Ich hätte mir am liebsten wie ein kleines Kind mit beiden Händen die Ohren zugehalten, aber ich nickte nur.
„Ich hoffe, Du findest mich nicht kindisch, aber…weißt du, ob er eine Freundin hat? Ich meine, wir verstehen uns wirklich gut und wir waren am Freitag sogar im Kino. Aber ich hab das Gefühl, das ihn irgendwas blockiert. Weißt Du, wie ich meine?“
„Nein“, stammelte ich.
„Na, ich weiß eben nicht, ob er bereit ist, sich auf was Festes einzulassen, verstehst Du?“
„Nein“, sagte ich noch einmal. „Nein. Er hat keine Freundin.“
In Katrins Gesicht gingen mit einem Schlag alle Lampen an. Sie strahlte mit voller Leuchtkraft.
„Echt nicht? Bist du ganz sicher?“
„Ja“ sagte ich und quälte mir ein Lächeln ins Gesicht.
„Oh Mann. Das sind fantastische Neuigkeiten, Pete. Fantastisch.“ Sie hüpfte mit zwei Schritten durch den Raum und schloss mich in die Arme. Ihr Haar duftete nach einer Mischung aus Aprikose und Wildblumen. Ihre Wange war weich wie Seide und ihre Brüste drückten mit deutlicher Spannung an meinen Oberkörper. Ich stand einfach nur da und atmete tief ein.
„Na hier wird wohl für Fackeln im Sturm geprobt, oder was“, hörte ich Basti, der plötzlich in der offenen Tür stand. Katrin wandte sich von mir ab und strahlte in seine Richtung.
„Besser, Basti. Viel besser.“ Sie blickte sich noch einmal um, winkte mir zu, hüpfte durch dieTür und war verschwunden.
Skeptisch blickte Basti zu mir.
„Oder doch nicht?“.
Ich schüttelte den Kopf.
„Denver-Clan. Oder Falcon Crest oder sowas.“
Basti reichte mir eine Fanta und setzte sich ans Schachbrett.
„Falcon Crest? Na du kennst Sachen.“
Ich nahm einen Schluck und lächelte.
„Wir sind jetzt Freunde.“
Basti atmete geräuschvoll aus.
„Ey? Wer hat das Wasser abgestellt?“
Ich schloss die Augen. Es roch nach Aprikose.
Wachsen
Die Wochen bis zu den Sommerferien verbrachte ich mit Schule, Schwimmen und Schach. Immer öfter saß ich auch alleine im Keller, denn Basti hatte sich von Sandra getrennt und investierte all seine überschüssige Energie in Lisa. Manchmal war ich dann auch mit Katrin allein. Wir führten lockere Gespräche über dies und das, und immer wieder auch über ihre Beziehung mit Ben und wie gut alles lief und wie dankbar sie mir war und so weiter. Ich kam erstaunlich gut damit klar. Letzten Endes hatte Basti doch recht gehabt: im Bikini gesehen hatte ich sie. Das konnte mir keiner nehmen. Genau wie die Erinnerung an das Gefühl ihrer Brüste durch den Pullover oder den Geruch ihres Haares. Ab und an bekam ich einen leichten Stich in der Herzgegend, wenn ich mir vorstellte, was hätte sein können, aber ich war weit von dem entfernt, was ich von einem echten Liebeskummer gelesen und erwartet hatte. In meinen Träumen schloss Katrin die Kellertür immer noch von Innen ab, aber in der Wirklichkeit kam ich mit der Rolle des Kumpels ganz gut zurecht.
Die Episode mit Katrin hatte außerdem zu echten Verbesserungen in meinem Alltag geführt. Niemand fiel mehr in dunklen Gängen über mich her, niemand tuschelte hinter meinem Rücken und ich absolvierte mittlerweile auch mal ein Gespräch mit einem Mädchen, ohne mich wie ein vollkommener Trottel zu verhalten. Der Zauber, der mit ihrer Bekanntschaft begonnen hatte, blieb bestehen.
Dazu bemerkte ich im Sportunterricht, dass ich Rainer Seelemann mittlerweile um gut zwei bis drei Zentimeter überragte. Damit war ich offiziell zwar immer noch der zweitkleinste Zehntklässler der gesamten Schule, aber es war ein Anfang, der mir Hoffnung gab.
