Sahra und Malek. T.D. Amrein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: T.D. Amrein
Издательство: Bookwire
Серия: Krügers Fälle
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752902372
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aber darüber setzte sich Krüger inzwischen ganz locker hinweg. Die einzige Ausnahme, die er sich bei Dienstvorschriften erlaubte. Meistens jedenfalls.

      Rohr wirkte leicht angewidert. Er versprach natürlich trotzdem, auf Überreste oder mögliche Gegenstände, die zum neuen Sachverhalt passten, besonders zu achten.

      Michélle verhielt sich sehr professionell. Sie nahm Krügers Schilderung scheinbar ungerührt entgegen. Er ließ sich zwar nicht über Einzelheiten aus, fand es jedoch ziemlich schwierig, die richtigen Worte finden. Zum Glück musste Krüger keine offiziellen Erklärungen verfassen. Das blieb Sache seines Chefs, Kriminalrat Peter Vogel. Nicht zum ersten Mal, dass er den nicht um seinen Posten beneidete.

      ***

      Sahra wachte mit starken Schmerzen auf. Die geschwollene Hand lag wie ein fremder Klumpen neben ihr. Weiße, sich rollende Hautfetzen, die sich stückweise vom Fleisch lösten. Schwarze Sprenkel, jeder mit einer eigenen, kegelförmigen Erhebung ausgestattet. Auch an den Stellen ohne Haut. Gelbliche Zwischentöne wiesen auf eitrige Einschlüsse hin. Insgesamt wirkte ihre Handfläche wie eine Landschaft aus pulsierenden Minivulkanen. Den Puls konnte Sahra zwar nicht direkt sehen, aber sie spürte ihn gleichzeitig in ihrem Kopf und in der Hand. Schon bei vorsichtigster Berührung schien in den Kegeln eine lange, unglaublich spitze Nadel zu stecken. Eine kühle Salbe linderte zwar den gröbsten Schmerz. Aber Sahra dämmerte trotz der bleischweren Müdigkeit, dass sie sich ein echtes Problem eingefangen hatte.

      Leichen mit akuten Blutvergiftungen hatte sie bereits mehrere auf dem Tisch gehabt. Eines hatten die alle gemeinsam: Sie waren innerhalb weniger Tage vom kerngesunden Menschen zum Fall für einen Leichenpfleger geworden.

      Ein paar Tage, überlegte sie. Wenn man ab dem Zustand rechnete, in dem sie sich offenbar schon befand, konnte es sich auch bloß noch um ein paar Stunden handeln.

      Ein Gedanke blitzte auf: Eventuell bot sich ihr die Möglichkeit, sich in diesem Fall als Erste, selbst für ihre eigene Aufbahrung zu schminken. Das unwillkürlich hochkommende Lachen über den Einfall artete zum kläglichen Krächzen mit anschließendem heftigem Huster aus. Ein spontaner Ausbruch des Humors, den sie sich im Laufe der letzten Jahre mühsam erarbeitet hatte, dachte sie, nachdem sie wieder normal atmen konnte.

      Aufs Neue dämmerte sie weg. „Nur noch für ein paar Minuten die Augen schließen. Unkraut vergeht schließlich nicht so rasch“, murmelte sie vor sich hin. Nur ganz kurz ruhig liegen und durchatmen. Danach musste sie sich unter allen Umständen um die Sache kümmern.

      4. Kapitel

      Krüger stand am nächsten Morgen wie vorgesehen vor Hahnlosers Haus. Ein in die Jahre gekommenes, grau und abweisend wirkendes Einfamilienhaus mit verwildertem Garten. Von den Fensterläden blätterte der Lack. Kleine Ziegelsplitter, die den Vorplatz mit roten Punkten verzierten, bröckelten vom Dach. So ziemlich das Einzige, das auf dem Grundstück sympathisch wirkte. Die Fensterscheiben zeigten sich verschmiert und gelblich verfärbt, sodass man trotz der fehlenden Gardinen von außen nichts erkennen konnte. Überall lagerten Gegenstände, die ihre Verwendung längst überlebt hatten. Dazwischen einige Stapel Brennholz oder alte Möbel, die wohl auch für diesen Zweck vorgesehen waren. Krüger schwante Schlimmes. Wenn es schon von außen so verwahrlost aussah …

      Trotz der Information, dass Jürgen Hahnloser allein hier lebte, klingelte Krüger mehrmals. Nichts rührte sich.

      Gleich der erste Schlüssel passte. Ein abgestandener Hauch strömte ihm entgegen. Er hatte zwar Handschuhe dabei, aber keine Atemmaske. Sollte er besser sofort abbrechen?

