Monstratorem. Anja Gust. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anja Gust
Издательство: Bookwire
Серия: Die Geschichte der Sina Brodersen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753185286
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öffnete sie die Haustür, sah hinaus und nickte ihm zu. Er sah sie noch einmal kurz an, zwickte ihr in die Wange und verschwand, ohne auch nur ein Wort zu verlieren. Wieder auf der Straße bedauerte er nicht im Geringsten, ihr nur Blüten angedreht zu haben. Schließlich war es kein Betrug, eine Betrügerin zu betrügen, denn eine solche Show musste nicht noch honoriert werden.

      Draußen zogen sich trübe Wolken zusammen und aus dem Autoradio dudelte Musik. Eine halbe Stunde später konnte er sich nicht einmal mehr an ihr Gesicht erinnern. Aber solche Frauen hatten auch keins und wenn, war es immer das gleiche.

      Doch wen interessierte das angesichts der Tatsache, dass er etwas ganz anderes, viel Profaneres suchte, nämlich einen Schlüssel in einem Kobold, genauer in einem Gartenzwerg. So war es ihm jedenfalls aufgetragen worden. Kein Witz. Zugegeben hatte er gerade deshalb den Auftrag angenommen, um zu erfahren, was es damit auf sich hatte. Denn wenn er auserwählt wurde, musste es schon etwas Besonderes sein.

      Nicht, dass er sich damit aufwerten wollte. Nur sagte ihm seine Erfahrung, dass mitunter die profansten Sachverhalte die kompliziertesten Hintergründe verbargen. Wie immer kannte er die genauen Beweggründe nicht und das war auch unnötig. Er tat, was ihm gesagt wurde und folgte dabei strengen Regeln. Das dafür gezahlte Honorar ermöglichte ihm ein Leben weit über dem Standard, so dass er sich solche Eskapaden wie eben jederzeit erlauben konnte.

      Welche Rolle er dieses Mal für sich präferieren sollte, wusste er freilich noch nicht. Das blieb ihm überlassen. Über die nötigen Dokumente verfügte er. Etwas landestypisch Nordisches wäre in diesem Fall angebracht, so nach Art eines netten Jung von der Waterkant mit Namen Fiete Jensen oder Henning Harmsen. Aber da er weder so aussah noch so sprach, erschien ihm ein neutraler Tom Enders günstiger.

      Als diplomierter Verwaltungswirt und verschlagener Geschäftsmann in der Investmentbranche der Sparda Bank würde er bestimmt nicht weniger beeindrucken. Selbst wenn er davon keine Ahnung hatte, blieb das ohne Belang. Es diente lediglich der Legitimation, wobei allein Begriffe wie Bonds, Derivate oder Impact Investments für die nötige Glaubwürdigkeit sorgen sollten.

      Blieb nur zu hoffen, dass auch niemand etwas davon verstand. Sonst könnte es schon mal eng werden, wie vor einem Jahr, als er in der Rolle eines IT-Programmierers eine tiefergehende Frage nicht beantworten konnte und sich damit in eine dumme Situation brachte. Sei’s drum. Seine Aufträge versprachen hohe Gewinne. Allein das zählte.

      In Achterwehr bog er von der Autobahn ab und steuerte Deutsch-Nienhof an. Er schaute in den Rückspiegel und setzte zum Überholen an. „Also gut, Tom Enders. Wo ist deine Designerbrille, die dich als Investmentbanker auszeichnet?“, murmelte er vor sich hin und kramte in der Konsole herum. Besorgt betrachtete er sein blasses Gesicht im Spiegel. Augenblicklich entblößte ein Lächeln seine perlengleich aufgereihten Zähne.

      Nicht, dass er besonders eitel war. Aber um Sympathien zu verbreiten, musste er gefallen. Kurzum, dies alles verlangte einen wahren Sonnyboy, dem man blindlings die Brieftasche anvertraute. Das war sein Credo, zumal die Bekanntschaft sympathischer Frauen nicht auszuschließen war. Davon hing mitunter sehr viel ab. Ja mehr noch, seinen Erfahrungen nach war eine überzeugende Reflexion seiner Rolle nur durch weibliches Wohlwollen möglich. Schon deshalb sah er sich bisweilen zu gewissen Überschreitungen genötigt, dies notfalls zu erzwingen. Das mag jetzt skrupellos klingen, war aber zweckmäßig.

      Sanft federte der Audi jedes Schlagloch ab. Mit einem Mal erinnerte er sich an die Visitenkarte in seiner Brusttasche. Er zog sie hervor und studierte den Namen: ‚Dr. Alexander von der Ruh‘. Klang so weit recht verlockend, genauso, wie er ihn sich vorstellte: Jung, smart, verheiratet, zwei Kinder, rundum wohlsituiert und skrupellos genug, seine Frau regelmäßig zu betrügen. Allerdings war es auch leichtsinnig, die Handynummer zu hinterlassen. Mit anderen Worten – ein Schwein vom Feinsten, dessen Ruin kein Verlust war.

