Einfach nicht hinfallen. Shino Tenshi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Shino Tenshi
Издательство: Bookwire
Серия: Verhasst
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750225756
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Ich hatte ein Gespräch mit meinem Gewissen und na ja, ich sollte dir wohl doch zuhören, sonst würde die lästige Grille wohl niemals Ruhe geben.“ Ich musste bei der Vorstellung von Alex als Grille ein wenig grinsen, was Chris wohl irritierte, doch er trat schließlich zurück um mich in das Haus zu lassen.

      „Mein Zimmer ist gleich hier.“ Er deutete auf eine der vier Türen, die aus dem Flur führten und ich nickte ihm kurz zu, bevor ich meine Schuhe auszog und meine Jacke an einen Haken hängte. „Ich hoffe, dass ich dich nicht allzu sehr störe, aber ich wollte das relativ schnell über die Bühne bringen.“

      „Nein, wir sind gerade fertig mit dem Essen. Ist also in Ordnung.“ Er lächelte kurz schüchtern, bevor er dann voraus in sein Zimmer ging. Es wirkte auf mich schon fast voll gestopft. Die Wände standen voller Regale und Möbel. Wo man mal glaubte eine Tapete zu sehen, hing ein Bild an der Wand. DVDs türmten sich auf dem Boden, genauso wie Bücher. Figuren standen in den verschiedensten Bereichen des Zimmers und ich musste wirklich aufpassen, wo ich hintrat. Es war jetzt nicht so, dass Chris sie nicht aufräumte, aber er hatte einfach keinen Platz mehr in den Regalen dafür.

      Dieser ging zielstrebig und sicher durch das Chaos, bevor er sich auf dem Bett niederließ und mir den Schreibtischstuhl zeigte. Zumindest glaubte ich das. Ich konnte zu Beginn nämlich nichts erkennen, als ich mich in die gezeigte Richtung bewegte. Mit jedem Schritt hatte ich wirklich Angst, dass ich einen der Türme umwarf oder eine Figur zertrat. Wie konnte man nur so leben?

      „Leg sie einfach auf den Boden“, wies er mich an, als ich bei besagtem Stuhl, der natürlich auch schon zur Buch- und DVD-Ablage mutiert war, ankam. Vorsichtig versuchte ich die Sachen irgendwo in dem Chaos zu platzieren. Auch wenn ich danach nicht mehr sagen konnte, wo genau das war. Sie verschmolzen einfach mit dem umliegenden Stapeln.

      „Es tut mir Leid, dass es hier so aussieht, aber ich hab noch keine Lösung für das Platzproblem gefunden. Bin jedoch eifrig auf der Suche“, entschuldigte sich Chris schließlich bei mir und ich rang mich zu einem Lächeln durch. Dieses Chaos war hoffnungslos verloren. Er musste sich von manchen Sachen trennen oder eben ausziehen. Aber Zweiteres kam wohl eher weniger in Frage, da er dafür noch zu jung war.

      „Schon in Ordnung.“ Ich winkte ab, weil ich mich jetzt nicht mit Chris über seinen Saustall unterhalten wollte, sondern wegen etwas anderem hier war. Mein Lächeln kehrte zurück und ich ignorierte den Gips an meiner Hand. Ja, er war schuld daran, aber an seinem nervösen Blick, der immer wieder auf meinen Arm huschte, konnte ich erkennen, dass er sich dessen durchaus bewusst war.

      „Du wolltest mit mir reden. Schon damals auf dem Nachhauseweg und auch vorhin im Park. Ich bin jetzt hier, damit du das endlich tun kannst. Also, was wolltest du mir so Dringendes sagen?“ Ich kam mir richtig bescheuert vor, aber ich wusste gerade keine bessere Art auf das gewünschte Thema zu kommen, als eiskalt mit der Tür ins Haus zu fallen.

      „Nun ja.“ Chris schien erneut überfordert zu sein, denn er begann wieder mit dem Zupfen an seinen Ärmeln und er wich meinem Blick aus. Am liebsten wäre ich jetzt zu ihm gegangen und hätte ihn geschüttelt, dass er einfach mit der Sprache rausrücken sollte, aber ich hatte zu große Angst, dass ich dann nicht mehr hier herausfand.

      „Ich bewundere dich für deinen Mut, dass du zu deinen wahren Gefühlen stehst, obwohl Robert dir so stark zugesetzt hat. Wäre ich an deiner Stelle gewesen, hätte ich mich wahrscheinlich schon nach einer Woche umgebracht. Der Fakt, dass dein bester Freund auf dich losgegangen ist, war schon mehr als hart. Ich habe auch gesehen, als er dir eine Klinge in die Hand gedrückt hatte und ich hatte wirklich Angst, dass du am nächsten Tag nicht in die Schule kommen würdest. Damals schwor ich mir, dass ich dich dann ansprechen würde, aber jedes Mal wenn ich es mir vornahm, dann waren da andere.“

      „Ich war naiv. Das ist Alles und ich habe meinen Preis dafür bezahlt. Hätte ich nochmal die Wahl, würde ich es anders machen.“

