»Er wird wenig in seinem Vaterlande finden,« sagte die Dame »was diese Wolken von seiner Stirn zu verscheuchen vermag. Dank, guter Pilger, für Eure Nachricht über den Gefährten meiner Kindheit. Mädchen,« sagte sie, »kommt näher, reicht diesem heiligen Manne den Schlaftrunk; ich will ihn nicht länger seiner Ruhe berauben.«
Das eine der Mädchen reichte ihr einen silbernen Becher, der eine köstliche Mischung von Wein und Gewürz enthielt, den Rowena nur an ihre Lippen setzte. Hierauf wurde er dem Pilger angeboten, der nach einer tiefen Verbeugung einige Tropfen kostete.
»Nimm dieses Almosen, Freund,« fuhr die Dame fort, indem sie ihm ein Goldstück reichte, »als Anerkennung für Deine mühevolle Reise und den Besuch der Heiligthümer, die Du gesehen.«
Der Pilger empfing die Gabe mit einer zweiten tiefen Verbeugung und folgte Edwina aus dem Zimmer.
In dem Vorzimmer fand er seinen Begleiter Anwold, der der Zofe die Fackel aus der Hand nahm und ihn mit mehr Hast als Ceremonie in den äußern und rohen Theil des Gebäudes führte, wo eine Anzahl kleiner Gemächer oder vielmehr Zellen dem untergeordneten Gesinde und Fremden niedern Ranges als Schlafgemächer dienten.
»In welcher Zelle schläft der Jude?« fragte der Pilger.
»Der ungläubige Hund,« antwortete Anwold, »herbergt in der Eurer Heiligkeit zunächst liegenden. – Heiliger Dunstan, wie wird sie gescheuert und gereinigt werden müssen, ehe sie wieder für einen Christen taugt!«
»Und wo schläft Gurth, der Schweinehirt?« fragte der Fremde weiter.
»Gurth,« versetzte der Diener, »schläft zu Eurer Rechten, der Jude zu Eurer Linken, Ihr dient dazu, ihn vor der Verunreinigung durch dieses Kind der Beschneidung zu schützen. Ihr würdet ein ehrenvolleres Quartier erhalten haben, hättet Ihr Oswalds Einladung angenommen.«
»Es ist gut so,« sagte der Pilger, »die Gesellschaft selbst eines Juden kann ihre Ansteckung doch schwerlich durch eine eichene Wand verbreiten.«
Mit diesen Worten trat er in das für ihn bestimmte Gemach, nahm dem Diener die Fackel ab, dankte ihm und wünschte ihm gute Nacht.
Nachdem er die Thür seiner Zelle verriegelt hatte, steckte er die Fackel in den hölzernen Leuchter und sah sich in seinem Schlafgemach um, dessen Mobiliar von der einfachsten Art war. Es enthielt einen rohen hölzernen Stuhl und ein noch roheres Bettgestell, mit reinem Stroh gefüllt und mit zwei oder drei Schaffellen statt der Bettdecke versehen.
Nachdem der Pilger seine Fackel ausgelöscht hatte, warf er sich, ohne eines seiner Kleidungsstücke abzulegen, auf sein rohes Lager und schlief oder blieb wenigstens in liegender Stellung, bis der erste Sonnenstrahl den Weg durch das kleine vergitterte Fenster fand, welches der Luft ebensowohl wie dem Licht zum Eingang diente. Dann sprang er auf, verrichtete sein Morgengebet, und nachdem er seine Kleidung in Ordnung gebracht, verließ er sein Gemach und trat in das des Juden Isaak, den Riegel so leise als möglich aufhebend.
Der Bewohner desselben lag in unruhigem Schlummer auf einem Lager, ähnlich dem, auf welchem der Pilger die Nacht zugebracht hatte. Die Kleidungsstücke, welche der Jude am vergangenen Abend von sich gethan, hatte er sorgfältig um sich herum gelegt, als wollte er verhindern, daß man sie ihm während des Schlafes stehle. Auf seinem Gesichte zeigte sich eine Unruhe, die beinahe Todesangst ausdrückte, Arme und Hände regten sich gewaltsam, als kämpfe er gegen den Alp, und außer einigen hebräischen Ausrufungen konnte man sehr deutlich die Worte vernehmen: »Um des Gottes Abrahams willen verschont einen armen, unglücklichen, alten Mann! Ich habe keinen Pfennig, und wenn Ihr mir mit Eurem Eisen alle Glieder verrenkt, ich kann Euch doch nichts geben!«
Der Pilger wartete nicht das Ende der Vision ab, sondern weckte den Juden mit seinem Stabe. Diese Berührung verknüpfte sich, wie es zu geschehen pflegt, mit den Befürchtungen, die der vorhergehende Traum erzeugt hatte, denn der Alte sprang auf, sein graues Haar sträubte sich empor, und indem er einige Kleidungsstücke um sich herumschlug und die abgelegten Stücke mit dem gierigen Griffe eines Falken faßte, heftete er seine stieren schwarzen Augen mit dem Ausdruck wahnsinnigen Schreckens und tödtlicher Furcht auf den Pilger.
