Trotz aller Aufmerksamkeit, die sie ihrer heiklen Aufgabe widmete, glitt ihr Blick immer wieder zu der deutlichen Erhebung im Tuch auf dem Schoss des Toten. Manchmal verhielt sich die Natur im Zusammenhang mit der Leichenstarre, nicht besonders gesittet. Sahra kannte auch dieses Phänomen. Normalerweise entlockte es ihr höchstens ein Lächeln. In Leichenpflegerkreisen nannte man dies auch "Großer Zapfenstreich", in Anlehnung an ein letztes Strammstehen bei militärischen Verabschiedungen.
Endlich gab sie sich einen Ruck und zog das Tuch weg. Natürlich trug Sahra bei ihrer Arbeit eine Plastikschürze und Latexhandschuhe. Sie griff kräftig zu und brachte die schlaffe Haut des Hodensacks dadurch in Spannung. Er war nur schwach behaart. Einzelne Venen schimmerten durch. Einmal tief durchgeatmet, dann zog sie das Rasiermesser über die höchste Stelle. Ansatzlos glitten die Hoden des Mannes heraus. Einfach so, hingen sie bloß noch in gleicher Weise wie ein Batteriepaket "an den Kabeln".
Sahra hatte sich vorgestellt, dass sie die Dinger mühsam herausschälen und in einer längeren, kniffligen Prozedur herauslösen müsste, um sie zu entfernen. Konnte das wirklich so einfach sein?
Verschämt sah sie sich um. Sollte sie die Hoden wieder zurückstopfen? Sie versuchte es. Aber sie quollen immer wieder aufs Neue heraus. Ohne zu nähen, würde es nicht gehen.
Im Nebenraum wurde eine Tür geöffnet. Sahra durchfuhr es heiß. Eigentlich wollte ihr Chef nie zusehen, wenn sie arbeitete. Er ekelte sich zu sehr. Deshalb hatte er sie schließlich damals angestellt und vieles Weitere in Kauf genommen, um nicht selbst Hand anlegen zu müssen.
Sahra konnte es nicht riskieren. Ein schneller Schnitt, und die beiden walnussgroßen Organe verschwanden in ihrer Hosentasche.
Natürlich hörte sie gleich darauf, dass ein Wagen gestartet wurde und wie ihr Chef damit vom Hof fuhr. Der dachte doch nicht im Traum daran, sie zu besuchen, wenn sie präparierte. Aber trotzdem. Wie hätte er wohl reagiert, wenn er sie erwischte? Würde er die monströse Sahra, die tote Männer kastrierte, noch länger in seinem Haus dulden?
***
Nach und nach vervollständigte Sahra die Ausrüstung für ihr Vorhaben. Sie bestellte ein Paar Handschellen bei Beate Uhse, weil die absolut diskret lieferte. Neutral verpackt und ohne Absender.
Außerdem benötigte sie eine zuverlässige Maske für Gonzo, damit er sie nicht erkennen konnte. Ein alter, voluminöser Teekannenwärmer, der seit Jahren unbenutzt herumstand, schien dazu am besten geeignet. Ein sackartiges, dickwandiges Gebilde mit opulentem Blumenmuster. Das sich am offenen Ende durch ein eingenähtes Gummiband, an hineingestellte Kannen jeder Größe von selbst anpasste. Sie hatte es natürlich ausprobiert. Umgedreht schmiegte sich das Band ebenfalls bestens an den Hals eines Menschen.
Aus ihrer Drogenzeit wusste sie, dass man von Benzindämpfen ziemlich schnell das Bewusstsein verlor. Schließlich sollte der Wärmer ihm nicht bloß die Sicht versperren. Sondern, frisch mit etwas Benzin getränkt, auch die Gegenwehr erschweren. Und nicht zuletzt mögliche Schreie dämpfen.
Sahra war den Ablauf der Prozedur bestimmt schon hundertmal durchgegangen. Sie würde auf dem Parkplatz der Kneipe auf ihn warten. In lockiger Perücke, auch ein Utensil aus ihrer Tätigkeit, sehr kurzem Rock und mit maximal hochgeschraubtem Busen. Deshalb hoffte sie, würde er kaum auf ihr Gesicht achten. Sobald er angebissen hatte, wollte sie ihm eine ruhige Stelle ganz in der Nähe, direkt am Rhein vorschlagen. Ein Ort, den sie beide gut kannten.
Er musste selbst hinfahren, das war wichtig, weil Sahra dies nicht konnte. Im Gebüsch unter der kleinen Brücke, die dort einen Gewerbekanal überquerte, würde ihr Fahrrad für den Rückweg schon bereitliegen.
