Die eiserne Ferse. Jack London. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jack London
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183885
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und des Fabriksystems gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts wurde die große Masse der arbeitenden Bevölkerung heimatlos gemacht. Das alte Arbeitssystem war zusammengebrochen. Das arbeitende Volk wurde von seinen Dörfern vertrieben und in Fabrikstädten zusammengepfercht. Mütter und Kinder mußten an den neuen Maschinen arbeiten. Alles Familienleben hörte auf. Die Bedingungen waren furchtbar. Es ist eine blutige Geschichte.«

      »Ich weiß, ich weiß«, unterbrach Bischof Morehouse ihn mit schmerzlicher Miene. »Es war schrecklich. Aber das ist anderthalb Jahrhunderte her.«

      »Und damals, vor anderthalb Jahrhunderten entstand eben das moderne Proletariat«, fuhr Ernst fort. »Und die Kirche kümmerte sich nicht darum. Während die Kapitalisten aus der Nation ein Schlachthaus machten, blieb die Kirche stumm. Sie protestierte damals so wenig, wie sie es heute tut. Wie Austin Lewis Von den Sozialisten bei der Wahl im Jahre 1906 der christlichen Zeitrechnung aufgestellter Kandidat für den Gouverneurposten von Kalifornien. Er war Engländer von Geburt, Verfasser vieler nationalökonomischer und philosophischer Bücher und einer der bedeutendsten Sozialistenführer seiner Zeit., wenn er von jener Zeit spricht, sagt, haben die, an welche das Gebot »weidet meine Lämmer« ergangen ist, ruhig zugesehen, wie diese Lämmer in die Sklaverei verkauft wurden und sich zu Tode arbeiten mußten Es gibt kein schrecklicheres Blatt in der Geschichte als die Behandlung von Kindern und Frauen in den englischen Fabriken in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts der christlichen Zeitrechnung. Aber manche der stolzesten Schicksale jener Tage erwuchsen aus diesen Industriehöllen.. Damals war die Kirche stumm, und ehe ich fortfahre, bitte ich Sie, mir zu sagen, ob Sie mir recht geben oder nicht. War die Kirche damals stumm?«

      Bischof Morehouse zögerte. Wie Dr. Hammerfield war er einen solchen »Zusammenprall«, wie Ernst es nannte, nicht gewohnt.

      »Die Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts ist geschrieben«, sagte Ernst schnell. »Wäre die Kirche nicht stumm, würde sie in den Büchern nicht schweigen.«

      »Ich fürchte, die Kirche war stumm«, gestand der Bischof.

      »Und die Kirche ist heute noch stumm.«

      »Da muß ich widersprechen«, sagte der Bischof.

      Ernst machte eine Pause, sah ihn forschend an und nahm dann die Herausforderung an.

      »Also schön«, sagte er. »Lassen Sie uns sehen. In Chikago gibt es Frauen, die die ganze Woche für nur neunzig Cents arbeiten. Hat die Kirche dagegen protestiert?«

      »Das ist mir ganz neu«, lautete die Antwort. »Neunzig Cents die Woche! Das ist ja schrecklich.«

      »Hat die Kirche dagegen protestiert?« beharrte Ernst.

      »Die Kirche weiß das nicht.« Der Bischof war offenbar in schwerer Bedrängnis.

      »Aber der Kirche ist doch befohlen: ›Weidet meine Lämmer‹«, höhnte Ernst. Und im nächsten Augenblick sagte er: »Verzeihen Sie meinen Hohn, Herr Bischof. Aber können Sie sich wundern, wenn wir die Geduld mit Ihnen verlieren? Wann haben Sie je bei Ihren kapitalistischen Verbänden gegen die Verwendung von Kindern zur Arbeit in den Baumwollspinnereien des Südens protestiert Ein noch besseres Beispiel hätte Everhard vorbringen können, wenn er daran gedacht hätte, wie die Kirche vor ihrer Zeit für die Sklaverei eingetreten war. Im Jahre 1835 stellte die Versammlung der presbyterianisdien Kirche fest: »Sklaverei ist sowohl im Alten wie im Neuen Testament anerkannt und von Gott nicht verboten.« Die Charlestoner Baptisten-Gesellschaft veröffentlichte im Jahre 1835 folgendes: »Das Recht des Herrn, über die Zeit seiner Sklaven zu verfügen, ist klar vom Schöpfer aller Dinge anerkannt, der unbedingt das Besitzrecht über jeden Gegenstand zuerteilen kann, wem ihm beliebt.« Referend E. D. Simon, Doktor der Religionsgeschichte und Professor am Randolph-Macon-Methodist-College in Virginia schrieb: »Die Heilige Schrift bestätigt an vielen Stellen unwiderruflich das Recht auf Sklavenhaltung in Gemäßheit des allgemeinen Besitzrechtes. Das Recht, zu kaufen und zu verkaufen, ist klar bestätigt, ob wir nun die von Gott selbst vorgeschriebene Politik des jüdischen Staates oder die gleichartige Behandlung dieser Angelegenheit durch die Gesetze in allen Jahrhunderten, die Vorschriften des Neuen Testamentes oder unsere Moralgesetze befragen. Immer kommen wir zu dem Schlusse, daß Sklaverei nicht unmoralisch ist. Wenn einmal feststeht, daß die ersten afrikanischen Sklaven gesetzmäßig in die Sklaverei gebracht worden sind, so folgt daraus unerbittlich das Recht, auch ihre Kinder in der Sklaverei zu behalten. Wir sehen also, daß die Sklaverei in Amerika zu Recht besteht.

