»Eben auch nur ein Bauerntölpel. Fühl dich geehrt. Du stirbst durch einen Jarl.«
Er holte mit dem Schwert aus und ließ es herabschnellen. In letzter Sekunde griff ich nach einem Schild, der neben mir lag, und schob ihn über mein Gesicht, sodass sein Schwert ins Holz schnitt und den Schild durchbohrte. Ein stechender Schmerz machte sich in meinem Unterarm breit und Blut sickerte auf meine Brust.
Doch es geschah nichts weiter. Ich schob den Schild beiseite und sah Thjodrec vor mir knien. Hinter ihm stand Thortryg mit meiner Axt in der Hand. Er zog sie seinem Bruder aus dem Rücken, und dieser Schmerz hatte dafür gesorgt, dass Thjodrec seinen tödlichen Schlag gegen mich nicht hat ausführen konnte. Er schaute mich erschrocken an.
Thortryg lächelte zufrieden. »Das ist mein Land.«
Mit diesen Worten ließ er meine Axt auf den Kopf seines Bruders schnellen. Blut und Hirnmasse quollen heraus und der unrechtmäßige Jarl ging zu Boden.
So starb Thjodrec und Thortryg wurde Herrscher von Halid.
Einige von Thortrygs Männern, die gesehen haben, dass er seinen Bruder erschlagen hat, liefen los und riefen das Ende der Schlacht aus. Nach und nach ebbten die Kämpfe ab und Stille breitete sich auf dem Schlachtfeld aus. Viele Männer sanken erschöpft zu Boden. Thjodrecs Männer ließen ihre Waffen fallen, und jene, die es nicht taten, wurden erschlagen. Bevor es so leise wurde, dass wir selbst die Toten hätten sprechen hören können, durchbrach die Wolfshorde die Stille. Sie stimmten einen Siegesschrei an, dem sich bald auch die übrigen Männer anschlossen.
Der neue Jarl stand auf dem Schlachtfeld und erhob sein Schwert und seine Stimme.
»Männer von Halid! Erhebt euch, ihr Treuen! Ein jeder soll wissen, dass nun die Zeit der Wölfe gekommen ist. Wir waren den Asen treu und sie halfen uns, diese Schlacht zu überstehen. Erhebt euch, ihr Wölfe von Halid! Erfreut euch am Leben! Wir werden nach Karpgat, unserer Hauptstadt, zurückkehren und unseren Sieg begießen. Wir werden dieses Land aufblühen lassen. Ihr Wölfe, erhebt euch! Die Zeit der Wölfe ist gekommen!«
Sogar Männer, die vorher aus purer Erschöpfung hingefallen sind, standen auf und feierten ihren neuen Herrscher, der in einer ehrenvollen Schlacht seinen Bruder besiegt hat. Sie jubelten und umarmten einander, manche tanzten oder beteten auf den Knien mit einem Lächeln im Gesicht. Sie lachten und weinten. Nach einer solchen Schlacht ist jeder froh, der überlebt hat. Ich aber konnte mich nicht erheben. Der Schmerz war zu groß. Ich starrte in den Himmel und um mich herum wurde alles still. Ich nahm keine Stimmen mehr wahr, also genoss ich es, denn ich wusste, dass nach dieser Stille kein Gemetzel mehr auf mich wartete, sondern Becher voll Met und gutes Fleisch.
Thortryg setzte sich zu mir und unterbrach meine Träumerei. Ich blickte ihn von unten herauf an, doch er sagte nichts. Eine Weile war es still.
Schließlich brach Thortryg die Stille. »Wie ist dein Name?«
Durch die Wunde fiel mir das Sprechen schwer. »Sigvart Horaldson, Herr«, sagte ich schwach.
»Danke, Sigvart Horaldson. Ohne dich würde ich nicht mehr leben und mein Bruder würde herrschen. Du hast gekämpft wie einer der gefährlichsten Wölfe, die ich je gesehen habe. Du bekommst von mir einen neuen Namen und einen neuen Posten.«
»Das ist eine große Ehre, Herr.«
»Nur, weil du noch nicht weißt, was auf dich zukommt«, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln. »Ab heute trägst du den Namen Fenris in meinem Wolfsrudel. Der gefährlichste und bösartigste Wolf, den wir kennen. Dein neuer Posten wird an meiner Seite sein. Du beschützt mich – und ich beschütze dich.«
Sein Blick war nun fest auf meine Augen geheftet. Er war begierig, meine Reaktion zu erfahren. Ich dachte eine Weile nach und verlor mich in Gedanken. Es wäre ein gefährliches Leben. »Es ist mir eine Ehre, Herr. Darf ich allerdings eine Bitte äußern?«
Er nickte.