      Er überwand sich und schob sich in den vollgestellten Flur. Das erste Zimmer auf der rechten Seite diente offenbar als Papierlager. Krüger wollte eigentlich so schnell wie möglich ein Fenster öffnen. Jedoch dazu hätte er auf den Berg aus Zeitungen und anderen Druckerzeugnissen steigen müssen. Anscheinend bewahrte Hahnloser hier die Post der letzten Jahre auf. Der nächste Raum, die Küche, wirkte wider Erwarten einigermaßen aufgeräumt. Zumindest angesichts des übrigen Chaos. Hier schaffte es Krüger zwar zum Fenster, aber es klemmte. Die Treppe nach oben wurde durch eine Tür auf halber Stockwerkhöhe unterbrochen. Abgeschlossen. Krüger stutzte. Er probierte alle Schlüssel durch. Keiner passte. Vielleicht doch ein Untermieter, überlegte er? Wenn, dann wahrscheinlich ein Mann. Dass sich eine Frau diesen Schweinestall antun würde, hielt er für ausgeschlossen. Ein weiterer Bewohner könnte möglicherweise auch den Zustand der Küche erklären, setzte er den Gedanken fort. Und der könnte natürlich jederzeit auftauchen! Fast wie ein Einbrecher schlich sich Kommissar Krüger aus dem Haus. Bloß eine Vermutung. Aber sein Bauchgefühl warnte ihn. Niemand war hier angemeldet, außer Hahnloser. Jedoch kaum zu erwarten, dass sich in seinem Umfeld jemand von irgendwelchen Meldevorschriften beeindrucken ließ.

      Krüger schlenderte schließlich doch noch einmal zurück zur Haustür. Mit zwei Tröpfchen Sekundenkleber befestigte er ein Haar an Tür und Rahmen. Eine bewährte Methode. Cyanacrylatkleber hatte er eigentlich immer dabei. Und Haare auf dem Kopf auch.

      ***

      Doktor Holoch hat mitgeteilt, dass Kommissar Krüger doch bitte in die Rechtsmedizin kommen solle, sobald er zurück sei, stand auf einem Notizblatt, das auf Krügers Schreibtisch lag. Sehr dringend konnte es nicht sein, sonst hätte man ihn angerufen, dachte der Kommissar. Andererseits, bei Doktor Holoch wusste man nie.

      Krüger zog sich erst einen Kaffee aus dem Automaten, bevor er sich auf den Weg machte. Wenn der gute Doktor es wieder einmal übertrieb mit detaillierten Beschreibungen, Fotos oder sogar Originalpräparaten, konnte Krüger dazwischen einen Abfalleimer für den Becher aufsuchen, um kurz durchzuatmen. Im Reich des Doktors wurde kein allgemeiner Abfall geduldet, um Kontaminationen zu vermeiden. Genaugenommen durfte Krüger auch nichts dergleichen mitbringen, aber wer sollte ihm das verbieten?

      Holoch schien sich aufrichtig zu freuen über den Besuch des Kommissars. Kein besonders gutes Zeichen aus Krügers Sicht. Das deutete an, dass der Pathologe eine Entdeckung gemacht hatte, die er als äußerst aufschlussreich und für die Ermittlung bahnbrechend einstufte. Nicht, dass dies noch nie vorgekommen wäre. Aber in neun von zehn Fällen entpuppte sich die große Erkenntnis eher als mittlere Sensation. Oder auch als gewagte Spekulation.

      „Sie wollten mich sprechen, Herr Doktor?“, begann Krüger so neutral wie möglich.

      Der Doktor nickte eifrig. „Ja, Herr Kommissar. Ich denke, dass ich Sie an meinen Gedanken in diesem Fall teilhaben lassen sollte!“

      Krüger schwante Schlimmes. Nicht aus fachlicher Sicht. Aber Holoch liebte ungewöhnliche Details. Wie zum Beispiel eine genaue Beschreibung der Metamorphose einer Dasselfliege vom Ei bis zur ausgewachsenen Made. Bei einem menschlichen Wirt, natürlich.

      Krügers: „Dann lassen Sie bitte hören“, klang entsprechend vorsichtig.

      Holoch stutzte nur kurz. „Nun ja, ich habe die Schnittflächen, die bei der Entnahme der Testikel entstanden sind, unter dem Mikroskop untersucht. Die Wundränder an sich zeigen sich nicht besonders auffällig. Aber an der Außenhaut des Skrotums haben sich dunkle Rückstände abgelagert, die eigentlich nur von der Klinge während des Schneidevorgangs abgestreift worden sein können. Weil ich mich auch ab und zu mit Mineralien beschäftige, weiß ich, wie Korunde unter dem Mikroskop aussehen. Sie leuchten nämlich in bestimmten Farben. Selbstverständlich habe ich eine Probe an unser Labor gegeben, um das zu verifizieren.“

      Krüger entspannte sich etwas. „Und was folgern Sie daraus, Herr Doktor?“

      „Korund ist ein absolut übliches Schleifmittel. Moderne Einwegklingen wie Skalpelle oder auch diese weitverbreiteten Klingenmesser schärft schon längst niemand mehr. Höchstens noch normale Küchen- und Fleischermesser. Jedoch kann ich mir wirklich nicht vorstellen, dass ein Solches hier zum Einsatz kam. Unpraktisch und viel zu groß für einen so präzisen Schnitt. Der übrigens auffallend gerade verläuft. Eine schwierige Sache mit der Spitze eines langen Messers.“

      Krüger nickte zustimmend. „Dazu in der Enge eines Fahrzeuges und zwischen den Beinen …“

      „Trotzdem,