Erleuchtet. Emmi Ruprecht. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emmi Ruprecht
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742791269
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in den dunklen Fluss. Ich überlegte, ob es möglicherweise ganz leicht wäre, wenn man sich erst dazu entschlossen hatte. Täte es vielleicht auch gar nicht weh? Besonders dann, wenn man einiges getrunken hatte wie ich – könnte das nicht der ideale Zeitpunkt sein, um ein Leben zu beenden, welches beim besten Willen keine Perspektive bot? Und außerdem: Was hatte ich zu verlieren?

      „Nichts“, war meine bescheidende Antwort.

      Ich realisierte, dass es mir auf einmal gar nicht mehr schwer fiel, von meiner Zukunft zu lassen, die nicht mehr für mich bereit hielt, als eine Menge Enttäuschungen auf dem Weg in ein trostloses, einsames Rentnerdasein in meiner wohlbekannten Zweizimmerwohnung, die ich bis dahin nicht mehr verlassen würde. Nur, also womit ich immer echt Probleme hatte, wenn sich meine Gedanken tatsächlich einmal mit dieser Thematik befassten: Schmerzen und jegliche Form von Todeskampf waren mir suspekt. Deshalb war es wichtig, so etwas unbedingt zu vermeiden! Mir war klar, dass nur eine angenehme Art, aus dem Leben zu scheiden, für mich infrage käme. Wenn es also schmerzlos und irgendwie auch emotionslos, so ganz ruhig über die Bühne zu bringen wäre – ja, warum nicht? Und warum nicht gleich? Ich könnte mich wenigstens darauf vorbereiten und schauen, wie sich das anfühlen würde ... so ganz unverbindlich ...

      Ich beschloss, mich noch näher an das heranzuwagen, was ich als schmalen Weg die Böschung hinunter inmitten tiefer Dunkelheit erahnte. Mein nächster, vorsichtig tastender Schritt führte schon leicht abwärts. Mann, war das feuchte Gras glatt! Auch der darunter liegende Boden war matschig und bot nicht viel Halt. Da konnte man sich aber leicht um Kopf und Kragen bringen, wenn man hier abrutschte! Vermutlich würde man dann auch noch mit dem Schädel auf einen der Steine aufschlagen, die das Ufer befestigten, wie ich von meinen Erkundungstouren bei Tage wusste!

      Plötzlich hörte ich etwas knacken. Das Geräusch schien von hinter mir zu kommen. Vielleicht ein Zweig auf dem Weg, den ich entlang gewankt war? Aber warum knackte der? Hier knackte doch sonst nichts! Bis auf ab und zu ein leises Raunen im Blätterwald hoch über mir oder ein fernes Auto auf einer der Straßen rund um den Park, war hier nichts zu hören. Vielleicht sollte ich doch mal eben den Kopf wenden und nachsehen, auch wenn mich das überhaupt nicht mehr interessieren musste?

      Ich drehte mich um und merkte in diesem Moment, dass das keine gute Idee war. Der unsichere Stand meiner hohen Absätze auf dem abfallenden Boden, dazu das nachtfeuchte Gras und vor allem drei Caipirinha auf vorwiegend nüchternen Magen ließen jeden weiteren Gedanken zu schmerzlosem Ableben, gefährlicher Uferbefestigung und knackenden Zweigen verstummen. Mit einem Schreckensschrei rutschte ich die matschige Böschung hinab, verlor das Gleichgewicht, meine Beine tauchten ins Wasser ein und mein Kopf schlug unsanft auf etwas Hartem auf. In diesem Moment schoss mir durch den Kopf: „So einfach kann das sein!“

      +

      Als ich erwachte, fühlte es sich an, als wäre eine Ewigkeit vergangen. Um mich herum war es immer noch dunkel. Wo war das Licht, von dem immer gesprochen wurde?

      Dann bemerkte ich über mir eine Gestalt, deren Umrisse sich nur wenig von der mich umgebenden Dunkelheit abhoben und vor meinen Augen verschwammen. „Da steht jemand vor dem Licht, das hinüberführt“, dachte ich. Ich fühlte mich seltsam entrückt und ein bisschen benebelt. Schmerzen hatte ich keine, und auch meine Gedanken schienen endlich zur Ruhe gekommen zu sein. Was für ein herrlich entspannter Zustand! Das war gar nicht so schlecht! Warum hatte ich diesen Schritt nicht schon viel früher gewagt?

      Das Verschwimmen der Bilder ließ langsam nach und ich konnte die Gestalt über mir besser wahrnehmen. Doch ich erkannte nicht mehr als die Umrisse eines Ehrfurcht gebietenden Schädels, der von etwas Hellem umgeben war – einem spärlichen Licht, das von einer Quelle weit hinter der Gestalt zu kommen schien. Es sah fast aus ... ja, so sah sicher ein Heiligenschein aus, dachte ich vergnügt ... und ließ mich fallen. Hier war ich richtig! Hätte ich zwei Auswüchse oberhalb der Stirn im Gegenlicht gesehen, hätte mich das vermutlich beunruhigt. Aber diese Gestalt ... mit Heiligenschein ... bewies mir, dass alles gut war. Hier war ich in Sicherheit!

