Die deutschen Auswanderer. Jakob. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jakob
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783754184851
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damit verbundene Hunger verschärften die Armut breiter Bevölkerungsmassen weiter. Diese sah in der Auswanderung nach Russland und in andere Länder einen möglichen Ausweg aus der entstandenen Situation.

      Unter diesem Aspekt waren die geschönten Versprechungen der Werber Friedrichs II., der österreichischen Könige und Katharinas II., allen Übersiedlern große, fruchtbare Ländereien zuzuteilen und ihnen darüber hinaus eine ganze Reihe von Privilegien zu gewähren, für die deutschen Kolonisten durchaus attraktiv. Sie verlockten sie und riefen sie dazu auf, sich in diese fernen Länder aufzumachen.

      Auf der wirtschaftlichen Ebene sind auch die Ursachen der Auswanderung der Mennoniten aus Westpreußen nach Russland in den Jahren 1788 und 1789 zu suchen. Diese waren schon im 17. Jahrhundert im westlichen Preußen angekommen. Zunächst mussten sie die Sumpfgebiete durch den Bau zahlreicher Dämme und Deiche austrocknen, diese brachen jedoch ständig ein, was zu einer Überschwemmung ihrer Felder und Wiesen führte. Die dadurch entstandenen Missernten und die Notwendigkeit, diese Verluste durch andere Finanzierungsquellen zu kompensieren, machten ihre enormen Anstrengungen und ihren Eifer häufig zunichte.

      Die Bevölkerung der Mennoniten in Westpreußen wuchs genauso schnell an wie in Deutschland insgesamt. Allein von 1783 bis 1787 stieg ihre Anzahl von 10.490 auf 13.573 Menschen,5 was einem jährlichen Bevölkerungswachstum von 6,6% entspricht, und der dadurch ständig steigende Bedarf an landwirtschaftlichen Nutzflächen wurde zum nächsten entscheidenden ökonomischen Faktor, auf den die Gemütslage der Mennoniten, Preußen zu verlassen und nach Russland überzusiedeln, zurückzuführen war.

      Dabei ist anzumerken, dass die Mennoniten im Wesentlichen landwirtschaftliche Güter produzierten und durchaus erfolgreich im Getreideanbau und der Viehzucht waren. Ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihr Fleiß waren allseits bekannt und wurden in den Ländern Europas sehr geschätzt. Daher war es nicht von Zufall, dass 1786 Georg von Trappe, der Gesandte Katharinas II., in Danzig auftauchte – dieser war mit der Aufgabe betraut, die Mennoniten zur Emigration nach Russland zu bewegen. Doch auch die Mennoniten kannten ihren Preis. Bevor sie sich auf den Weg an unbekannte Orte begaben, entsendeten sie zwei ihrer Abgeordneten (Jakob Höppner und Johann Bartsch) nach Südrussland. Diese hatten den Auftrag, einen Ort und die Bedingungen einer möglichen Übersiedlung auszuhandeln. Die mennonitischen Abgeordneten aus Danzig hatten glücklicherweise die Möglichkeit, Katharina II. während ihrer großen Reise auf die Krim persönlich zu treffen. Sie konnten die Übersiedlungsbedingungen aushandeln und erhielten ein Garantieschreiben mit Auflistung der Privilegien, welches von Fürst Potemkin, dem Gouverneur der Krim, unterzeichnet wurde. Diese Privilegien wurden anschließend von Katharina II. bestätigt. Den Mennoniten wurden freie Religionsausübung, Befreiung vom Kriegsdienst und weitere wesentliche Privilegien zugesichert, die im Manifest des Jahres 1763 dargelegt sind. Dabei wurden jeder Familie schon 65 Deßjatinen (etwa 71 Hektar) Land zur Verfügung gestellt, was die Größe der den Kolonisten an der Wolga zugeteilten Ländereien um das Zweifache und die Größe ihrer vorhandenen Nutzflächen in Westpreußen um ein Vielfaches übertraf. Dort waren ihre Möglichkeiten, neue Ländereien zu erwerben, von Friedrich Wilhelm II. stark beschränkt worden.

      Allerdings wurden die ersten 228 in Russland angekommenen Familien (etwa 1.000 Mennoniten) nicht auf den ihnen versprochenen, fruchtbaren Schwarzerden Borislavs angesiedelt, sondern zu den sandigen Böden am Ufer des Dnjepr gesandt. Diese lagen auf der Insel Chortitz in der Wildnis, waren von Waldflächen überwuchert und von zahlreichen Bächen durchschnitten. Daher wurde die Entstehung der ersten mennonitischen Kolonie in Südrussland von Enttäuschungen und großen Schwierigkeiten begleitet. Daraufhin kamen 1797 weitere 118 mennonitische Familien in diesen Kolonien an und ließen sich dort nieder. Ihre Gesamtbevölkerungszahl begann schnell zu wachsen, 1819 lag sie bei 560 Familien oder 2.888 Menschen, um 1910 bereits bei 2.000 Familien oder 12.000 Menschen. Zunächst wurden den Mennoniten 33.000 Deßjatinen Land zugeteilt, auf denen 15 Siedlungen entstanden. Später führte die ständig wachsende Bevölkerung dazu, dass von der Regierung weitere etwa 40.000 Deßjatinen Neuland für Tochterkolonien zugeteilt werden mussten. Das Vermögen und der Wohlstand der mennonitischen Familien wuchsen rasch an und ermöglichten es ihnen schon bald, weitere etwa 39.960 Deßjatinen Land selbständig zu erwerben. Wurden die Flächen gepachteter Ländereien und privaten Gutsbesitzes nicht mitgerechnet, so betrug die Fläche der mennonitischen Ländereien in den Bezirken Chortizy zu jener Zeit ungefähr 150.000 Deßjatinen. Auch die folgende, größere Übersiedlung von Mennoniten nach Südrussland in den Jahren 1803 und 1804 ging auf ökonomische Ursachen zurück, die von den oben bereits erwähnten politischen Ursachen ergänzt wurden. Eine bedeutende Rolle bei der Übersiedlung der Mennoniten in diesem Zeitraum spielten dabei besondere Privilegien, die ihnen vom russischen Zaren Pavel I. gewährt wurden. Im Unterschied zur ersten Übersiedlung befand sich unter den damals mehr als 2.000 umziehenden Mennoniten eine nicht unbedeutende Anzahl wohlhabender und reicher Bauern, die ihr Vieh, landwirtschaftliche Gerätschaften und verfügbares Kapital mitführten. Den angekommenen Mennoniten wurden Ländereien zugeteilt, die in der Provinz Tavrida am linken Ufer des Flusses Molotschna lagen und auf denen die ersten zehn Kolonien gegründet wurden.

