Blutdienst
Blutdienst
© 2021 Stefan Landfried
Lektorat, Satz und Gestaltung: Marek Firlej www.marekfirlej.de
Umschlagfoto: Yuri_B auf Pixabay
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Stefan Landfried
BLUTDIENST
Für die Live-Musik
Prolog
Die ersten Sonnenstrahlen zeigten sich über einem bewaldeten Hügel. Mein kaltes Gesicht empfing sie, während ich am Nachtfeuer saß und in die schwach glimmende Glut des verlöschenden Lagerfeuers starrte. Die Wärme tat gut auf meiner Haut. Vor einem Kampf war mir jedes Licht willkommen, ehe ich mich in die Grausamkeit der Schlacht stürzte. Meine Gedanken begannen wieder zu wandern. Ich sah das Gesicht meiner Frau und das meines Sohnes an mir vorbeiziehen. Vor einem Monat hatte ich sie verlassen, um für den Ruhm eines anderen zu kämpfen.
Wie töricht ich war.
Kapitel 1
Der Wolf und mein Schicksal
Sobald meine Arme kräftig genug waren, um eine Axt schwingen zu können, ließ ich mich auf einen aufstrebenden Jarl ein. Er war jung und breitschultrig. In seinem Blick loderte eine Flamme, die er bestens mit seinen Worten weitergeben konnte. Damals versammelte Thortryg, so sein Name, ein Heer von hunderten Männern, um gegen seinen Bruder Thjodrec in den Krieg zu ziehen. Ihr Vater war den Folgen einer Schlacht erlegen. Verletzt und schwach ging er in seinem Bett von dieser Welt. Ein trauriges Ende für einen großmütigen und gerechten Herrscher.
Seine beiden Söhne beanspruchten das Land, Halid genannt, nun für sich. Vor etwa neun Wintern war es ein kleines Herrschaftsgebiet. Es bestand aus dem Hafendorf Ferthdan, der Burg Halidborg, die majestätisch auf einem Hügel thronte, und einer weiteren Stadt namens Karpgat.
Am Rande dieser Stadt wuchs ich auf. Mein Vater war ein Bauer, konnte aber auch kämpfen. Früher hat er einem Jarl gedient und gegen die Horden der Rus gekämpft. Er wusste also um die Dringlichkeit für einen Mann ein Schwert führen zu können. Er lehrte es mich früh. Sehr schmerzlich lernte ich, was es heißt, ein Krieger zu sein. Ich war schon immer hitzköpfig, hatte aber im Vergleich zu meinen Altersgenossen einen scharfen Verstand und flinke Füße. Wenn mein Vater mit mir zum Markt ging, machten wir Jungen öfter einen Wettkampf daraus, wer die meisten Waren stehlen konnte, ohne entdeckt zu werden. Während die anderen oft erwischt wurden und die Strafen sich dann schmerzlich in ihren Gesichtern abzeichneten, gelang es mir öfter, die Händler davon zu überzeugen, mir manch kleine Ware umsonst zu geben. Mal war meine Schwester krank, obwohl ich keine hatte, mal umschwärmte ich die Verkäuferin so sehr, dass sie mir ein kleines Geschenk gab und mir liebevoll den Kopf tätschelte. Ich ging oft als Gewinner hervor. Der Neid der anderen Jungen führte auch mal zu kleineren Schlägereien, aber ich konnte mich stets behaupten, indem ich sie müde machte. Ich wich ihren Schlägen aus und tänzelte um sie herum, bis sie nur noch schwer atmen konnten. Dann war es ein Leichtes, sie zu besiegen.
Doch manchmal versteckte sich mein Verstand vor meinem Drang, mich zu beweisen. So habe ich bereits in meiner Kindheit viel Zeit damit verbracht, Jungen zu verprügeln, die größer waren als ich.
Mit ungefähr dreizehn Jahren schickte mich mein Vater von Zuhause fort, damit ich die Welt entdeckte und zu ihm zurückkehren könnte mit vielen abenteuerlichen Geschichten. Allerdings bestanden meine ersten Abenteuer darin, zu stehlen, zu arbeiten und mich zu prügeln, damit ich nicht verhungerte.
Ich kam bei der einen oder anderen leichten Dame unter, die mich in ihre Annehmlichkeiten einweihte. Dies fand ich allerdings nur zeitweise angenehm, da ich viel Geschwätz schon immer etwas lästig fand. Und bei Thors Arsch, wenn diese Weiber nicht gerade einem Freier dienten, konnten die reden, bis mir die Ohren bluteten. Nach einigen Tagen langweilten sie mich alle, sodass ich immer wieder weiterzog. So vergingen drei Winter.