Kurz vor den Sommerferien stellte ich einen neuen Vereinsrekord über 100 Meter Delphin in meiner Altersklasse auf und hatte das Gefühl, gleich mehrere Zentimeter an einem Tag zu wachsen. Ben änderte meinen Spitznamen in Mini-Albatros und bot mir an, in den Sommerferien an einem zweiwöchigen Schwimmcamp an der französischen Mittelmeerküste teilzunehmen. Der Verein zahlte die Unterkunft und Verpflegung. Für uns blieben nur die Fahrkosten von je 80 D-Mark und ein bisschen Taschengeld.
„Frankreich. La France. Das ist das Land der Liebe.“, schwärmte Basti, der auch eingeladen war. „Überall kleine Mademoiselles, für die wir Liegestütze am Strand machen können.“
„Heißt es nicht Stadt der Liebe und geht es dabei nicht nur um Paris?“, wandte ich ein.
„Stadt, Land, scheißegal. Paris ist die Hauptstadt, also ist Frankreich auch das Land der Liebe, klar?“
„Und was ist mit der Arbeit?“
Basti grinste. „Ich hab schon mit Böttcher gesprochen. Er ist zwar nicht begeistert, aber so lange wir alles bis Ende August fertig haben, ist es ihm egal.“
„Aber wie sollen wir das schaffen? Alles auswerten und fünfzehn Seiten schreiben. Ich hab keine Ahnung, was wir überhaupt rausbekommen haben.“
„Ach das ist kein Problem. Wir beschreiben einfach, wie sich die Mäander entwickelt haben. Wann sie länger wurden und wann breiter und so was. Vornedran noch ein paar Zusammenfassungen und am Ende unsere Schlussfolgerung.“
„Und was ist unsere Schlussfolgerung?“
„Weiß ich auch nicht. Auf jeden Fall sowas wie die Ausbildung der natürlichen Wasserbögen zu unterdrücken, wie es bei Flussbegradigungen geschieht, erscheint uns als höchst unratsam.“
Ich starrte Basti mit offenem Mund an.
„Was ist? Das war von vorne rein unser Ergebnis. War dir das nicht klar?“
Und als ich mal wieder nichts sagte, nahm Basti mich in den Arm und rief laut „Vive la France!“
Als er zweieinhalb Wochen später braun gebrannt aus Südfrankreich zurückkam, war Basti nicht mehr mit Lisa zusammen, sondern mit Yvette. Ich hatte die vergangenen Wochen mit meiner Mutter im städtischen Freibad und alleine am Schreibtisch verbracht. Sie freue sich zwar über meinen Erfolg im Schwimmen, hatte meine Mutter erklärt. Leider ließen es aber weder unsere finanzielle Situation noch meine schulischen Leistungen zu, dass ich den Erfolg meiner Forschungsarbeit gefährde, indem ich mit irgendwelchen Fremden nach Frankreich fuhr. Außerdem freue sie sich auf ein paar freie Tage für uns beide. Sie übermittelte mir ihren Beschluss fast beiläufig beim Abendessen und ich kam nicht auf die Idee, daran zu rütteln. Als Basti und später Ben für mich auf die Barrikaden gehen wollten und beide sogar anboten, die Gebühr auf unbestimmte Zeit vorzustrecken, musste ich sie bremsen. Ich könnte ja auch im Freibad trainieren. Ich könnte anfangen, die Arbeit zu schreiben. Und schließlich schien die Sonne auch bei uns. Ben hatte es nicht verstanden und Basti war richtig sauer geworden.
„Dann bleib doch bei Mutti. Aber ich fahre, sag ich Dir. Ich fahre.“
Also war er gefahren und ich war hier geblieben.
Bei unserem Wiedersehen war von Groll nichts mehr zu spüren. Basti platzte gut gelaunt in mein Zimmer und war euphorisch wie eh und je.
„Das Land der Liebe, Pete. Ich hab’s dir gesagt. Sonne, Strand und l’amour française. Jetzt kann ich sterben!“
Ich lächelte und schloss die Tür hinter ihm.
„Das wolltest Du schon, nachdem wir Katrin Morgentaler im Bikini gesehen haben.“
„Ja stimmt. Aber was interessiert mich mein Geschwätz von vorgestern. Yvette…sie ist…na weisst Du…sie ist neunzehn. Sie weiß Bescheid, verstehst Du?“
„Na