The unseen souls. Delia Muñoz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Delia Muñoz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738053142
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schien dieser Nico die Fähigkeit zu besitzen, sie innert wenigen Sekunden auf 180 zu treiben. Trotz allem musste Jen zugeben, dass er gut aussah. Er hatte breite Schultern und trug ein ärmelloses blaues Shirt, das einen Blick auf seine muskulösen Arme freigab. Und es ließ sich nicht leugnen, dass seine Lippen voll waren und dass das amüsierte Grinsen Grübchen an den Mundwinkel erscheinen ließ. Er war irgendwie... attraktiv.

      Jen kniff die Augen zusammen und verscheuchte den Gedanken sofort wieder. „Ich schwänze nicht. Ich bin nur zu spät gekommen“, erklärte sie und versuchte, sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren.

      „Was machst du denn hier?“ Es klang beinahe so, als würde er sie am liebsten aus dem Fenster werfen und nie wieder sehen.

      „Mein Lehrer Gollum mag mich nicht besonders...“

      „Dabei bist du doch ein so reizendes Mädchen“, unterbrach Nico sie und legte dabei den Kopf schräg.

      „Halt die Klappe!“, fauchte sie. „Ich bin voll nett!“

      Nico lachte herzlich und Jen sah sich nach etwas um, das sie nach ihm werfen konnte. Als er ihren Blick sah, hörte er auf zu lachen und meinte: „Okay, sorry, erzähl weiter.“

      Ohne es zu wollen, spürte Jen, dass ihre Miene weicher wurde, irgendwie besänftigte es sie, dass er sich entschuldigt hatte. Und zum ersten Mal seit ihrer Konversation zeigte er Anteilnahme an ihren Worten; er beugte sich ein wenig vor und hatte ausnahmsweise mal keinen selbstgefälligen Blick drauf. Jen schluckte. „Jedenfalls hat Gollum mir gesagt, ich solle einen vierseitigen Aufsatz über die Zeit schreiben, weil ich schon dreimal zu spät gekommen bin. Und dann warf er mich aus dem Unterricht.“

      Nico schaute sie fragend an. „Gollum? Der heißt wirklich wie diese Kreatur aus Herr der Ringe?“

      Jen lachte. „Nein, meine Freundin und ich nennen ihn nur so. Eigentlich heißt er Herr Miller.“

      „Ach so, verstehe“, meinte Nico. „Aber ist das nicht ein wenig übertrieben, dich gleich aus dem Unterricht zu werfen, bloß weil du zu spät kamst?“

      „Wem sagst du das“, brummte Jen.

      „Was hast du ihm denn angetan?“

      „Wieso denken immer alle, ich sei unhöflich?“, rief Jen aus. Wo sie sich vor zwei Sekunden noch verstanden gefühlt hatte, hatte sie nun wieder große Lust, Nico das misslungene Ölbild anzuschmeißen.

      „Das muss an deiner natürlichen Zurückhaltung liegen“, erwiderte Nico trocken und erntete einen weiteren erzürnten Blick von Jen. Diese Unterhaltung war echt anstrengend! Hastig beendete sie die Erklärung. „Ich habe ihm gesagt, dass der Beamer nicht kaputt sei, sondern dass er ihn einfach nicht bedienen könne, weil er in seinem Englischstudium gelernt hat, wie man Schüler schikaniert und nicht Beamer“, erwiderte sie trocken.

      Nico lachte ein wenig, wandte dann aber kommentarlos den Blick wieder ab und stierte auf das Ölgemälde der alten Frau. Seine Haltung war von einer Sekunde auf die andere von interessiert zu abweisend gewechselt, Jen wusste wirklich nicht, was sie davon halten sollte. Seufzend schaute sie wieder auf ihr Blatt und ignorierte den Stich, den ihr diese Reaktion erteilte.

      Die Zeit verging, Nico starrte das Ölbild an, Jen starrte ihr Blatt an. Aber außer dem Wort „Zeit“ gab es da nicht viel zu lesen.

      „Du musst gehen. Sonst kommst du wieder zu spät“, sagte Nico auf einmal.

      Jen zuckte zusammen. Sie hatte nicht erwartet, dass er plötzlich zu sprechen begann. Sie warf einen Blick auf die Uhr: 9:20 Uhr.

      „War das grad eine Hilfe?“, fragte sie erstaunt. „Oder willst du mich einfach loswerden?“

      Nico zuckte mit den Schultern und Jen sackte das Herz in die Hosen.

      Okay, kein Problem, er will mich loswerden. Was kratzt mich das? Er ist nur ein arroganter Mistkerl.

      Was auch immer der Grund war, er hatte recht, auch wenn es Jen nicht gefiel, zugeben zu müssen, dass Mr. Asozial recht hatte. Also packte sie schnell ihre Sachen zusammen und eilte gerade noch rechtzeitig zur Schule.

