„Wovor soll ich Angst haben? Ich kann nicht den ganzen Tag im Haus sitzen“, sagte Waltrut. „Auch wenn Vater dir Wunniwint geschenkt hat.“
„Nicht geschenkt. Ich darf sie reiten, hat er gesagt. Wir haben uns angefreundet. Ich rede viel mit ihr.“
Das verwunderte Waltrut. „Versteht sie, was du sagst?“
Isanpert strich mit der Hand über die Mähne. „Am besten versteht sie mich, wenn es ums Essen geht. Löwenzahn und Sauerampfer sind Wörter, die sie jederzeit heraushört. Schau, wie sie den Kopf hebt! Sie ist wie du. Sie mag Leckereien.“
Waltrut schnaufte so laut, dass Fluggi, ihre braune Stute, zusammenzuckte.
Isanpert fuhr fort: „Immer klappt es nicht. Auf links und rechts und schneller hört sie, wenn es ihr gerade passt. Neulich habe ich ihr Dagoprants Lied vorgesungen, wie König Alboin von seinem Weib verraten wurde. Da hatte ich tatsächlich den Eindruck, sie begreift kein Wort.“
„Ich kenne es“, sagte Waltrut. „Alboin war König der Langobarden. Sein Weib hieß Rosemund. Sie hat ihren Vater gerächt, der von Alboin erschlagen worden war.“ Auf ihr Zeichen fiel Fluggi in den Trappelschritt.
Wunniwint lief schneller, ohne dass Isanpert sie hätte antreiben müssen. „Alboin ließ sich einen Becher aus seinem Schädel machen. Er trank jeden Abend sein Bier daraus. So heißt es in dem Lied.“
Voller Abscheu sagte Waltrut: „Sie war ein Leben lang mit einer Bestie verheiratet. Mit einem Mann, der auf nichts so stolz war wie darauf, ihren Vater umgebracht zu haben.“
„Die Königin war auch nicht gerade freundlich. Sie hat einen Gefolgsmann verführt, damit er ihren Gatten erschlägt.“
Waltrut zog am Zügel. Schnaubend kam ihre Stute zum Stehen. Isanpert ritt vorbei. Als er sich umdrehte, hörte er Waltrut sagen: „Er hat ihren Vater umgebracht. Blut für Blut. Du hast deine Mutter beschützt. Hucwalt will Rache für seinen Bruder.“
Er wurde verlegen. „Das kannst du nicht vergleichen. Ich bin schließlich kein König. Komm, lassen wir lieber unsere Rösser laufen. Wer zuerst bei der Trauerweide ist!“
Er trieb Wunniwint an. Über die Wiese, an Büschen vorbei. Über einen Graben. Er beugte sich tief über die schmutzigweiße Mähne. Das Ross lief von selbst. Er erreichte die Weide als Erster. Siegesstolz blickte er sich um. Da war niemand. Waltrut war ihm nicht gefolgt. Sie hatte stattdessen den Weg nach Utinga eingeschlagen.
Etwas lag auf ihnen allen wie eine dicke Decke im Sommer. Manchmal ging Olko wild auf Isanpert los. „Hoch den Schild! Abwehr rechts! Jetzt nach unten! Zu langsam. Mach das mehr aus dem Handgelenk. Arm anspannen, sonst kannst du nicht dagegenhalten. Hoch das Schwert. Abwehr links!“
Am Ende hatte Isanpert fünf oder sechs neue blaue Flecken. Er zerrieb Arnika-Blätter, um die Schwellung zu lindern, als Hulda um die Ecke kam. Wie an Festtagen trug sie die Spange, die er geschnitzt hatte.
„Ich muss mit dir sprechen.“
Er legte den Kopf schief. „Sprich nur zu, ich höre ja.“
„Jemand könnte kommen und uns belauschen.“ Hulda wurde rot.
„Was ist denn mit dir?“
„Ich muss zurück. Können wir uns nachher treffen? Unten am Saubach, wo du oft sitzt, hinter den Büschen.“
„Woher kennst du …“
„Bitte, verrate mich nicht! Zu keinem ein Wort.“
Schon lief sie weg. Verwundert blickte er ihr nach. Dann strich er mit der Hand über seine blauen Flecken, rappelte sich auf und ging zu Wunniwint in den Stall. Er flüsterte ihr Worte zu, Namen. Hulda war darunter, Waltrut, auch Martilo und Rosemund.
Wunniwint schnaubte. Isanpert nickte. „Du hast recht“, sagte er der Stute und klopfte ihr auf den Hals. „Darauf fallen wir nicht herein.“
Er ging geradewegs zum Waffenhaus. Drei Stufen führten hinab. Hier lagen Dutzende Dolche und Saxe, Schilder, Lanzen und Speere und Bögen auf mit Stroh bedeckten Borden. Fast alle Waffen von Utinga. Nur wer ein besonders wertvolles Schwert besaß, verwahrte es unter seiner Bettstatt.
