Der Schundfilm meines Lebens. Emmi Ruprecht. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emmi Ruprecht
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742742551
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werden, weil sich niemand traut darüber zu sprechen. Ein großartiger Stoff! Ein eher leiser Film – zugegeben – aber nichtsdestotrotz von großer erzählerischer Kraft!

      Die Creative Producerin Brigitte, die mein Skript damals las, war begeistert und konnte auch ihren Chef, den Produzenten und Inhaber von „Friedberts Filmfabrik“, von dem Stoff überzeugen. Gemeinsam haben Brigitte und ich das Exposé dann noch einmal nach seinen Vorgaben überarbeitet und ein Treatment, sozusagen die „Verkaufsunterlage“ für das Drehbuch, erstellt, die der Produzent nach diversen Abstimmungen akzeptiert hat. Er bot den Stoff mehreren TV-Sendern an und tatsächlich zeigte einer von ihnen Interesse! Nachdem auch dort mit der Redaktion intensiv am Skript gefeilt wurde, war der Auftrag für die Filmproduktion schon fast erteilt. Doch auf dem allerletzten Meter bekam der zuständige Redakteur im Sender kalte Füße, nachdem gerade ein ähnlich „spezieller“ – wie die Redaktion es ausdrückte – Fernsehfilm quotenmäßig gescheitert war.

      Damit war mein Debütfilm Geschichte und der Sender hatte seine große Chance vertan, endlich einmal etwas Wegweisendes auf den Schirm zu bringen!

      Natürlich war das sehr bedauerlich, aber wenigstens hatte ich mir mit dem Skript schon mal einen Namen gemacht. Zuversichtlich setzte ich mich deshalb an mein zweites Werk und verfasste ein Drehbuch über eine depressive Frau, die sich nach einem Suizidversuch mühsam ihren Weg zurück ins Leben erkämpft. Was für ein Stoff! Mit schonungsloser Akribie setzte ich die verstörenden Gedankenmuster der Protagonistin in irritierende Szenen um und schuf Dialoge, die in sich widersprüchlich die ganze innere Zerrissenheit der Figur eindringlich schilderten. Die Depression der Protagonistin sollte für den Zu-schauer geradezu fühlbar werden, um ihn mitzunehmen auf eine Reise in die schockierende Erlebniswelt dieser Frau. Er sollte die Welt aus der fatalistischen Perspektive einer Depressiven sehen, im Alltäglichen das Niederschmetternde erkennen und sich mitreißen lassen in die tiefen Abgründe ihres lebensverneinenden Gemüts. Ein ganz großer Ansatz, wie ich fand! Noch nie hatte sich jemand dem Thema Depression so konsequent gestellt!

      Leider war meine Ansprechpartnerin Brigitte zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Drehbuchs schon im Mutterschutz und ihr Nachfolger Herr Hansen konnte dieser modernen Herangehensweise an ein sich langsam aus der Tabuzone herauswagendes Thema nicht viel abgewinnen. Seiner Meinung nach zeichnete sich das Drehbuch neben der schwer verdaulichen Thematik durch zu viel Gerede, zu viele Längen und zu wenig Handlung aus und sei mit diesen Zutaten leider nicht vermittelbar. Das waren seine Worte zu meinem zweiten Skript, die mich tief erschütterten! Ich glaube, ihm fehlt einfach der Zugang zu Inhalten, die eine Spur problematischer sind als „Die Waltons“ oder „Lassie“. Anspruchsvolle Fernsehunterhaltung ist einfach nicht sein Ding!

      Nach dieser ebenso bedauerlichen wie unverständlichen Fehleinschätzung zu meinem zweiten Drehbuch hatte es ein wenig gedauert, bis ich mich so weit gefasst hatte, dass ich mein drittes Werk in Angriff nehmen konnte. Doch in diesem Skript, welches jetzt der Filmproduktionsfirma vorliegt, wird nicht nur viel geredet, sondern auch viel gehandelt! Die Heldin des Drehbuchs stößt in ihrer eigenen Familie auf ein perfekt verleugnetes, perfides Beziehungsgeflecht, welches sie nach und nach enttarnt. Es geht um Abhängigkeiten und Verstrickungen, die die einzelnen Personen auf unglückselige Weise aneinander ketten und die sich schließlich in Psychosen und Wahnvorstellungen der Heldin manifestieren. Es ist so faszinierend!

      Ich weiß, dass man sich nicht selbst loben soll, doch ich finde, dass ich hier ein beeindruckendes Werk geschaffen habe. Diesem hochspannenden und gleichzeitig tiefenpsychologisch anspruchsvollen Drama wird sich kaum jemand entziehen können! Es wird beweisen, dass auch intellektuell fordernde, existenzielle Themen ihr Publikum finden können, solange sie kurzweilig aufgearbeitet sind. Selbst wenn Herr Hansen bestimmt nicht die optimale Zielgruppe für derart fundierte Drehbücher ist, so bin ich dennoch überzeugt, ihn mit diesem Stoff packen zu können. Von der ersten Szene an knistert die Spannung, die bis zum Schluss nicht nachlässt. Nervenzerfetzend! Von wegen schwer verdaulich! Hier ist die sukzessive Enthüllung unterschwellig wirkender Motive hinter ganz alltäglichem Handeln dramatisch wie ein Thriller. Da sage nochmal einer, dass anspruchsvolle Filme langweilig sein müssen!

