bernsteinhell. Roma Hansen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roma Hansen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738043129
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Gold der Armen kippt sie am Tisch aus, bedeckt die halbe Platte mit seinen Notgroschen, und entschließt sich vor diesem Reichtum, noch vor Beginn ihrer Arbeit im Lebensmittelladen fahre sie nach Stralsund. Die Stofftiere müssten doch in einem Kaufhaus unterzubringen sein, und nachfragen um Geschäfte mit Bernstein könnte sie auch gleich dort.

      Ihren Mantel wirft Helena auf den Haken an der Küchentür. Er baumelt, indes sie im Kamin ein Feuer anzündet, den Wasserkessel füllt, die Teekanne vorwärmt. In die Kök hinein zieht allmählich Wärme, die ihre Unruhe kaum lindert. Vieles bringt sie aus dem Lot. So, wie in der anderen Socke die Zeitung, und das ausgewickelte Intarsienkästchen. Unter dem Datum des Ostseebeobachters prangt eine in Fett gedruckte Zeile: Dampfer sank nach Kesselexplosion. Ja, ja, Joos fischte nach Treibgut, geht ihr auf. Und sein Bangen, die alte Flause, empört sie obenauf wie seine lange ertragene Lebenslüge.

      Kurzum öffnet Helena den Schließhaken. Der Kasten zeigt ein Pfeifenbesteck in Laschen, wellig vom Seewasser. Sie klappt den Einlegeboden herauf. Wo sonst Tabak aufbewahrt wird, da liegen trübe Reichsmarkmünzen. Gestockt sind sie, doch blinken blank wie ein Berg von reinem Gold für Helenas vollkommenes Dasein, feuern an gegen den Glauben an Mangel, und für einen nächsten Schritt.

      Schauer rieseln warm über Helenas Kopf und Ohren, die sich ausrichten zum Kamin. Na gut, dessen rissiger Schlot bietet ein Versteck an. Sie reckt sich hinein in den rußigen Rauchfang.

      In der Nacht wärmt eine Kanne Tee Helena. Dabei strickt sie so nachgiebig wie sie an Martha denkt, die um das Leben ihres verletzten Kindes bangt. Wie sie, vor der Gefahr. Aber könnten die Häscher überall gleichzeitig sein? Eine Witwe, von Fischweibern gemieden, geht hinaus vor die Tür und an den Strand.

      Am nächsten Morgen folgt Helena der Chaussee ostwärts durch den Wald, wandert am Rückerweg zur Bucht vor Swinemünde hinab. Der Kiefern horizontal gewachsene Wipfeln stimmen sie durch den nachgiebigen Zauber daran auf ein Quäntchen mehr von Zuversicht ein. Und den wolkenlos hellblauen Himmel darüber bittet sie, er möge ein Einsehen haben, auch für ihren Mut.

      6

      Ein eisiger Ostwind bläst ihr entgegen am Ufer. Vor der Wasserlinie liegen Muscheln und alljährlich angeschwemmte kleine Bruchstücke von Bernsteinen. Helena beugt den Rücken, geht zur Linken voran. Die auslaufenden Wellen plätschern, säuseln den Kopf frei. Anderes blenden ihre Augen aus, hellwach im Acht geben auf den Sand.

      An einer besonders ergiebigen Stelle klaubt Helena aus den Muscheln winzige Stücke in gleichstark gelber Farbe. Und einige Schritte weiter, als die Bucht heller in der Morgensonne daliegt, dreht sie tatsächlich einen handtellergroßen Brocken um.

      „Groß, wundervoll! Nur wer sehen kann, entdeckt Schönes!“

      Helena wischt die Sandkrümel mit kalten Fingern ab und hält den Fund ins Licht. Der winzige lichte Moment reicht ihr. Über alle Maßen begeistert hüpft sie wie ein Kalb auf der Weide, vor lauter Spaß am Finden satt, am Dasein, von Sorgen erleichtert. Hoch auf reckt sie die Arme, zerrt am Mantel vor Erregung. Ihre freudige Überraschung entlädt sie zwischen Händen und Füßen im Herumhampeln mit herzig sich anfühlenden Luftsprüngen, die ihre Existenz ehren, reich an Esprit im Kern.

      Einen hüpfenden Sprung aber setzt Helena aus und es schlägt eine auslaufende Welle am Mantel hoch; sie springt nicht rasch genug fort. Eiskalt überflutet es schon ein weiteres Mal die Stiefel. Sie überhört den Reiter, hebt den Kopf erst, als der nasse Sand platscht, und ihr entgegen der weiße Fleck am vertrauten rehbraunen Gaul galoppiert. Oben auf sitzt Ansgar, für Joos ein recht vertrauter Freund aus Schuljahren, und er zügelt sein Pferd.

      „Helena auf Beutezug!“, spottet sein Bariton.

      Ihr Glück verschwindet in Ernsthaftigkeit, und ihr Fund jäh im Beutel am Arm, und sie höher auf den Strand. Wachsam erwartet Helena fast, was am Vortag geschah, wähnt ihn aber doch zu kennen.