      Der während der napoleonischen Kriege zum Stillstand gekommene Übersiedlungsprozess setzte sich in den Jahren 1819 und 1820 erneut fort, in dieser Zeit kamen weitere 254 Familien auf diesen Ländereien an. Insgesamt hatten sich bis zum Jahr 1835, in dem die Übersiedlung eingestellt wurde, im auf diesen Ländereien gegründeten mennonitischen Bezirk Molotschansk 1.200 Familien oder etwa 6.000 Mennoniten niedergelassen, die auf einer Fläche von etwa 120.000 Deßjatinen 57 ländliche Siedlungen gegründet hatten.6

      In Preußen wollte man die eigenen Untergebenen nicht einfach so verlieren, und nach mehreren erfolglosen Versuchen, ihre Ausreise zu verbieten und einzuschränken, bot man den Mennoniten die Erschließung neuer Ländereien in den Gebieten Kalisch und Gnesen an, die infolge der zweiten polnischen Teilung an Preußen gefallen waren. Allerdings konnte dieser verspätete Vorschlag den bereits ins Rollen gekommenen Prozess der massenweisen Übersiedlung von Mennoniten nach Südrussland nicht mehr aufhalten.7

      Auch die klimatischen Bedingungen hatten Auswirkungen auf die steigende Anzahl ökonomischer Ursachen für die massenweise Emigration der Bauern aus den europäischen und insbesondere aus den deutschen Ländern. So begann das zweite Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in Deutschland mit ertragsschwachen Jahren, besonders schlimm in dieser Hinsicht waren die Jahre 1816 und 1817. Der Ausbruch des Vulkanes Tambora auf der Insel Sumatra in Indonesien führte dazu, dass 115 Millionen Tonnen Staub und Asche in einer Höhe von mehr als 50 Kilometern in die Atmosphäre geschleudert wurden, was eine Verdunklung der Sonne und Änderungen des weltweiten Klimas verursachte. Die Folgen dieses Vulkanausbruchs waren katastrophal. In Zentraleuropa stellten sich über einen längeren Zeitraum Wetteranomalien und demzufolge sinkende Temperaturen und endlose Regengüsse ein, viele Flüsse traten über die Ufer und überschwemmten die Ackerböden. Infolgedessen kam es in vielen Ländern Europas zu riesigen Ernteverlusten, wodurch der Weizenpreis erheblich anstieg. In den Jahren 1816 und 1817 stiegen die Preise im Vergleich zum Jahr 1815 in den folgenden Ländern jeweils folgendermaßen an: in England auf das 1,17- bzw. 1,46-fache; in Frankreich auf das 1,45- bzw. 1,85-fache; in den Niederlanden auf das 1,33- bzw. 2,21-fache und in der Schweiz auf das 1,62- bzw. 2,35-fache. Noch stärker stieg der Weizenpreis in manchen deutschen Ländern an, zum Beispiel in Bayern auf das 1,90- bzw. 3,01-fache, in Württemberg auf das 1,69- bzw. 2,39-fache, in Baden auf das 1,71- bzw. 2,68-fache und in Hamburg auf das 1,11- bzw. 1,67-fache.8

      Besonders stark wurden die Regionen Elsass, die deutschsprachige Schweiz, Württemberg, Bayern und Vorarlberg in Westösterreich getroffen, wo die Preise an einzelnen Orten auf das 3- bis 4-fache anstiegen. Ein solch starker Einbruch der Kornerträge und der rasante Preisanstieg führten zu einer schweren Hungersnot, die breite Massen der Bevölkerung ergriff. Diese suchte und fand in der Emigration einen Ausweg aus ihrer Armut.

      Dabei ist zu betonen, dass Zar Alexander I. der östlichen Schweiz zu jener Zeit humanitäre Hilfe leistete, indem er 100.000 Rubel für Weizenlieferungen aus Russland in die vom Hunger heimgesuchten Regionen bereitstellte. Genau zu jener Zeit, im Jahr 1817 nämlich, siedelten 3.000 Einwohner der Schweiz nach Nord- und Südamerika und teilweise nach Russland über. Der Höhepunkt der Auswanderungswelle aus der Schweiz fällt auf die Jahre 1882 und 1883,