht es einen beträchtlichen Unterschied, schönen Worten zu lauschen oder sich gleich mit einem alles andere als gebrechlich wirkenden Körper konfrontiert zu sehen. Sein jugendliches Charisma sank auf jeden Fall beträchtlich, als er zu mir ins Bett schlüpfte. Sämtliche Alarmglocken begannen zu läuten, laut und eigentlich unüberhörbar.

      Vielleicht hörte er diese tatsächlich, denn vorerst wurde ich nicht berührt. Stattdessen setzte sich der frischgebackene Ehegatte brav mit etwas Abstand an meine Seite und blickte mich abwartend an.

      Ich wollte meinem Nebensitzer an dieser Stelle gern mitteilen, dass dies alles ein Versehen, bessergesagt nur ein Traum war, ich in echt Ronja heiße und darum unmöglich seine Frau sein konnte. Doch natürlich kam keine Silbe über meine Lippen. Ich saß bloß wie versteinert da und hielt meinen Teil der Bettdecke immer noch bis unters Kinn geklemmt.

      „Hat man dir schon jemals gesagt, dass du schön bist?“, hörte ich ihn in die angespannte Stille hinein fragen.

      Das Unerwartete passierte. Meine Lippen öffneten sich: „Das bin ich nie und nimmer.“ Meine Stimme klang merkwürdig. Und sowieso hatte ich das überhaupt nicht gedacht. Warum sagte ich es also? Gut, ich finde zwar, dass es an meinem Körper Verbesserungspotential gibt, aber das diskutiere ich normalerweise nicht in der Öffentlichkeit und gleich gar nicht mit irgendwelchen Fremden, die glauben, mit mir verheiratet zu sein.

      Leider besaß ich wenig Macht über die Regie dieser Szene. Das Einzige, was ich aus freiem Willen tun konnte, war: denken, fühlen und riechen. Bei allem anderen wurde ich zur Statistin degradiert. Ob mich dies aber davor schützte, gleich dem körperlichen Vollzug einer Ehe beizuwohnen, war fraglich. Meine einzige Chance bestand darin, diese Marie, deren Rolle ich einnahm, irgendwie zu überzeugen, dass wir keinen Sex in der Hochzeitsnacht wollten.

      Der Traum begann, leicht schizophrene Züge zu entwickeln.

      Dermaßen in meine nervösen Überlegungen gefangen, hätte ich fast die Fortsetzung des Gesprächs verpasst.

      „Na so was? Dann sind wir in diesem Punkte wohl unterschiedlicher Ansicht, denn ich halte dich für durchaus begehrenswert. Aber du hast Recht, ich muss das natürlich erst nachprüfen.“ Er zwinkerte mir schalkhaft zu. Anschließend kam seine Hand wie in Zeitlupe zu mir herüber und strich vorsichtig eine meiner Locken aus der Stirn.

      Seine Berührung empfand ich wie einen elektrischen Schlag und meine letzten Hoffnungen schwanden dahin. Ich konnte ihn nicht nur spüren, meine Nervenenden befanden sich sogar auf der höchsten Sensibilitätsstufe. Falls ich nicht rechtzeitig aufwachte, würde dies eine erkenntnisreiche Nacht werden.

      „Mir gefällt dein Haar. Wenn man darüberstreicht, fühlt es sich wie kleine Sprungfedern an.“ Der Bräutigam zog neckend an einer Strähne, die sich aus meinem Zopf befreit hatte.

      Diese Definition ist neu. Man hat meine rebellische Naturmähne schon für eine missglückte Dauerwelle gehalten. Meist binde ich meine Haare darum zusammen. Aktuell trug ich sie zu einem Zopf geflochten.

      „Und deine dunkle Haut stört mich mitnichten“, ergänzte er und fuhr mit seinem Zeigefinger über meine Stirn, die Schläfen entlang, rüber zur Nase und von dort bis zum Mund.

      Seine Berührungen erschreckten mich und begannen mir gleichzeitig zu gefallen. Unabhängig davon irritierten mich seine Worte. Ich werde von Freundinnen regelmäßig für meinen südländischen Teint beneidet, den mir ein unbekannter Vorfahr vererbt hat. Vor hundert Jahren sah man dies aber offenbar anders. Mein hellhäutiger Ehemann galt vermutlich als Adonis, während ich ein hässliches Entlein war, denn zu meiner Dauerbräune und der wallenden Mähne besitze ich einen eher schlanken Körperbau mit BH-Körbchen-Größe B, optimistisch veranschlagt. Maries Selbsteinschätzung ergab daher Sinn. Rubens Madonna wird nie als meine Zwillingsschwester durchgehen.

      Durch meinen ästhetischen Gedanken-Ausflug hätte ich fast erneut den Anschluss verpasst. Vielleicht versuchte ich mich aber auch mit aller Gewalt abzulenken, denn der Finger strich mittlerweile sanft die Konturen meiner Lippen nach. Mein Puls schraubte sich dadurch steil nach oben und ich bekam trotz der kühlen Raumtemperaturen Hitzewallungen.

      Jetzt näherte sich sein Mund. Das dazugehörige Gesicht geriet zur Nahaufnahme. Der Bräutigam wartete geduldig bis ich zu ihm hochschaute. Dann nickte er und murmelte: „Doch am schönsten sind deine Augen. Man glaubt, in ihnen zu ertrinken.“

      Ab da war ich verloren. Wenn hier jemand ertrank, dann ich, und zwar in zwei tiefblauen Seen. Selbst für den Fall, dass ich mich hätte retten können, wäre kein Mucks an Gegenwehr mehr von mir gekommen. Weiche Lippen legten sich auf meine und große, warme Hände umfingen meinen Kopf. Man soll beim Küssen besser keine Vergleiche ziehen, aber es war schöner als alles, was ich je in dieser Hinsicht erlebt hatte. Ich schmolz förmlich dahin…

      … bis mir der Atem knappwurde, weil mein zweites Ego beschlossen hatte, keine Luft mehr zu holen. Dies bemerkte auch unser Bettgenosse und brach unvermittelt ab.

      Marie und ich kämpften anschließend um Sauerstoff. Sie schnappte nach Luft und ich empfand sehr eindrucksvoll die dazugehörige Atemnot.

      „Es lag nicht in meiner Gesinnung,