      „Weswegen bist du hier? Reitest du zum Vergnügen aus?“

      „Flucht vor Friederikes Scheuerlumpen. Es kommen noch keine Sommerfrischler, deren Kutschen ich repariere und die mich von Rike fernhalten. Der Haussegen hängt schief!“

      Er stöhnt kehlig. Erschreckt tänzelt das Pferd seitwärts, reagiert dann auf Ansgars Klopfen an seinen Hals, wirft aber schnaubend den Kopf mit der herzförmigen Stirnraute hoch. Als er dann ruhig steht, blinzelt Ansgar zu Helena.

      „Steige ich auf Rikes Tiraden ein, schläft keiner nachts ruhig. Sie lamentiert vor Ungeduld, sitzt auf glühenden Kohlen, will endlich den Schankraum eröffnen. Bis dahin, bearbeite ich Bernsteine.“

      „Ansgar, zu ähnlich seid ihr zwei euch! Aber flüchtest du nochmals, dann vor die marode Luke an meinem Käsekeller. Mein essbares Gold sollte bis zum Verkauf gesichert sein.“

      Zwischen den Mützenklappen, die seine Wangen vor dem Frost schützen, blitzen tiefblaue Augen auf. Helena versteht, er würde es sofort. Doch sie blinzelt ins silbrige Licht über der Bucht, und weist mit einem Kinnruck gen Osten.

      „Dahin reite, ich kehre um und sammle am Rückweg. Meine von Seewasser nassen Stiefel werden eisig kalt. Komm später, ja?“

      Ihn hört Helena schnalzen, dann ostwärts fort galoppieren, um wohl an der Strecke zurück dann vom Pferd zu steigen. Eine Handvoll wie Perlen kleiner Bernsteine sammelt sie noch, bis im Blick voraus Ahlbecker Dächer liegen. Auch vermittelt ihr der Strand, nichts Außergewöhnliches wäre übrig, es klaubten schon Andere ihre Ausbeute nach den Sturmnächten heraus. Und inzwischen schmerzt ihr der Rücken vom Beugen, die Füße in den patschnassen Stiefeln sind gefühllos. Quer durch den Acker stelzt Helena, und strauchelt oft, nur noch in der Lage ihre Schritte langsam und maßvoll zu setzen. Aber es blinken im Gemüt die Hopser vom Morgen. Helena staunt über sich. Sie hatte schon leichte Beine! Vermehren sich ihre Glücksmomente doch noch?

      Nachmittags prescht Ansgar heran. Sie winkt ihn zur Westseite. Nach genauem Betrachten sagt er zu, er hole die Kellerklappe im Pritschenwagen ab und zu sich. Er reibt seine verfrorenen Hände.

      „Haste Tee zum Aufwärmen?“

      Helena nickt. Ihr nach stiefelt er auf sandigen Sohlen, plumpst auf einen Schemel am Tisch, knöpft seine Jacke auf und räkelt sich. Metallischer Dunst entweicht seinem Wollpullover, registriert Helena fraglos, und füllt Tee in seinen Köppen.

      Ansgar dreht den hölzernen schmalen Kugelstab im Honigtopf, ein bernsteinheller Faden rinnt dann in den dampfenden Köppen. Bei einem bedächtigen Schluck daraus, entschließt er sich, nicht auf Helenas desolate Situation einzugehen, nur auf diese Begegnung. Er reckt eine schwielige Pranke.

      „Sieh, ich erlitt ein bedauerliches Missgeschick.“

      Er denkt an seine Bottichwaschmaschine. Sie gleicht einem voluminösen Butterfass, an dem er seit Tagen Teile einpasst, schon Walzen daran sieht, die das Wasser aus der Wäsche pressen. Ja, nicht nur Amerikaner erfinden derlei und mehr andere Maschinen. Schon verklärt ein Lächeln seine Züge.

      „Schiet passiert eben vorm Ende.“

      „So? Haste etwas Geniales erfunden?“

      Er krumpelt seinen Rollkragen, streift über seine Kehle.

      „Ich schnack nicht vom Braten, bis die Sau hin ist. Gedulde dich, ich bearbeite Bernsteine. Dafür gibt es Bares - fahre ich im Sommer für Lohn zur Fähre - oder manches Eisen auf diese Art.“

      Helena kennt seine Art von Geschäfte-machen aus dem Geplauder mit Friederike und kichert auf, auch, weil ihr Herz auf einmal laut und unruhig klopft. Rasch hebt sie ihre linke Hand mit den zwei während dem Nähen zerstochenen Fingerkuppen.

      „Auch ich probiere Neues, mehr Kleinigkeiten schaden meinen Fingern kaum weniger! Es dauert ja noch lange bis zur Tag- und Nachtgleiche. Ich übernehme, bevor mich mein Land im Frühling zum Beackern hinausruft, auch von Joos das Bernsteinpolieren.“

      Ansgar verschweigt, was er zu beidem meint. Eilends trinkt er vom Tee, räkelt sich dann in das schräg einfallende Licht.

      „Wird