      „Bin ich im Himmel?“, fragte ich mit leiser Stimme. Ich fühlte mich noch sehr schwach und so herrlich gelöst! „Wie gut. Ich konnte einfach nicht mehr“, meinte ich erklären zu müssen, als der Wächter vor dem Himmelstor immer noch nichts sagte. Aber ich spürte, dass er mich verstand, denn eine Hand strich mir vorsichtig über die Stirn. Vielleicht war das so etwas wie ein Segen für Neuankömmlinge?

      Plötzlich hörte ich von Ferne Musik an- und wieder abschwellen. Bald gesellten sich bunte Lichter dazu. Immer wieder fielen mir die Augen zu und ich wollte auch bloß ausruhen. Wann hatte ich mich das letzte Mal so leicht gefühlt? Herrlich!

      Die Gestalt strich mir weiter über die Stirn und sagte etwas, was ich aber nicht verstand. Nur den Klang dieser warmen, tiefen, weichen Stimme hörte ich genau. Was sie wohl sagte? Keine Ahnung. Aber es hörte sich wohltuend beruhigend an. Vielleicht sprach man im Himmel so? Ich würde es sicher auch bald lernen. Nur die Musik – also, ein bisschen nervtötend fand ich sie schon. Waren Harfenklänge wirklich so penetrant? Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie Harfen sich anhörten, aber das war einfach nicht möglich ...

      +

      Als ich das nächste Mal erwachte, hatte sich die Szenerie komplett geändert.

      „Guten Morgen“, rief eine herrische Stimme, und sogleich hörte ich auch irgendwelche Gerätschaften klappern. Ich öffnete die Augen. Unangenehm helles Licht strahlte mir von einer weißen Wand entgegen, die sich gegenüber meines weißen Bettes befand. Ich selbst lag unter einer weißen Bettdecke. Ich schloss die Augen wieder, weil die Helligkeit und ein bisschen auch die Trostlosigkeit dieses Ortes mich blendete. Denn trostlos war das, was ich sah – im Gegensatz zu dem, wie ich mir den Himmel, mein neues Zuhause, vorgestellt hatte.

      Die Stimme, die mich geweckt hatte, fand sich nun neben meinem rechten Ohr wieder. „So, ich muss mal eben Ihren Bauch freimachen. Ist nur ein kleiner Pieks und gleich vorbei.“

      Die zur Stimme gehörende Person zog mir die Bettdecke weg, schob ein Gewand zur Seite, welches meinen Körper bedeckte, griff beherzt in meine Bauchdecke und bevor ich noch irgendetwas tun konnte, spürte ich, wie sie mir eine Nadel in dieselbe bohrte. Diese zog sie nach ein paar Sekunden heraus, bedeckte meinen Bauch, der unangenehm kalt geworden war, wieder mit dem Gewand und warf die Bettdecke über mich. „Ist gegen Thrombose“, erklärte die Stimme. Dann entfernten sich Schritte und eine Tür fiel zu.

      Nachdem die Stille ein paar Sekunden angehalten hatte, traute ich mich, vorsichtig meine Augen wieder zu öffnen. Die Luft schien rein zu sein. Aber wo war ich hier bloß hingekommen?

      Noch immer ziemlich benommen sah ich mich um. Nach und nach fügte sich ein Puzzleteilchen zum nächsten: Das weiße Bett mit der weißen Bettdecke, die weiße Wand, der graue Linoleumfußboden, der praktische Nachttischwagen auf Rollen zu meiner Linken, daneben ein Infusionsständer, der kleine Sperrholztisch mit grauer Tischplatte unter dem Fenster, flankiert von zwei unbequem aussehenden, hellblauen Plastikstühlen, und zu meiner Rechten ein ebensolches Bett wie das, in dem ich mich befand. Erleichtert nahm ich zur Kenntnis, dass es nicht belegt war. Dahinter sah ich hellblaue Einbauschränke und links davon eine Tür, die sicher in eine Nasszelle führte. Jedenfalls hoffte ich das, denn ich wusste – jetzt da mir klar war, dass dies wohl doch nicht der Himmel, sondern ein Krankenhaus war – dass ich irgendwann, vermutlich recht bald, aufs Klo gehen wollen würde.

      Scheiße! Was war passiert?

      Ich versuchte mich zu sammeln. Mein Kopf brummte. Außerdem fühlte er sich anders an als sonst ... irgendwie ...

      Ich hob meine linke Hand und versuchte, mein Gesicht zu berühren. Die rechte brauchte ich, um mich am Bett festzuhalten. Sicherheitshalber.

      Aua! Was war denn das?

      Meine linke Hand schien festzuhängen! Entsetzt schaute ich auf meinen Handrücken und entdeckte die gut zugepflasterte Infusionsnadel, die hineingebohrt worden war, und die zu der klaren Flüssigkeit in dem Beutel am Ständer führte.

      Oh Gott!

      Ich schauderte bei dem Gedanken, wie tief diese Nadel wohl in meiner Ader steckte – die war doch sicher