Erleuchtet. Emmi Ruprecht. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emmi Ruprecht
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742791269
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Verbesserung meiner Lebensbedingungen sorgte und handfeste, nachprüfbare Antworten lieferte. Ein nebulöses Geschwafel mit undurchsichtigen Glaubenssätzen, die sich jeder Überprüfung entzögen, würde mich nicht weiterbringen und ich hatte auch keine Lust dazu.

      Zweitens konnte ich beschließen, einfach weiter vor mich hin zu verbittern, ohne den Sinn des Lebens oder eine Antwort auf die Frage „Warum läuft es nicht besser?“ gefunden zu haben. Wenn ich mir einfach abgewöhnte darauf zu hoffen, dass irgendwann alles gut würde, dass es auch für mich einen passenden Partner gäbe oder eine sinnvolle berufliche Aufgabe, dann konnte ich schließlich auch nicht mehr enttäuscht werden!

      Eine Variante dieser zweiten, ich nenne sie mal „Verbitterungs-Lösung“, bestand darin, mein Leben abzukürzen, weil ich alles Wesentliche schon kannte und den Film nicht bis zum Ende anschauen musste, um zu wissen, was für ein frustrierendes Ende er nahm. Und eines Tages, als gerade niemand von meinen Freundinnen Zeit oder Lust hatte auf einen der üblichen Frustabende mit viel Alkohol, noch mehr Zigaretten und vergeblicher Ausschau nach adäquater Beute in angesagten Bars, und weil der Tag sowieso suboptimal gelaufen war, beschloss ich, diese Variante zumindest einmal näher ins Auge zu fassen.

      Worüber ich nachdachte, bevor ich in den Fluss fiel

      Es war einer jener Abende, den ich unmöglich allein zuhause verbringen konnte. Das furchtbare Gefühl drohte mich zu ersticken, dass meine Zeit gnadenlos ablief. Nur ein beherzter Schritt zur Tat würde mich jetzt noch vor der Talfahrt in die Hölle derjenigen retten können, die während ihres ganzen Lebens keine Spuren auf diesem Planeten hinterlassen hatten. Zwar wusste ich, dass mein Vorhaben riskant war, weil ich in diesem unendlich frustrierten Zustand weder die erforderliche positive Ausstrahlung hatte, um mir eine Bekanntschaft anzulachen, noch das nötige dicke Fell, einen Abend alleine unter Fremden durchzustehen. Aber es musste sein. Schließlich gab es nur die Alternative, allein vor dem Fernseher vor mich hin zu dösen, was unweigerlich dazu führen würde, dass ich mitten in der Nacht erwachen und nicht wieder einschlafen könnte. Und dieses Dahindämmern in der Unendlichkeit zwischen Abend und Sonnenaufgang, wenn die Gedanken nur halb wach sind und umso beängstigendere Bilder der Zukunft fabrizieren, war das absolut Letzte, was ich meinte ertragen zu können.

      Also raffte ich mich auf und fuhr mit dem Rad in meine Lieblings-Cocktailbar. Die Hoffnung stirbt zuletzt! Warum sollte nicht ausgerechnet heute mein Glückstag sein? War nicht vielleicht sogar mein desolater Seelenzustand und die damit einhergehende Hoffnungslosigkeit, mit der ich meine Zukunft betrachtete, ein Garant dafür, dass dies die Nacht der Nächte war, die alles ändern würde? Hieß es nicht immer, wenn man endlich „losgelassen“ hätte, dann würde das ersehnte Glück an die Tür klopfen?

      Wie oft war ich schon von wohlmeinenden Ratschlägen und den dazugehörigen Erfolgsstorys von Menschen genervt worden, die „loslassen“ konnten und deshalb alles erreichten, was sie sich jemals erträumt hatten? Und wie oft hatte ich mich dann noch unfähiger mit meiner bemitleidenswert verbissenen Suche nach Glück und Erfolg gefühlt? Ich mochte jene Menschen nicht, die angeblich so großartig auf alles Glück verzichten konnten, um gerade deshalb so viel davon zu bekommen. Schließlich hatte das bei mir noch nie funktioniert – oder ich konnte einfach nicht korrekt loslassen.

      Was aber, wenn es heute anders wäre? Wenn ich tatsächlich verzweifelt genug wäre, um kompetent und überzeugend loszulassen? Dann müsste genau heute der optimale Zeitpunkt für eine großartige Veränderung meines Lebens sein! Umfassender konnte die Desillusionierung über mein Schicksal gar nicht werden! Außerdem käme der Wandel keine Sekunde zu früh. Ich war 39 und damit exakt in dem berüchtigten Lebensjahr, welches allen Menschen, die den Rest ihres Lebens noch nicht in trockenen Tüchern wussten, einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Also musste es gelingen, aus meinem Leben etwas zu machen – und zwar heute!