      Mit Vorfreude auf die anerkennenden Äußerungen des Producers sowie seine Botschaft, das Drehbuch dem Produzenten und Inhaber der Filmproduktionsgesellschaft bereits erfolgreich vorgestellt zu haben, der wiederum davon ausgeht, dass ihm die Fernsehsender diesen Stoff buchstäblich aus den Händen reißen werden, lese ich seine Mail weiter.

      „… und bietet damit sicher eine überzeugende Grundlage für einen ambitionierten Film.

      Jaja, schon gut, das wissen wir bereits! Nun sag‘ endlich, dass ihr das Drehbuch großartig findet und sicher seid, es einem TV-Sender verkaufen zu können!

      „Wie Sie wissen, ist der Markt der Fernsehunterhaltung hart umkämpft und für uns kommen deshalb nur Stoffe infrage, die sich bei einem größeren Publikum durchsetzen können. Wir haben Ihr Skript diesbezüglich ausführlich diskutiert. Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir nicht davon überzeugt sind, …

      Wie bitte? Was schreibt er da?

      „… dass wir Ihr Werk bei einer der Anstalten, mit denen wir zusammenarbeiten, platzieren können, da es nicht ins übliche Anforderungsprofil passt. Bitte lassen Sie sich nicht entmutigen…

      Das kann nicht sein Ernst sein!

      Entgeistert prüfe ich die Betreffzeile der Mail: Doch da steht tatsächlich der Titel meines Drehbuchs. Und ich bin der Empfänger – ohne Zweifel! Diese Absage ist an mich gerichtet!

      Ich brauche ein paar Sekunden, um den Inhalt der Nachricht zu erfassen.

      Wie ist das möglich? Dieses Drehbuch, von dem ich hundertprozentig überzeugt bin und das alle Zutaten zu einem Straßenfeger in sich vereint, wird sang- und klanglos abgelehnt? Warum? Selbst wenn sich einem unbedarften Zuschauer die tiefenpsychologischen Momente nicht vollständig erschließen, so ist das Skript doch fast ein Thriller! Spannung pur!

      Wie betäubt lasse ich mich in meinen Schreibtischstuhl zurücksinken. Ach, du Scheiße! Und jetzt?

      Langsam dringt die Bedeutung der Mail in mein Bewusstsein, und was sie bedeutet, ist niederschmetternd! Die Absage konfrontiert mich unbarmherzig mit der Tatsache, dass ich trotz meiner Leidenschaft für Drehbücher und Theaterstücke und meine bisherigen kleinen Erfolge auf diesem Gebiet noch weit davon entfernt bin, aus meinem Hobby einen Beruf machen zu können. Hinzu kommt, dass das Geld, was ich mir zur Finanzierung meines Starts in die professionelle Drehbuchschreiberei zurückgelegt habe, nur noch ein paar Monate lang meine Ausgaben decken wird. Schon bald werde ich mir also eine andere Einkommensquelle suchen müssen, wenn es im Filmgeschäft nicht klappt. Und im Moment sieht es leider ganz danach aus!

      Wie Blei legt sich diese Erkenntnis auf meine Schultern. Was, wenn mein Lebenstraum platzt, noch bevor er richtig angefangen hat? Was, wenn ich das Schicksal so vieler ambitionierter Drehbuchautoren teilen muss, die sich ihre Leidenschaft für Filme mit Aushilfsjobs in der Spülküche, Taxifahren oder schlimmstenfalls mit schlecht bezahlten Nachhilfestunden für frustrierte Schüler finanzieren müssen? Was, wenn ich nun wie sie die Aussicht auf ein auskömmliches Leben mit meiner Kunst begraben muss?

      Entsetzlich!

      Ich muss zugeben, dass ich durch mein langjähriges Angestelltendasein mit geregeltem Einkommen hoffnungslos verwöhnt bin. Bei aller Leidenschaft für Bühne und Leinwand bezweifle ich, dass meine Liebe groß genug ist, um meinen nicht üppigen, aber durchaus komfortablen Lebensstandard zu opfern, um zukünftig in einer engen, feuchten Kellerwohnung zu hausen und bei trocken Brot und ab und zu einem welken Salatblatt Drehbücher zu verfassen, die kein Mensch lesen, geschweige denn verfilmen will. Ja, ich muss zugeben, dass ich nicht einmal schlecht bezahlte Aushilfsjobs als Zukunftsperspektive akzeptabel finde, nur um mich weiter der Illusion hinzugeben, irgendwann ein Drehbuch, welches die Grundlage für einen bedeutenden Filmklassiker schafft, an einen Sender verkaufen zu können. Also was soll ich jetzt tun? Ist es an der Zeit, mich von der Drehbuchschreiberei zu verabschieden und mich wieder einem regulären Broterwerb zuzuwenden, so wie in meinem früheren Leben?

      Meine Gedanken werden davon unterbrochen, dass