An einem Frühlingsmorgen streifte ich durch das Hafen- und Handelsdorf Ferthdan. Auf dem Markt herrschte reges Treiben. Händler boten ihre Waren an und Sklaven standen zur Fleischbeschau bereit. Um die Frauen standen gierige Männer herum, sie feilschten mit den Händlern, während sie in ihren Gedanken bereits die Schenkel mit ihrem Speichel beflecken. Ihre verschwitzten Finger grabschten nach der Haut der Jungen und Mädchen, die angsterfüllt in Ketten vor ihnen standen. Mir waren diese ekelhaften Trottel immer zuwider. Sie verdeckten ihre eigene Schwäche mit groben Taten gegen Menschen, die sich nicht wehren konnten.
Beliebt auf dem Sklavenmarkt waren auch die jungen Burschen. Man konnte sie gut für jede Arbeit gebrauchen, für die sich diese fetten Säcke zu fein waren.
Ich bog vom Sklavenmarkt in eine weitere Marktstraße ab, in dem Fischer lauthals ihren frischen Fisch anpriesen. Damals mochte ich keinen Fisch. Er stank und ich hasste die Gräten, die sich zwischen den Zähnen verfingen. Doch man aß, was man bekam. »Dieser Fisch ist der frischeste Fisch, den Ihr jemals essen werdet«, schallte es von so ziemlich jedem Stand.
Es tummelten sich alle Arten von Menschen auf dem Markt und mir war es, dank der Stehl- und Marktplatzwettkämpfe mit den anderen Jungen, ein Leichtes, das ein oder andere Münzbeutelchen zu entwenden. So bekam ich genug Geld zusammen, um mir etwas Warmes zu essen zu kaufen und das ein oder andere Bier zu trinken.
Die Sonne erreichte bereits ihren höchsten Punkt und mein Beutezug war zu Ende. Gerade wollte ich an einem Stand nahe dem Marktplatz etwas geräucherten Fisch kaufen, als ich zu meiner Rechten eine Ansammlung von Männern bemerkte, die wie gebannt in eine Richtung schauten. Ich drängte mich zwischen sie und hörte bereits eine laute Stimme.
»… der sich mein Bruder nennt. Er hat sich noch nie um die Belange der Bauern und hart arbeitenden Menschen geschert. Möchtet ihr wirklich solch einen Jarl?«
Die Zuhörer um ihn herum brummten verächtlich und einzelne »Nein!«-Rufe waren zu hören. Ich drängte mich durch die Menge, um den Mann besser zu sehen, der da sprach. Ich schob mich an breiten Schultern vorbei und stand plötzlich genau vor ihm.
Er war viel größer als ich und die langen schwarzen Haare fielen auf seinen Rücken. Er hatte eine Stimme, die selbst einen Berg hätte zum Erbeben bringen können, und doch war er gerade mal ein bis zwei Jahre älter als ich. Er hatte einen wilden und entschlossen Ausdruck im Gesicht und gestikulierte viel mit seinen Fäusten. »Männer von Ferthdan! Gerade in diesem Moment holt mein Bruder sein Pack zu sich, um den Thron zu rauben. Er holt den schlimmsten Abschaum in sein Heer, der genauso gierig und arrogant ist wie er selbst. Das dürfen wir nicht zulassen. Ich fordere, dass das freie Volk frei bleibt. Das Vermächtnis meines Vaters muss bewahrt werden und nicht beschmutzt. Doch dafür müsst ihr euch mit mir erheben!«
Er sah mich mit seinen braunen Augen an. Dieser Blick ließ in mir ein Gefühl der Unbesiegbarkeit aufkommen. Seine Hände umfassten meine Schultern und sein Griff war fest. »Steht Ihr mir zur Seite?«
Jeder Muskel spannte sich in meinem Körper und aus tiefster Überzeugung schrie ich ihm meine Gefolgschaft entgegen. Die Männer um mich herum zeigten große Begeisterung für den jungen Jarl. Immerfort riefen sie seinen Namen. Von der Freude an Kampf und Abenteuer ließ ich mich mitreißen und rief ebenfalls seinen Namen. Meine Gefolgschaft war ihm sicher. Mit mir schlossen sich siebzig andere Männer an. In dem Glauben, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, zogen wir in den Krieg.
So kam ich das erste Mal in den Dienst von Thortryg, dem Wolf, wie man ihn auch bis heute noch so manches Mal nennt. Um in seine Haustruppe zu kommen, musste jeder Krieger eigenhändig einen Wolf erlegen und sich als Beweis für diese Tat dessen Fell über die Rüstung ziehen. Nur die härtesten und grausamsten Männer waren in der Wolfshorde. Sie bildeten eine Eliteeinheit, die im Notfall auch Kommandos unter den gewöhnlichen Kriegern verteilen konnten. Sie übernahmen Führung und spezielle Kriegsaufträge in Thortrygs Namen.
Ich gehörte nicht dazu. Ich hatte eine billige und kümmerliche Rüstung, einen Schild, der mit Eisen beschlagen war, und eine Handaxt. In einer Rüstungskammer bekam ich Beinschienen, die ich allerdings nur einmal trug.