       Es ist durchaus nicht merkwürdig, daß wir dieselben Anschauungen etwa eine Generation später wieder von der Kirche vertreten sehen, und zwar zur Verteidigung des kapitalistischen Eigentums. Im Museum zu Asgard befindet sich ein Buch Henry van Dykes, »Angewandte Essays«. Das Buch erschien im Jahre 1905 der christlichen Zeitrechnung, und wir können daraus ersehen, daß van Dyke Geistlicher gewesen sein muß. Es ist ein gutes Beispiel für das, was Everhard bourgeoises Denken genannt haben würde. Man beachte die Ähnlichkeit zwischen den oben zitierten Äußerungen der Charlestoner Baptistengesellschaft und dem folgenden, siebzig Jahre später von van Dyke geprägten Satze: »Die Bibel lehrt, daß die Welt Gott gehört. Er teilt jedermann nach Gutdünken in Übereinstimmung mit den allgemeinen Gesetzen aus.«? Sechs- und siebenjährige Kinder arbeiten jede Nacht in Zwölfstundenschichten. Sie sehen nie die Sonne. Sie sterben wie die Fliegen. Die Dividenden werden mit ihrem Blute bezahlt. Und aus den Dividenden werden in Neuengland prachtvolle Kirchen gebaut, in denen Ihresgleichen den schlauen, dickbäuchigen Beziehern dieser Dividenden Plattheiten predigen.«

      »Das wußte ich nicht«, murmelte der Bischof leise. Sein Gesicht war bleich, und ihm schien übel zu werden.

      »Dann haben Sie also nicht dagegen protestiert.«

      Der Bischof schüttelte den Kopf.

      »Dann ist die Kirche heute noch so stumm, wie sie es im achtzehnten Jahrhundert war?«

      Der Bischof schwieg und Ernst gab dem Gespräch unvermittelt eine andere Wendung.

      »Sie wissen, daß ein Geistlicher, der protestieren wollte, entlassen würde.«

      »Ich glaube kaum, daß das leicht ist«, lautete die Erwiderung.

      »Wollen Sie protestieren?« fragte Ernst.

      »Zeigen Sie mir solche Schäden, wie Sie sie anführen, in unserer eignen Gemeinde, und ich werde protestieren.«

       »Ich werde sie Ihnen zeigen«, sagte Ernst ruhig. »Ich stehe Ihnen zur Verfügung. Ich will mit Ihnen eine Wanderung durch die Hölle machen.«

      »Und ich werde protestieren.« Die Glieder des Bischofs strafften sich, und seine feinen Züge nahmen die Härte eines Kriegers an. »Die Kirche soll nicht stumm sein.«

      »Man wird Sie entlassen«, warnte Ernst.

      »Ich werde Ihnen das Gegenteil beweisen«, lautete die Antwort. »Ich werde beweisen, daß die Kirche nur aus Unwissenheit geirrt hat. Und mehr noch, ich bin überzeugt, daß, was auch immer Schreckliches in der Industrie vorkommt, nur durch die Unwissenheit der kapitalistischen Klasse ermöglicht wird. Sobald sie es erfährt, wird sie alles Unrecht gut machen. Und daß sie es erfährt, soll Sache der Kirche sein.«

      Ernst lachte. Er lachte brutal, und mich trieb es, dem Bischof beizustehen.

      »Vergessen Sie nicht,« sagte ich, »daß Sie nur die eine Seite der Sache sehen. Es ist viel Gutes in uns, wenn Sie es auch nicht sehen wollen. Bischof Morehouse hat Recht. Das Unrecht der Industrie ist schrecklich, aber er sagt, es rührt nur von der Unwissenheit her. Der Schlund, der zwischen den verschiedenen Schichten der Gesellschaft klafft, ist zu breit geworden.«

      »Der wilde Indianer ist nicht so roh und grausam wie die kapitalistische Klasse«, erwiderte er, und in diesem Augenblick haßte ich ihn.

      »Sie kennen uns nicht«, antwortete ich. »Wir sind nicht roh und grausam.«

       »Beweisen Sie das«, forderte er mich auf.

      »Wie kann ich es Ihnen beweisen?« Ich wurde zornig.

      Er schüttelte den Kopf.

      »Ich