»Ich möchte in wenigen Wochen zu meiner Familie zurückkehren, um ihr zu berichten, was geschehen ist. Ich möchte meinem Vater sagen, was ich vollbracht habe, und dass ich von nun an Euch diene.«
Thortryg grinste und klopfte mir auf den Oberschenkel. Er stand auf und rief nach Männern, die mich ins Lager tragen sollten. Mein sechzehnter Winter zog nun langsam auf und ich war bereits jetzt bei meinem Jarl beliebt.
Die Jungen, die der Jarl geholt hat, um mich zu retten, trugen mich auf einer Trage über das Schlachtfeld. Lautes Stöhnen und die Schreie sterbender Krieger konnte ich hören. Die Jungen legten mich auf einem Wagen ab, der sich holpernd in Bewegung setzte. Neben mir befanden sich auf diesem Wagen sieben weitere Verletzte. Unter ihnen war ein junger Krieger, der sich mir unter Schmerzen als Kalf vorstellte. Mit ihm sollte ich später noch so manche Schlacht schlagen. Der Wagen hielt mehrere Male an der Straße an, um die Krieger abzuladen, die ihre Verletzungen nicht überlebten. Warum sie allerdings nur auf den Wegesrand geworfen wurden, weiß ich nicht zu beantworten. In diesem Moment wollte ich es auch nicht hinterfragen. Ich versuchte nur, so viel wie möglich zu schlafen, um das Gerüttel des Wagens zu ertragen.
Nach einiger Zeit sah ich, wie wir durch einen Torbogen fuhren. Das geschäftige Treiben um mich herum ließ mich vermuten, dass wir Karpgat erreicht hatten. Die Stimmen von Marktschreiern und den Menschen, die bei ihnen einkauften, wurden aber schnell übertönt von Schmerzensschreien, und ein Geruch von faulem Fleisch umwogte meine Nase.
Ich verbrachte lediglich einen Tag im Krankenlager in Karpgat. Der Wundarzt hielt es für keine gute Idee, dass ich gehen mochte. Doch ich widersetzte mich seinem Willen, indem ich ihn beiseiteschob und wütend anknurrte. Dieses Sterben und Schreien um mich herum hielt ich nicht aus. Meine Wunden verheilten sehr gut, ich konnte mich selbst versorgen. Wie ich in der Stadt umherlief, hielt ich Ausschau nach einem Wirtshaus. Ich hatte noch keinen Schluck Bier oder Met getrunken nach der Schlacht und es wurde Zeit, dies nachzuholen. Man hatte mir meinen Sold ans Krankenbett gebracht und nun wollte ich ihn verprassen. Ich erinnere mich auch an eine Feier, die Thortryg versprochen hatte. Hoffentlich fand sie noch nicht ohne mich statt.
In einer Gasse, nicht weit vom Krankenlager, fand ich tatsächlich ein Wirtshaus. Der Wirt war ein dicker Mann mit einem kräftigen Bart und einer sehr unfreundlichen Art. Er sah mich schlechtgelaunt an. »Was willst du?«
Ich bestellte einen Krug Met und setzte mich so weit wie möglich von diesem Kerl weg. Trinkgeld gab ich natürlich nicht.
Mein Platz war draußen an der Straße auf einem Holzschemel, von wo ich die Menschen, die vorbeigingen, beobachtete. Die meisten hier haben nichts von dem erlebt, was ich die letzten Wochen erlebt habe.
Die Schlacht zog noch immer an mir vorbei. Jedes Detail. Jede Einzelheit spielte sich noch einmal ab. Mein Vordermann, der sich eingeschissen hat. Sein Blut, dass mir ins Gesicht spritzte, als er fiel. Ich erinnerte mich an meinen Drang, wegzulaufen, aber auch an meinen Mut, einfach weiterzukämpfen. All die verzerrten Fratzen der Männer. Manche blickten mich voller Hass an, andere voller Schmerz und Erschrockenheit. Diese Gesichter waren nun deutlich vor mir. Die Schmerzen, die ich erleiden musste, schossen mir in den Kopf. Das Gefühl der Angst umschloss mich wieder und meine Wunde schmerzte. Ich erinnerte mich an die Männer, die meinen Wagen begleiteten und nach und nach die Verwundeten hinauswarfen, die nicht überlebt hatten. Wieder ergriff mich Angst. Was wäre, wenn ich tot am Straßenrand geendet wäre? Wieso taten diese Männer das? Hatten die Krieger kein anständiges Begräbnis verdient?
Diese Gedanken machten mich verrückt und so trank ich.
Ich bestellte einen weiteren Krug, und als ich auch diesen fast geleert hatte, stand plötzlich ein schlanker Mann vor mir. Er hatte mich wohl schon mehrfach angesprochen, doch ich hatte nicht reagiert. Mein Körper war bereits nach den zwei großen Krügen Met in einem leicht wankenden Zustand. Normalerweise bin ich trinkfester, doch ich glaubte, die Wunden hielten mich sogar im Trinken schwach. Ich blickte an dem Mann hoch und musste etwas grinsen wegen seines Gesichts.