»Ihr habt nichts von mir zu fürchten, Isaak,« sagte dieser, »ich komme als Euer Freund.«
»Der Gott Israels lohn es Euch,« entgegnete der Jude, sehr beruhigt, »ich träumte – aber Vater Abraham sei gelobt, es war nur ein Traum.« Dann faßte er sich und fügte in seinem gewöhnlichen Tone hinzu: »Was beliebt Euch denn, zu einer so frühen Stunde von dem armen Juden zu verlangen?«
»Ich wollte Euch bloß melden,« sagte der Pilger, »daß, wenn Ihr nicht augenblicklich dieses Haus verlaßt und schnell von dannen zieht, die Reise Euch gefährlich werden kann.«
»Heiliger Vater,« erwiderte der Jude, »wer kann denn einen armen Juden in Gefahr bringen wollen?«
»Das mögt Ihr selbst errathen,« antwortete der Pilger, »aber so viel ist gewiß, daß, als gestern der Templer aus der Halle schritt, er zu seinen Türkensklaven in saracenischer Sprache, die ich sehr gut verstehe, sagte, sie sollten dem Juden morgen unterwegs in einiger Entfernung von diesem Hause aufpassen, ihn ergreifen und ihn auf das Schloß des Philipp de Malvoisin oder des Reginald Front de Boeuf bringen!«
Der Schreck, der sich jetzt des Juden bemächtigte und alle seine Glieder zu lähmen schien, war nicht zu beschreiben. Die Arme fielen ihm kraftlos herab, der Kopf sank auf die Brust, die Kniee bogen sich unter der Last des Körpers, jeder Nerv und Muskel seiner Gestalt schien ihm den Dienst zu versagen, so sank er dem Pilger zu Füßen, gleich einem, der von unsichtbarer Gewalt niedergeworfen wird und keines Widerstandes fähig ist.
»Heiliger Gott Abrahams!« rief er endlich aus, indem er seine runzeligen Hände gefaltet emporhielt, ohne jedoch das graue Haupt vom Boden zu erheben. »O heiliger Moses! O gesegneter Aaron! ich habe doch nicht ohne Grund geträumt! Schon fühle ich ihre Eisen meine Sehnen zerreißen, ihre Folterzangen über meinen Körper gehen, wie die Sägen, Eggen und Schneiden über die Männer von Rabbach und die Städte der Ammoniter.«
»Steh auf, Isaak!« sagte der Pilger, der die Angst des Juden mit einer Mischung von Mitleid und Verachtung betrachtete, »steh auf und höre mich an! Du hast freilich alle Ursache zu erschrecken, wenn Du bedenkst, wie Fürsten und Edle Deine Brüder behandelt haben, um von ihnen Schätze zu erpressen, aber stehe auf, ich will Dir das Mittel zeigen, zu entkommen. Verlaß das Haus augenblicklich, während die Bewohner desselben noch im festen Schlafe liegen. Ich führe Dich auf geheimen Pfaden, die mir so bekannt sind, wie dem Jäger dieser Forste, durch den Wald, und werde Dich nicht eher verlassen, als bis ich Dich unter dem Schutze eines Ritters oder Barons weiß, der zum Turniere zieht, und dessen guten Willen zu gewinnen Du wahrscheinlich die Mittel besitzest.«
Als Isaak von der Hoffnung zu entkommen hörte, fing er an, sich allmählich vom Boden zu erheben, bis er endlich gerade auf seinen Füßen stand. Er strich das lange, graue Haar und den grauen Bart zurück und heftete seine stieren schwarzen Augen fest auf den Pilger, mit einem Blicke, in welchem sich Hoffnung und Furcht mit einer Mischung von Argwohn zeigten. Als er aber den Schluß der obigen Rede vernahm, schien sein ursprünglicher Schreck mit aller Gewalt zurückzukehren, er fiel noch einmal auf sein Antlitz und rief aus: »Ich die Mittel besitzen, den guten Willen zu gewinnen! Es gibt ja nur einen Weg zur Gunst eines Christen, und wie kann den ein armer Jude finden, den die Erpressungen schon oft zum Elende eines Lazarus gebracht haben?« Dann rief er plötzlich aus, als hätte der Argwohn alle anderen Empfindungen in ihm unterdrückt: »Um Gottes willen, junger Mann, täuscht mich nicht! Um des großen Vaters willen, der uns alle geschaffen hat, Heiden und Israeliten und Ismaeliten, sinnet Ihr keinen Verrath? Ich habe durchaus keine Mittel, den guten Willen auch nur eines christlichen Bettlers zu belohnen, und schlüge er den Werth desselben bloß zu einem Pfennig an.« Bei diesen Worten stand er auf und faßte des Pilgers Mantel mit dem Ausdruck der dringendsten Bitte an. Der Pilger aber machte sich los, als läge Verunreinigung in dieser Berührung.