Isanperts Sax und Speer waren nicht wertvoll. Den Sax nahm er an sich, dazu einen Schild. Den leichtesten Schild, den er finden konnte. Auch einen Helm setzte er auf.
Bewaffnet wie zu einer Übung mit Olko nahm er den Weg über die Wiese, zu dem Stelldichein mit Hulda. Er blickte nach links und rechts, zur Straße hinüber, wandte sich auch um, ohne jemanden zu sehen. Mit dem Sax bog er die Büsche beiseite. Am Bach stand, klein und zitternd, Hulda. Sie riss die Augen auf, als sie ihn mit Schwert und Schild und Helm sah. „Wie siehst du denn aus …“
„Hat dich Waltrut geschickt? Sie kennt diesen Ort. Nur sie weiß, dass ich gern hierher komme.“
Hulda biss sich auf die Lippe. „Ich hatte Angst, dass du kommst. Und dass du nicht kommst.“
„Sie hat sich heimlich mit Martilo getroffen“, sagte Isanpert. „Stimmt es? Du brauchst es mir nicht sagen, ich weiß es ja. Sein Bruder Hucwalt will Rache. Soll er mit mir kämpfen. Eine Entscheidung durch Zweikampf. Ich bin kein Feigling. Aus welcher Richtung kommt er?“ Er zeigte auf die Büsche, die das Ufer von den Weiden und Wiesen Utingas trennten.
Hulda packte ihn am Ärmel. „Sie wollen nur mit dir sprechen. Du darfst ihnen keinen Widerstand leisten, sonst werden sie dich umbringen! Gib mir das Schwert.“
Isanpert riss sich los. „Das ist der Grund, warum sie kommen. Um mich umzubringen. Ohne einen Sax in der Hand kann ich mich schlecht wehren.“
Hulda weinte. „Das wollte ich nicht.“
„Mach dir keine Sorgen. Er wird mich nicht erschlagen, Gott und das Recht sind auf meiner Seite.“ Isanpert schob die Zweige beiseite. „Ich höre Rösser. Das müssen sie sein. Lauf schnell weg.“
Der große Hucwalt kam auf einem großen Ross geritten, der kleine Martilo auf einem kleinen. Hucwalt lachte, als er Hulda vorbeilaufen sah, in Richtung des Hofs. „Schönen Dank auch“, rief er ihr nach.
Martilo sah nicht aus, als wäre ihm sonderlich wohl. „Hier draußen gilt kein Gastrecht“, ermutigte ihn Hucwalt.
„Ich warte hier längst“, rief Isanpert über die Büsche hinweg. Hucwalt glitt aus dem Sattel, aber Martilo rief zurück: „Komm heraus, damit wir sprechen können.“
„Ihr kennt keine Geschichten, wie sie mir gefallen“, gab Isanpert zur Antwort.
„Schade“, sagte Hucwalt, zog seine Spatha und bahnte sich einen Weg. Er lachte. Hucwalt pflegte in passenden und unpassenden Lagen zu lachen, aber nie klang sein Lachen so freudig wie vor einem Kampf.
Als er genug gelacht hatte, griff Hucwalt sein Schwert fester, ließ es über dem Kopf kreisen. Schräg sauste es auf Isanpert herunter, durchtrennte einige Weidenäste. Isanpert hob seinen Schild gerade noch rechtzeitig.
Die Spatha fuhr durch Schichten aus Leder in den hölzernen Rahmen des Schildes. Splitter flogen wie Funken in einer Schmiede, wenn der Hammer auf das glühende Erz kracht. Isanpert war das Eisen, das Hucwalt schmiedete. Der Schild barst. Isanpert blieben die Lederriemen mit ein wenig Holz daran.
Auf die Abwehr bedacht, hatte Isanpert den Gegenschlag versäumt. Nun war es zu spät. Hucwalt hob erneut seine Spatha.
Isanpert rannte los. Er rannte am Bach entlang, das Wasser zur Linken und das Gebüsch zur rechten. Hucwalt folgte.
In offenem Gelände hätte Hucwalt ihn schnell eingeholt. Hier jedoch galt es, Schilf zu umgehen, Weiden und Erlen, Büsche voll Pfaffenhütchen und Holunder. Isanpert stolperte, rutschte ab und sank mit dem Fuß ein. Seinem Verfolger ging es nicht besser. Im Ufergestrüpp war Hucwalt nicht schneller als er.
Dicht standen die Büsche. Links plätscherte der Bach. Isanpert blickte nach rechts auf die Wiese. Martilo ritt mit einem Speer in der Hand. Sein