      Zwei Stunden nach diesem Entschluss saß ich immer noch alleine unter vielen anderen Menschen am Tresen meiner Lieblings-Cocktailbar. Hier gab es niemanden, wirklich niemanden, der ebenfalls alleine wie ich diesen Laden aufgesucht hatte. Alle anderen waren mindestens zu zweit, schauten sich verliebt in die Augen oder unterhielten sich prächtig mit mindestens einem halben Dutzend Freunden. Nicht mal der dürre Blonde mit Brille war da, der fast immer alleine an der Bar saß. Und so war ich heute die einzige bemitleidenswert einsame Kreatur, die nicht mal einen neugierigen Blick von einem der anwesenden Männer einfing. Selbst die Besetzung hinter dem Tresen enttäuschte an diesem Abend, denn die Einzige aus den Reihen des Personals, die ich flüchtig kannte, war eine eher unsympathische, weil arrogante Brünette, von der ich mir keinerlei mentale Unterstützung versprach.

      Oh je. War es möglich, dass jemand noch einsamer und verzweifelter war als ich? Ging es desillusionierter und vor allem: Konnte jemand noch mehr jede Hoffnung auf ein besseres Leben losgelassen haben als ich in diesem Moment? Musste deshalb nicht gerade jetzt etwas passieren, was meinem Leben endlich einen Sinn gab? So lief das doch – zumindest in den Geschichten, welche in Zeitschriften oder in Talkshows erzählt wurden, wenn ein schließlich glücklich gewordener Mensch von seinen bemitleidenswert schweren Anfängen und den harten Zeiten berichtet, die er heldenhaft hinter sich gebracht hatte, um endlich von der Schatten- auf die Sonnenseite des Lebens wechseln zu dürfen.

      Ich sog an meinem Strohhalm und wurde langsam ungeduldig. Wann ging es denn nun los mit der großartigen Lebensveränderung? Und wenn – was der Himmel verhüten möge – nichts passierte, was sollte ich dann tun?

      Über diese nicht weniger als den Rest meines Lebens entscheidende Frage dachte ich nach ... und wartete. Zwischendurch bestellte ich noch ein Getränk und fuhr mit dem Warten fort.

      Aber natürlich! Na klar! Jetzt verstand ich! Vermutlich nahm mir das Leben meine Verzweiflung gar nicht richtig ab! Vielleicht dachte es sich: Hey, die Hilde ist gerade ein bisschen schlecht drauf. Aber letztendlich macht sie doch immer alles mit, was ich ihr biete! Sie wird sich wieder fangen und alles kann so bleiben, wie es ist. Richtig loslassen und alle Hoffnungen aufgeben – nee, das kann die gar nicht! Das können nur Leute wie die moppelige Marion, die nach zwei Wochen Trennung von ihrem Lebensgefährten stolz vor aller Welt verkündete, dass sie nun wirklich jede Hoffnung aufgegeben hatte, den passenden Partner zu finden und sich prima damit abfinden konnte. Drei Wochen nach der Trennung hatte sie dann doch endlich die Liebe ihres Lebens gefunden und war mit ihr in den Urlaub geflogen. Tja – das war loslassen!

      Also beschloss ich, dem Leben und vor allem mir selbst zu zeigen, dass ich es sehr wohl sehr ernst meinte mit meiner Hoffnungslosigkeit! Denn wenn ich recht überlegte: Was hatte ich schon zu verlieren? Was? Einen Job, der mich frustrierte, weil in dem Unternehmen nur vorankam, wer männlich war, kein Studium hatte, pünktlich um halb fünf nach Hause ging und dumm wie Bohnenstroh alles nachplapperte, was der Chef an Inkompetenz von sich gab? Freunde, die sowieso am liebsten zuhause saßen und fernsahen? Zwei Zimmer, Küche, Bad und einen Nachbarn, der gerne mal seinen Spiegel an einer Eisenstange um den Sichtschutz meines Balkons herum Gassi führte?

      Ich erschrak. Wenn ich es genau betrachtete: Dieser Blick auf meine Situation war nicht einmal besonders negativ, so als würde ich versuchen, das Schicksal zum Widerspruch herauszufordern. Das war die krasse, ungeschminkte Wirklichkeit! Ich hatte nichts ausgelassen! So sah mein Leben aus! Und das nicht erst seit gestern, sondern irgendwie schon sehr lange.

      Paralysiert von dieser Erkenntnis stocherte ich in meiner Caipirinha herum, die allerdings nur noch aus Eis und ausgewrungenen Limettenvierteln bestand. War das Leben nicht furchtbar humorlos? Da wollte ich ihm zeigen, wie ernst ich es meinte mit dem Loslassen aller Hoffnungen und der perfekten Desillusionierung, und da zeigte mir die Betrachtung über mein Leben, wie ernst es das meinte mit dem, was es mir bislang zugemutet hatte! Ich war schockiert: Konnte es wirklich sein, dass das alles war, was ich zu erwarten hatte? Auch in den nächsten 39 Jahren?

      Mir wurde schwindelig. Ich realisierte, wie schwer es mir fiel, das Eis im Glas zu fixieren. Die Bilder schoben sich ineinander und verschwammen. Plötzlich fielen mir auch noch die Augen zu. War das jetzt das Ende? Just in dem Moment, als ich meiner kläglichen Existenz schonungslos gewahr wurde und mir wirklich keinerlei Illusionen mehr darüber machte, dass