Mit vorgehaltener Pistole wollte sie ihn zwingen, sich selbst mit den Handschellen ans Lenkrad zu fesseln. Dass dies bestens funktionierte, wenn man dem Opfer ein gewisses Stück Bewegungsfreiheit im Auto erhalten wollte, wusste sie ebenfalls aus der Zeit mit ihm.
Wichtiger Punkt: Dass sie sich an dieser Stelle davon überzeugte, dass er die Armbänder richtig geschlossen hatte.
Sobald sie dann den Wärmer mit dem Benzin aus einem Parfümfläschchen präpariert und ihm übergestülpt hatte, konnte eigentlich nicht mehr viel schiefgehen. In einem Auto fanden sich schließlich einige geeignete Stellen, um etwas festzuzurren, falls notwendig.
Ein Problem, woran sie lange gekaut hatte, blieb ihr Rückzug. Dass der auffällige Teewärmer besser nicht zurückbleiben sollte, schien ihr ratsam. Möglicherweise erstattete Gonzo trotz der Schmach Anzeige. Dann konnte sich vielleicht daraus eine Spur für die Polizei ergeben. Eher unwahrscheinlich, aber trotzdem. Außerdem sollte er besser nicht stundenlang Benzindämpfen ausgesetzt bleiben. Er würde kaum vor dem nächsten Morgen entdeckt werden. Bis dahin konnte er möglicherweise sogar ersticken, unter dem Ding. Das wollte sie nicht. Ganz im Gegenteil. Er sollte möglichst viel mitbekommen. Schmerzen haben und stundenlang frieren. Ohne genau zu wissen, wann er befreit wurde. Eine weitere ihrer eigenen Erfahrungen, die sie ihm verdankte.
Eine Szene in einem Film, den sie inzwischen gesehen hatte, brachte Sahra endlich auf die richtige Idee. Die Helden zogen sich nach einem Gefecht hinter einer dicken Rauchwolke zurück. Rauchpetarden, die wahrscheinlich noch aus dem Krieg stammten, stapelten sich in einer großen Kiste im Lagerkeller ihres Chefs. Sie wusste davon, weil er zum Spaß einmal eine gezündet hatte. Dies ließ sich durch einfaches Aufreißen bewerkstelligen. Bei der vorhandenen Menge würde es kaum auffallen, wenn eine Weitere fehlte.
Ab und zu auftauchende Skrupel erstickte Sahra mit dem Gedanken an die junge Selbstmörderin auf ihrem Arbeitstisch. Selbst wenn Gonzo daran nicht direkt Schuld hatte. Typen wie er, richteten immer wieder das Leben junger Mädchen zugrunde. Sie hatte es jetzt in der Hand, einen davon zur Räson zu bringen. Das Einzige, das man ihr eventuell vorwerfen konnte, sie hatte viel zu lange damit gewartet.
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Jürgen Hahnloser saß missmutig in seinem Wagen und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Die Schlampe, mit der er verabredet war, erschien einfach nicht. Natürlich hatte die vermutlich auch geschwindelt, mit ihrem Gewicht, dem Alter und der angeblich so tollen Figur. Daran hatte er sich längst gewöhnt. Aber immer noch besser so eine, als die unmöglichen Weiber vom Puff. Die ihn meistens wie einen lausigen Junkie, der seine Triebe nicht im Griff hatte, behandelten. Das lag auch daran, dass man ihn inzwischen überall kannte. Bei neuen Freiern täuschten die wenigstens noch so was wie Vergnügen vor. Aber für die Stammkunden …
Früher hätte er höchstens eine oder zwei Minuten auf eine Braut gewartet. Wenn er rechnete, kam offenbar für jedes seiner Lebensjahre eine Minute dazu. „Himmelarsch und Zwirn!“, fluchte er laut.
Noch eine Viertelstunde. Und wenn die nicht einigermaßen aussah, dann würde er sie einfach hier stehen lassen.
Schließlich gab er es auf. Seine Stammkneipe lag nicht weit entfernt. Ein paar Biere zum Herunterkommen. Und vielleicht hatte sich sogar wieder Mal eine, die es schon lange nötig hatte, dorthin verirrt. Allerdings kam das nur noch ganz selten vor. Früher war das Lokal als Sammelpunkt für Matratzen aller Art bekannt gewesen. Aber heute?
Außer ihm hingen bloß die paar Halbstarken, die praktisch schon zum Inventar gehörten, in der Kneipe herum.
Jürgen lud seinen Frust beim Keeper ab wie meistens. „Mach schon du Langweiler! Soll auf meinem Grabstein etwa stehen, dass ich bei dir verdurstet