      Es war kurz nach vier, Jen fuhr auf dem Skateboard nach Hause. Als sie sich der kleinen Hütte am Rand der Stadt näherte, zog sich ihr Magen ängstlich zusammen. Was war, wenn Gollum mit ihrer Mutter telefoniert hatte und gesagt, dass Jen zum dritten Mal zu spät gekommen war? Sie stieg ab ihrem Board und ließ sich Zeit, die Treppe zur Haustüre hinaufzugehen. Gerade als sie ihren Schlüssel ins Schloss stecken wollte, öffnete sich die Tür schwungvoll und ihre Mutter stand teufelsgleich im Türrahmen. Jen zuckte zusammen. Bingo.

      „Hi Mom. Wie war's bei der Arbeit?“

      „Spar dir die Höflichkeiten“, fuhr sie ihre Tochter an und ließ sie hinein.

      Eingeschüchtert trat Jen in den Gang und stellte das Board an die Wand.

      „Herr Miller hat angerufen“, erklang Moms eisige Stimme hinter ihr.

      Jen sackte das Herz erneut in die Hose. Gollum hatte schon mehrmals angedroht, ihrer Mutter anzurufen, aber wirklich getan hatte er es noch nie. Und Jen hatte es auch nicht für nötig gehalten, ihrer Mutter von ihren Absenzen und Unterrichtsverweisungen zu erzählen. Sie hielt den Atem an und drehte sich um.

      „Was hat er gesagt?“ Schließlich wollte sie nicht mehr verraten als nötig.

      „Du bist zum dritten Mal zu spät gekommen! Er hat dich vom Unterricht verwiesen!“, schrie ihre Mutter auf einmal los und Jen blinzelte verwundert. Ihre Mutter verlor selten die Beherrschung, aber wenn, dann war es gar nicht lustig. Und dummerweise kam das in letzter Zeit immer öfters vor.

      „Ich hab dir doch gesagt, dass mein Wecker kaputt ist!“, rief Jen. Ihre Mutter war nicht der Typ, der nie gespickt oder geschwänzt hatte, warum fand sie also Verspätungen so schlimm?

      „Einen Wecker kann man flicken! Und das war nicht das erste Mal!“, erzürnte sich Mom.

      „Mom, ich bin ja nur zu spät gekommen. Es gibt Schlimmeres“, versuchte Jen sie zu besänftigen - eine völlig falsche Taktik, wie sie jetzt bemerkte.

      „Nur zu spät gekommen?!“, wiederholte Mom und ihr Gesicht lief rot an. „Er hat dich vom Unterricht geschickt!“

       Das hast du schonmal gesagt.

      Jen blickte zu ihr und überlegte sich, weshalb sie so zornig darüber war. Vielleicht hatte sie doch erfahren, was Jen ihm über den Beamer gesagt hatte. Aber dann hätte sie das wohl schon gesagt und sie gerügt, dass man so nicht mit einem Lehrer sprach. Das hieß, sie wusste tatsächlich nur von den Verspätungen. Musste sie deswegen so herumschreien, dass Nico im Haus Lupos das sogar hören könnte? Jen wurde immer wütender und wollte ihre Mutter am liebsten anschreien, dass sie bestimmt auch schon mal zu spät gekommen war und das nun mal passieren konnte – es war ja keine Absicht! Sie setzte zu sprechen an.

      Aber dann sprach, beziehungsweise schrie, ihre Mutter schon weiter: „Und statt dass du nach Hause gekommen bist, wie es jedes normale Kind getan hätte, hast du irgendwo in der Stadt herumgelungert! Du hättest weiß-Gott-wo sein können und keiner hätte es gemerkt!“

      Das brachte ein ganz anderes Licht in die Sache! Sie reagierte offenbar nur so übertrieben, weil sie sich Sorgen gemacht hatte! „Mom, du brauchst dir doch keine Sorgen zu machen!“, rief Jen halb lachend und ein Stein fiel ihr vom Herzen. Daher wehte also der Wind!

      Ihre Mutter schloss und öffnete den Mund und schnappte wie ein Fisch am Land nach Luft. Offenbar hatte sie nicht erwartet, dass Jen ihren Grund zur Schelte erriet. Erschöpft lehnte sie sich an das dunkle Geländer der Treppe, die nach oben führte.

      „Es tut mir leid. Das nächste Mal schreibe ich dir eine SMS, okay?“, fuhr Jen schnell fort, bevor ihre Mutter sich fassen konnte.

      Diese senkte den Blick. „Okay, mein Schatz“, sagte sie leise. „Tut mir leid, dass ich so geschrien habe. Aber du musst wirklich deinen Wecker flicken! Es geht nicht,