      Gedankenverloren pochte er mit der Karte auf das Autolenkrad. Innerhalb von Sekunden schaltete Tom das „Bluetooth“ vom Audi - MMI Control ein, entsperrte sein Smartphone per Fingerabdruck und diktierte: „OK Google.“ Er wartete ein, zwei Sekunden und sagte: „Dr. Alexander von der Ruh.“ Tom vernahm die Antwort der weiblichen Computerstimme ‚Siri‘ über den anwaltlichen Familienstand. Zufrieden steckte er die Karte zurück in seine Brusttasche und bemerkte: „Na, Herr Winkeladvokat! Volltreffer! Mal sehen, wie wir dich überraschen können. Ich denke, mir wird für ein kleines Ferkel wie dich etwas ganz Besonderes einfallen!“

      Somit lief dieser Tag doch noch gut an, nachdem er so mies gestartet war. Die ersten kräftigen Sonnenstrahlen fielen in goldgelben Bündeln durch das Blätterdach einer Allee. Fasziniert beobachtete er ein Storchenpaar auf Beutezug in den nahegelegenen Feuchtwiesen. Das erinnerte ihn an seine Kindheit. Diese verbrachte er in Pontresina im Oberengadin. Das satte Grün der Almen, die Glocken der grasenden Kühe und das schneeweiße Diavolezza-Massiv mit seinen blau-weißen Gletscherzungen hatten sich dabei tief in sein Herz gegraben. Bisweilen vermisste er den Duft von frischgemähtem Heu sowie das Plätschern eisiger Gebirgsbäche. Es waren vor allem jene Momente, in denen er sich an den Berghängen dem Himmel so unglaublich nahe fühlte, dass es nur eines Fingerzeigs zur Berührung bedurfte. Dort oben gab es die Orte, die er hier vergebens suchte.

      Ein dringendes Bedürfnis riss ihn aus seinen Gedanken und drängte ihn zur Eile. Mit überhöhter Geschwindigkeit raste er durch Klein-Nordsee. Während er in die Ortschaft Felde hineinschoss, nahm er nicht den Fuß vom Gas. Zur Rechten flog die ‚Apotheke am Westensee‘ vorbei. Wenig später setzte er an der nächsten Abzweigung den Blinker links Richtung Resenis.

      Eine Polizeikontrolle in Höhe des EDEKA-Marktes winkte den Audi an den Straßenrand. Das fehlte ihm noch. Ausgerechnet jetzt, wo ihm schon fast die Blase platzte. Tom straffte seine Haltung und versuchte, notgedrungen zu lächeln. Er senkte das Seitenfenster herab und stellte den Motor aus. Seine Hand ruhte auf dem Schaltknüppel. „Womit kann ich dienen, Herr Wachtmeister“, erkundigte er sich bei dem Polizisten in dunkelblauer Uniform.

      „Moin. Verkehrskontrolle. Ihren Ausweis bitte.“ Mit strenger Miene kontrollierte der Beamte die Dokumente und wechselte den Blick wiederholt zwischen ihm und dem Bild auf dem Ausweis. Dann guckte er prüfend in den Innenraum des Wagens. Dabei registrierte er eine schwarze Reisetasche sowie einen Mantel auf der Rückbank. „Was befindet sich dort drin?“, folgte seine logische Frage.

      „Dieses und jenes, was man so braucht“, eierte Tom herum, der nicht einsah, darauf zu antworten, denn im Grunde ging ihn das einen feuchten Kehricht an. Dann aber fiel ihm ein, dass dort die Blüten drin lagen. Nicht auszudenken, wenn dieser Beamte jetzt auf eine dumme Idee käme. Also nahm er die Tasche hervor und zog den Reißverschluss auf, allerdings nur so weit, dass sein Ellbogen einen großen Teil des Inhaltes verdeckte. Gelassen wies er auf eine Zeitung hin. Ebenfalls lagen alte Socken gleich obenauf. Ihr unangenehmer Geruch verhinderte Schlimmeres. Natürlich hatte er die andere Hand längst an der Wade, wo seine Pistole steckte, nur für den Fall.

      Doch dazu kam es zum Glück nicht. Offenbar von Toms demonstrativer Gleichgültigkeit eingelullt, verzichtete der Polizist auf Weiteres. „Schon gut“, winkte dieser ab, konnte sich aber die Frage nach einem möglichen Alkoholgenuss nicht verkneifen.

      „Na hören Sie mal. Sehe ich so aus?“, empörte sich Tom mit einem milden Lächeln, nachdem er die Tasche wieder nach hinten gelegt hatte.

      „Wo soll es hingehen?“, wollte der Beamte wissen.

      „Nach Resenis“, legte sich Tom fest, obwohl das keineswegs klar war.

      „Bitte öffnen Sie den Kofferraum.“

      „Muss das sein?“

      „Sonst würde ich nicht darum bitten!“, sagte sein Gegenüber mit Nachdruck.

      Tom drückte den dazugehörigen Knopf im Wageninneren. Prompt hob sich die Kofferraumklappe. Dann schwenkte er umständlich die Fahrertür auf und stieg aus.

      Der Polizist beugte sich über die Stoßstange und musterte den Verbandkasten. Gemächlich drehte er sich wieder um. „Sind Sie Literaturagent?“, mutmaßte er plötzlich.

      „Wie kommen Sie darauf?“, wunderte sich Tom.

      „Aufgrund