      „Warum? Weil sich Robert das Leben nahm?“

      „Ja, selbst dieses Treffen würde ich anders machen. Er hätte nicht sterben brauchen.“

      „Ich glaube nicht, dass er tot ist.“

      Diese Worte von Chris überraschten mich und ich sah ihn eine Weile an, bevor ich meiner Stimme wieder vertraute und ihn die entscheidende Frage stellte: „Wieso tust du das nicht? Er ist in den Fluss gesprungen und bis heute noch nicht aufgetaucht. Wir wissen alle, wie stark die Strömung ist und erst die Strudel. Da kommt niemand lebend raus.“

      „Ich kann es einfach nicht glauben. Robert war doch immer so stark. Er hat selbst die Kraft gefunden, sich gegen seinen besten Freund zu stellen und ihm die Hölle heiß zu machen. So jemand stirbt nicht einfach in einem Fluss.“

      „Du bist verrückt…“

      „Ja, vielleicht bin ich das, aber ich kann es einfach nicht glauben, dass er weg ist. Einfach so weg. Das kann nicht wahr sein. Es darf nicht wahr sein.“

      Das Zupfen an seinen Ärmeln wurde stärker und ich sah, wie seine Schultern leicht bebten. In diesem Moment fühlte ich mich erneut schuldig, weil ich Robert nicht hatte aufhalten können. Ich fürchtete mich vor diesem Anblick. Das war auch der Grund, warum ich bis heute noch nicht bei seinen Eltern war, um ihnen alles zu erzählen, was ich wusste. Ich wollte sie nicht weinen sehen, denn ich war an dieser Trauer schuld.

      „Robert hat diesen Weg gewählt, weil er eben nicht so stark ist, wie alle anderen behaupten! Er hat sich verpisst wie ein Feigling! Einfach so den Schwanz eingezogen, anstatt sich der Realität und den Konsequenzen seines Handelns zu stellen! Er lässt uns einfach alle zurück mit so vielen Fragen im Kopf und du glaubst, dass er wirklich noch irgendwo sitzt und sich wahrscheinlich ins Fäustchen lacht!? Weißt du, dass du ihn dadurch nur noch mehr in den Dreck ziehst?!“

      „Warum wirst du jetzt so wütend, Felix? Ich glaube einfach nicht daran, dass er schon tot sein soll. Robert ist ein Kämpfer-“

      Ich unterbrach Chris mit einem abfälligen Laut und verstand selbst gerade nicht, warum ich so zornig wurde. Schließlich wünschte ich mir selbst nichts mehr, als dass Robert noch irgendwo lebte, aber es von einem anderen zu hören, der nicht einmal eine Sekunde trauerte, weil er aus tiefsten Herzen daran glaubte, verletzte meinen Stolz. Ich war sein bester Freund gewesen. Wenn jemand an sein Überleben festhalten sollte, wäre ich das aber doch nicht Chris. Der Schatten unserer Klasse. Dieser Chaot und Freak!

      „Weil du nichts verstehst! Du reißt mit deinem naiven Glauben Wunden auf, die du dir in deinen kühnsten Träumen nicht vorstellen kannst! Außerdem war das wirklich alles?! Wolltest du über Robert mit mir reden? Mir unter die Nase reiben, dass du mehr an ihn glaubst, als ich?!“

      „Felix? Ich… ich wollte doch nicht, aber… aber für mich ist es halt so und nein. Nein, ich wollte nicht nur über Robert mit dir sprechen. Damals schon nicht. Ich wollte meine Bewunderung für dich aussprechen. An deiner Stelle wäre ich schon längst eingeknickt.“

      „Du musst ja nicht an meiner Stelle sein und wirst du wohl auch nie. Also, mach dir da mal keine Sorgen.“

      „Ja, wahrscheinlich.“ Er rutschte nervös auf seinem Bett hin und her. Das Zupfen hatte er immer noch nicht aufgehört und er sah nervös auf seine Finger. Ich spürte, dass ihm noch etwas auf dem Herzen lag, doch ich wusste nicht, ob ich es wirklich aus ihm herauskitzeln wollte.

      Gerade wollte ich mich innerlich zum Gehen aufmachen, als Chris noch einmal die Stille durchbrach: „Du bist mein Idol, Felix. Ich wünschte mir, dass ich so viel Mut hätte wie du und es tut mir Leid, dass ich dir in der schwierigen Zeit nicht beistehen konnte, aber du hast ja eh wieder gute Freunde gefunden, nicht wahr?“

      Die Trauer in seiner Stimme konnte ich mir nicht einbilden und als ich mir gerade sicher war, dass ich eine Träne über seine Wange laufen sah, senkte er wieder seinen Blick und versteckte so sein Gesicht vor mir. Das war nicht möglich. Wieso sollte Chris jetzt weinen? Das ergab einfach keinen Sinn!

      „Ja, Alex und Leon sind schon spitze. Ich wüsste nicht, wo ich ohne sie wäre.“ Ich konnte das Lächeln nicht verhindern, denn ich war wirklich froh darüber, dass sie bei mir waren.